Das hatte sich die NS-Gauleitung anders und vor allem leichter vorgestellt: Die Frage, wie die enteignete Abtei Münsterschwarzach am besten für nationalsozialistische Zwecke genutzt werden konnte. Sie war im Mai 1941 wegen „Reichsfeindlichkeit“ aufgelöst, beschlagnahmt und enteignet worden. Die verantwortlichen NS-Beamten spielten verschiedene Optionen bezüglich einer Nutzung durch – und verwarfen sie schließlich.
Nachdem die Gauleitung feststellen musste, dass sich das vermutete große Vermögen als nicht vorhanden erwies, versuchte sie den großen Klosterkomplex an nationalsozialistische Dienststellen abzustoßen. Die „Deutsche Arbeitsfront“ zeigte sich interessiert. Wegen der vorhandenen Werkstätten und des landwirtschaftlichen Mustergutes dachte sie an die Etablierung einer „Reichsschule des deutschen Handwerks“. Dafür hatte sich der Kitzinger NSDAP-Kreisleiter Willy Heer stark gemacht und davon geträumt, dadurch den Kreis Kitzingen zu einem neuen „Zentrum großdeutscher Handwerkskunst“ aufwerten zu können.
Durchaus plausibel erschien ein weiterer Vorschlag, in dem aufgelassenen Kloster eine „Kolonialschule des Reichskolonialbundes“ einzurichten, weil ja die Abtei in Korea und Afrika Missionsstationen hatte. Daneben konnten sich die Behörden die Gebäude des Klosters als Erholungsheim für Afrikakrieger vorstellen. Aber nach einigem Hin und Her blieb am Schluss nur noch das Interesse der NSDAP an der Errichtung einer elitären Adolf-Hitler-Schule übrig, um den Parteinachwuchs zu schulen.
Einem solchen Vorhaben stand jedoch schon rein optisch die weit in die Landschaft hineinragende, mächtige Kirche mit ihren vier Türmen im Wege. Sie wäre zu einem weiteren Stein des Anstoßes geworden. Denn die Vertreibung der Mönche hatte dem NS-Regime einen großen Sympathieverlust gebracht. Münsterschwarzach galt weithin als ein abschreckendes Symbol der kirchenfeindlichen NS-Politik. In einem Kloster ausgerechnet eine „Adolf-Hitler-Schule“ einzurichten, wäre gewiss als eine weitere Provokation der ohnehin schon aufgebrachten Bevölkerung aufgefasst worden.
Immerhin hatten die Leute aus der Umgebung zweimal durch Missfallenskundgebungen und Blockaden die Schließung des Klosters durch Gestapo-Leute verhindern können. Am Ende nutzte man das Kloster nicht parteipolitisch, sondern zunächst als Umsiedlerlager für Russlanddeutsche und dann als Reservelazarett der Wehrmacht.
Deswegen wurden zwei Priestermönche und mehr als 50 Laienbrüder zwangsverpflichtet. Diese im NS-Sprachgebrauch „ehemaligen Klosterangehörigen“ konnten den mönchischen Tagesablauf im Kloster weitgehend einhalten – sozusagen unter dem Schutz der Wehrmacht. Sie hatten für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Betriebes, die Versorgung und die Verwaltung des Lazaretts zu sorgen.
Für die seit 1942 mehr als 300 Verwundeten war zunächst Dr. Brähler aus Werneck zuständig. Er wurde 1944 von Dr. Hans Nüßlein aus Sommerach als Oberstabsarzt abgelöst. Nüßlein war bereits Hausarzt des Klosters, ein positiv denkender Mensch und ein Freund der Mönche. In seiner Arztpraxis behandelte er alle Patienten, auch wenn sie nicht versichert oder arm waren.
Besondere Verdienste sollte er sich 1945 erwerben, als die Amerikaner anrückten. Er konnte als angesehener Lazarettarzt in letzter Minute den Kommandeur der verbliebenen deutschen Truppe überreden, Münsterschwarzach keinesfalls gewaltsam zu „verteidigen“. Dadurch konnte Nüßlein wahrscheinlich Gebäudeschäden vermeiden und ein Blutbad verhindern. Denn die Amerikaner standen mit schweren Waffen zum Angriff bereit, zumal in ganz Münsterschwarzach keine einzige weiße Flagge zu sehen war.
Gegen diesen verdienstvollen Arzt begann nach noch unveröffentlichten Forschungen von Prof. Johannes Mahr kurz vor Kriegsende ein „übles Spiel“, wie er es nennt. Drahtzieher waren Professoren der Medizinischen Klinik des Luitpoldkrankenhauses in Würzburg. Als es im Bombenhagel vom 16. März 1945 schwer getroffen wurde, verlegte man die chirurgische Abteilung nach Münsterschwarzach.
Nach der Rückkehr der Mönche einen Monat später beanspruchte Abt Burkard Utz die Räume. Noch aber war die Lage instabil und die Abtei offiziell enteignet. Diesen Umstand nutzten die Würzburger Ärzte, bei denen es sich teilweise um sehr bekannte Professoren handelte. Sie hintertrieben die Anordnungen des Abtes, das Lazarett und andere Räume im Kloster zu verlassen.
Denn sie wollten heimlich und auf kaltem Wege das Abteigelände für eine private Nervenklinik nutzen. Unbemerkt von den amerikanischen Behörden entließen sie noch schnell „mit viel Intrigen“ den Lazarettarzt Dr. Nüßlein und ersetzten ihn durch den „willfährigen Oberstabsarzt Dr. S.“, hält die Chronik des Klosters fest. Doch der Coup scheiterte, als die Mönche energisch dagegen protestierten und den amerikanischen Lazarettarzt „von diesen Machenschaften“ überzeugen konnten.
Erst im August 1946 wurde das Lazarett ganz aufgelöst. Dr. Hans Nüßlein war zuvor wieder als dessen Chefarzt eingesetzt worden. Die in Münsterschwarzach tätigen hochrangigen Mediziner, die von den Wirren der Nachkriegszeit profitieren und noch schnell eine Nervenklinik aufbauen wollten, zogen sich zurück. Anscheinend durften sie zunächst in der ersten Nachkriegszeit ihren Beruf nicht ausüben.
Diesen Schluss lassen die ersten Vorlesungsverzeichnisse der Universität Würzburg nach dem Krieg zu. Darin erscheinen die prominenten Mediziner zunächst nicht mehr. Jedoch ab dem Sommersemester 1950 ist ihre unrühmliche Vergangenheit innerhalb des NS-Systems offenbar bewältigt. Ihre Namen tauchen in den Matrikeln wieder auf.