"Milchsuppe war lecker." "Und zu Weihnachten Plätzchen - endlich Süßigkeiten!" Sie sind wieder Kinder, zwischen zwei und 14 Jahre alt, wie sie zusammensitzen im Speisesaal des Jeremias-Gotthelf-Heimes in Grombühl. Nach 38 Jahren feierten Heimkinder der 60er Jahre jetzt ein Wiedersehen, mit David Schiesel, einem Mischlingskind, das 1956 als Zweijähriger ins Heim kam und bis 1964 blieb. Bis ihn seine Mutter mit in die USA nahm. Jetzt besuchte der 48-Jährige seine Kindheitsstätte.
"Diese Stufen waren der Horror", stöhnt eine Frau beim Gang durch die Einrichtung. "Die mussten wir wienern bis sie glänzten." Putzkräfte gab es nicht. "Wir mussten alles selber machen." Der Küchendienst ist ihnen im Gedächtnis geblieben, das Strümpfe stopfen und auch das stundenlange Pulen von Obst. "Beim Erdbeeren Zupfen mussten wir singen, damit wir nicht naschen konnten." Nicht erinnern dagegen können sie sich, ob die eingeweckten Sachen auch auf ihrem Teller gelandet sind. "Vielleicht haben sie die verkauft", überlegt eine Ehemalige. Geld war im Heim knapp. Pro Kind gab es 22 Mark. Das Taschengeld betrug 50 Pfennige in der Woche. "Doch wir waren schlau", weiß ein Ehemaliger noch. "Wir haben Kirschen geklaut hat, und Zwetschgen, in Nachbars Garten." Bis einmal eine ganze Gruppe von Jungen Durchfall bekam, und Bauchschmerzen. Da gab's zur Strafe Dresche.
"Es wurde viel geschlagen", sagt ein Mann. Und seine ehemalige Erzieherin bestätigt: "Wir waren sehr streng". Auch David Schiesl erinnert sich wieder an die eine oder andere Kopfnuss, "weil ich mich nachts in den Schlaf gewiegt habe und dabei immer mit den Füßen gegen den Bettkasten geschlagen habe".
Alles war reglementiert, Disziplin und Ordnung oberstes Gebot. Morgens wurde in Reih und Glied angetreten, abends die Kleider ordentlich auf einem Hocker zusammengelegt. "Ich kann heut' noch nicht Klamotten einfach hinschmeißen", erzählt eine Frau. Und ein Mann gesteht: "Ich hatte beim Bund keine Probleme. Ich hab' funktioniert."
Unversöhnliche Erinnerungen
Wurde das Haus verlassen, war Gänsemarsch in Zweierreihe Pflicht, auf dem Weg zur Pestalozzi-Schule ebenso wie zum sonntäglichen Gottesdienst über die Grombühler Brücke in die Johanniskirche. Die ersten drei Bankreihen waren stets den Heimkindern vorbehalten. Anschließend ging es zum traditionellen Spaziergang in den Hofgarten. "Wie ich das gehasst habe", sagt eine Frau. "Wir hatten alle die gleichen Sonntagssachen an. Die Mädchen Dirndl-Kleider. Die Buben weiße Hemden und Lederhosen. Jeder konnte sehen: Da kommen die Heimkinder."
Auch in der Schule fiel man auf. "Mit uns wollte keiner Pausenbrote tauschen. Wir hatten immer Leberwurst oder Schmalz drauf." Außerdem bogen sich die Brotscheiben nach oben - sie wurden bereits am Abend zuvor geschmiert und über Nacht im Kühlschrank gelagert.
Besonders unversöhnlich gehen die ehemaligen Kinder mit der damaligen Heimleiterin Schwester Grete ins Gericht. Zu oft haben sie vor ihrer Zimmertüre in den frühen Morgenstunden singen müssen, leise sein und beten, immer wieder beten. Auch mit Schwester Hanni - Spitzname: das U-Boot - haben die Kinder von damals noch Rechnungen offen: "Die hat sich immer angeschlichen." Allein die eine oder andere Erzieherin, bleibt vor Kritik geschützt. "Tante Luise war toll", sind sich alle einig.
Und schon leuchten die schönen Momente auf. Wie man im Sommer im flachen Schwimmbecken im Garten tobte. Dass man auf Kiliani auf den Fahrgeräten Freifahrten hatte. . .
Nicht nur David Schiesl schwirrt am Ende des Ehemaligentreffens der Kopf. Für heute ist's genug. Doch hat er viele Freunde wiedergefunden. Will mit ihnen in Kontakt bleiben. Es gibt noch so viel zu erzählen.