WÜRZBURG (GINI) Der Amoklauf eines Schülers in Erfurt und die Pisa-Studie: zwei Denkzettel, die zur Reform des Schul-Systems anregen. Künftig müsse es um viel mehr Wertschätzung von Schülern und Lehrern gehen, machte die Festrednerin anlässlich des 25. Geburtstages der Aktion Humane Schule (AHS), Marga Bayerwaltes (Stolberg/Aachen), im Rudolf-Alexander-Schröder-Haus deutlich.
Glückwünsche für die Aktion Humane Schule kamen von hochrangigen Gästen, und wie so viele AHS-Veranstaltungen wurde dieser Donnerstagabend richtig spannend. Schließlich erntete sogar Bayerns Ministerpräsident Stoiber die harsche Kritik seines CSU-Parteikollegen, des Landtagsabgeordneten Prof. Walter Eykmann, weil der Landesvater kürzlich für mehr mehr Prüfungen und frühere Benotungen an den Schulen plädierte - pädagogischer Unsinn, sagen Fachleute.
Achtsamer Umgang miteinander
Immer wieder wurde an diesem Abend deutlich, dass es der achtungsvolle Umgang miteinander ist, der das Lehren und Lernen fördert. Druck hingegen schürt Versagens-Ängste. Das bestätigten AHS-Sprecherin Ute Maunz, MdL Karin Radermacher und Bürgermeisterin Marion Schäfer (beide SPD) ebenso wie MdL Eykmann (CSU). Der ehemalige Leiter des Schulamtes Würzburg-Land, Fritz Schäfer, schließlich: "Was sollen die vielen Prüfungen? Wenn ich mein Auto jeden Tag zum TÜV fahre, wird es auch nicht besser. Ich muss in die Werkstatt!" Doch im derzeitigen Schulsystem fehlten die Möglichkeiten, gute Ideen umzusetzen.
Buchautorin und Gymnasiallehrerin Marga Bayerwaltes (Buchtitel: "Große Pause - Nachdenken über Schule") plädierte für knappe Ziel-Vorgaben im Lehrplan und für mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Vertrauen in die Fähigkeiten der Lehrer. Allerdings sollten (auch Gymnasial-) Lehrer bessere pädagogische und psychologische Voraussetzungen mitbringen, und wenn es nach der Autorin geht, nähme sich unser Schulsystem ein Beispiel an den skandinavischen Ländern: Dort sind Lehrer keine Beamte und können auch entlassen werden. Kontrolle durch Schulräte wie hierzulande gebe es nicht, dafür aber psychologische Eignungsprüfungen zu Beginn der Lehrer-Laufbahn. Getestet würden Kommunikations-Stärke, Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit und vor allem die Fähigkeit zur Selbstkritik. Das Lehrer-Praktikum beinhalte eine Selbst-Überprüfung.
Starke Lehrer - starke Schüler
Nur selbstbewusste Lehrer könnten ihre Schüler motivieren und stärken, nicht aber solche, die eher aus Verlegenheit in den sicheren Beamten-Status flüchten. Damit Lehrer in der Lage sind, sowohl schwache wie auch starke Schüler ihrer Begabung nach zu fördern, wären mehr Lehrer pro Klasse nötig, so Bayerwaltes. In den skandinavischen Ländern habe eine Klasse oft drei Lehrer, darunter einen "Kurator", der die ständige Verbindung zu den Eltern aufrecht hält. Schul-Psychologen und -Ärzte gehörten zum Konzept, der "Herzens-Kontakt" und eine freundschaftliche Beziehung seien üblich. Zwischen jeder Schulstunde gebe es Zeit, um miteinander zu reden, und regelmäßige Entwicklungs-Gespräche seien Programm - oft mit besonderen Abmachungen für die nächste Zukunft. Kein Sitzenbleiben, keine massiven Benotungen. Unter diesen Voraussetzungen wachse Leistungsbereitschaft.
Keine Lernmaschinen
Provokativ zeichnete Bayerwaltes das Bild von "Reform-müden und Fortbildungs-resistenten Lehrern" in Deutschland, die "die Flucht in Krankheit und Frühpension antreten", und frustrierten Schülern, die sich als "unmündige Befehlsempfänger einer vorgesetzten Behörde" herabgewürdigt fühlten. Nicht zuletzt Hausherr Pfarrer Prof. Hans Joachim Petsch äußerte seine Bedenken, die Schüler hierzulande würden zu Lern- und Überlebenskampf-Maschinen getrimmt. Er appellierte, Bürgerbewegungen wie die Aktion Humane Schule weiter zu tragen.
Die Aktion Humane Schule wurde in Würzburg von Ingeborg Zeitler und Pfarrer Hermann Blendinger gegründet. Sie hat seither Schul-Themen in die Öffentlichkeit getragen und kritisch diskutiert, darunter die zu vollen Klassen, die Abschaffung der Test-Aufgaben beim Übertritt ins Gymnasium oder die Frage von Diagnose- und Förderklassen an Grundschulen. Besonders markantes Projekt ist das Zeugnistelefon.