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WÜRZBURG: Demenz und Kultur: Geht nicht? Geht doch!

WÜRZBURG

Demenz und Kultur: Geht nicht? Geht doch!

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    Die beiden Fotokunstwerke zeigen, wie kreativ Menschen mit Dement sein können, so Sabine Seipp (links) und Sophia Kippes vom Halma-Projekt "Demenz und Kultur".
    Die beiden Fotokunstwerke zeigen, wie kreativ Menschen mit Dement sein können, so Sabine Seipp (links) und Sophia Kippes vom Halma-Projekt "Demenz und Kultur". Foto: Foto: Pat Christ

    Früher haben sie gern gesungen. Im Kirchenchor oder im Gesangsverein. Manchmal ging es ins Theater, ins Konzert oder in eine Ausstellung. Damit ist nach einer Demenz Schluss. Angehörige trauen sich plötzlich nicht mehr, mit dem altersverwirrten Partner oder Vater eine Kulturveranstaltung zu besuchen. „Kultur und Demenz, das ist noch immer ein großes Tabu“, bestätigt Sabine Seipp vom Verein „Halma – Hilfen für alte Menschen im Alltag“. Seit zwei Jahren arbeitet Halma daran, dieses Tabu zu brechen.

    Im Büro der Halma-Mitarbeiterin hängen zwei Fotokunstwerke, die zeigen, wie kreativ Menschen mit Demenz sein können. Blickfang des einen ist ein riesengroßer grüner Ball. Sein Standort ist ungewöhnlich: Er thront auf einem „Klo“. „Glob-Balisierung“ ist das Foto unterschrieben. Das andere Bild zeigt eine Rosette aus herbstlichem Laub, in der Mitte befindet sich eine Uhr. „Herbsturlaub“ heißt dieses Werk. „Das soll ein Mensch mit Demenz gestaltet haben?“, wird Seipp oft ungläubig gefragt, wenn der Blick eines Besuchers auf die Fotografien fällt.

    Die Psychogerontologin nickt. Bereits seit 20 Jahren leidet dieser Künstler an Demenz.

    Projekt will Akteure aus der Würzburger Kulturszene gewinnen

    Demente Menschen können sehr viel mehr, als man ihnen zutraut. Das belegt das unterfrankenweit einzigartige Halma-Projekt „Demenz und Kultur“, das aus einem 2015 gegründeten, gleichnamigen Arbeitskreis hervorging. „Den Arbeitskreis gibt es immer noch“, berichtet Museumspädagogin Sophia Kippes, die für das Projekt verantwortlich ist. Mit Mitteln aus der bundesweiten Initiative „Lokale Allianz für Menschen mit Demenz“ konnte im Herbst 2016 parallel eine Projektstelle geschaffen werden. Die hat zum Ziel, Akteure aus Würzburgs Kulturszene dafür zu gewinnen, Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen Kulturerlebnisse zu ermöglichen.

    In den vergangenen eineinhalb Jahren konnte Sophia Kippes zahlreiche Kulturinstitutionen zum Mitmachen motivieren. Soeben erschien das dritte Semesterprogramm mit Kulturtipps für Menschen mit Demenz. Zehn Veranstaltungen sind diesmal aufgelistet. Der Reigen beginnt am 24. Februar um 15 Uhr mit einer Entdeckungs- und Erinnerungstour durch das Museum im Kulturspeicher. Unter der Überschrift „(Un)Vernunft“ findet am 20. Mai während des Mozartfests ein Konzert für Menschen mit Demenz statt. Die Musikhochschule organisiert am 30. Juni während der Landesgartenschau ein Mehrgenerationenkonzert.

    Was normalerweise stört, ist erlaubt

    Veranstaltungen für Menschen mit Demenz sind laut Seipp ein bisschen anders als konventionelle Kulturevents: „Es kann durchaus sein, dass ein alter Mensch während eines Konzerts mitsingt oder dass er aufsteht und herumläuft.“ Dasselbe kann bei einer Theatervorstellung passieren. Demenziell veränderte Besucher einer Lesung in der Stadtbücherei bekommen vielleicht plötzlich Lust, durch die Reihen der Buchregale zu schlendern. Was normalerweise störend wäre, ist bei den Halma-Veranstaltungen erlaubt. Denn gleichwohl es um Kultur geht: Der Mensch und sein Wohlfühlen stehen im Mittelpunkt.

    Das, was kulturell geboten wird, ist gleichzeitig kein bisschen „minderwertiger“ als das, was bei regulären Kulturangeboten präsentiert wird. Besonders eindrucksvoll stellen dies die Elementaren Musikpädagogen der Musikhochschule unter Beweis. Sie bieten Konzerte auf höchstem Niveau an – wo dennoch niemand erwartet, dass die Zuhörer ununterbrochen brav, still und schweigsam auf ihren Plätzen sitzen.

    Die Museumsführung beginnt schon an der Empfangstheke

    Noch etwas unterscheidet die ins Halma-Programm aufgenommenen Kulturangebote von dem, was sonst in der Stadt geboten wird. „Die Veranstaltungen haben einen speziellen Rahmen“, erläutert Seipp. Eine Führung im Kulturspeicher zum Beispiel beginnt nicht erst dort, wo die Kunstwerke hängen: „Sondern an der Empfangstheke.“ Die Menschen mit Demenz kaufen sich ihre Karten selbst. Allein das ist ein Erlebnis: „Denn oft wird ihnen dies einfach abgenommen.“ Ungewöhnlich ist auch, dass jeder einzelne mit Handschlag begrüßt wird. Auch geht man am Ende nicht einfach auseinander: „Meist gibt es noch etwas zu essen und zu trinken.“

    Dass es ein „Extra-Programm“ gibt, heißt wiederum nicht, dass Menschen mit Demenz nicht auch ganz „normale“ Kulturveranstaltungen besuchen dürften. „Unser Projekt soll nicht zuletzt dazu beitragen, dass sich Kulturinstitutionen im Sinne der Inklusion ändern“, erläutert Kippes. Sie sollen von ihrem elitären Nimbus abkommen und offen werden für alle Menschen. Nichts anderes bedeutet das Recht auf kulturelle Teilhabe nach der UN-Behindertenrechtskonvention.

    Sechs Ehrenamtliche helfen mit

    Weil es dennoch nicht ganz einfach ist, mit einem dementen Angehörigen ins Theater oder zu einer Lesung zu gehen, begann Halma vor zwei Jahren, Kulturbegleiter auszubilden. Sechs Ehrenamtliche unterstützen Menschen mit einem an Demenz leidenden Verwandten bei kulturellen Unternehmungen. Mag der Mensch mit Demenz nicht länger dem Schauspiel zuschauen, steht der Kulturbegleiter mit ihm auf und geht hinaus. Je nachdem, was vorher abgesprochen wurde, begleitet er ihn nach Hause oder unternimmt mit ihm einen Spaziergang durch die Stadt.

    2019 sollen weitere Kulturbegleiter für Menschen mit Demenz ausgebildet werden. Sabine Seipp und Sophia Kippes möchten das Projekt „Demenz und Kultur“ außerdem ausbauen. Allerdings bräuchte es dazu Geld. Das momentan nicht in Sicht ist. Die Förderung über die „Lokale Allianz für Menschen mit Demenz“ läuft am 31. August aus. Seipp: „Wir wissen nicht, wie es danach weitergeht.“ Ihr großer Wunsch wäre, dass sich die Stadt Würzburg in Zukunft für das Projekt engagiert. Würde es doch hervorragend zum städtischen „Aktionsplan Inklusion“ passen.

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