Es ist die erste Demonstration für Egon Kraft aus Thüngersheim. Zusammen mit gut 180 anderen hat er sich am Bahnhof des kleinen Winzerortes im Landkreis Würzburg am Samstag getroffen, um zum gut zwei Kilometer entfernten Steinbruch zu ziehen. Dort werden gerade fünf Hektar Wald umgehauen, weil die Baustoff-Firma Benkert mehr Abbaufläche benötigt. "Wir haben eine Verpflichtung für weitere Generationen, unsere Natur zu erhalten", sagt Kraft - und die vielen Mitstreiter applaudieren kräftig.

Die Initiative "Kein Hektar mehr", entstanden aus "Ende Gelände" - die Gruppe engagiert sich gegen den Abbau von Braunkohle im Hambacher Forst - hat kurzfristig zur Demonstration aufgerufen und kurzerhand alles arrangiert. "Wir sind überwältigt von der Masse an Menschen", sagt Nemo, einer der Initiatoren. Dann wird seine Stimme übertönt von Demonstranten. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Bäume klaut", skandieren sie lautstark. Unter ihnen ist auch der alteingesessene Thüngersheimer Max Wolf, der den Wald noch aus Kindheitstagen kennt. "1963 bereits hat die Firma Benkert begonnen, die Natur auf der Höhfeldplatte zu zerstören", sagt er. Dass nun auch der letzte Rest kaputt geschlagen wird, könne er überhaupt nicht verstehen. "Mir blutet das Herz."

Im Mai 2009 hat das Würzburger Landratsamt die Rodung des Waldes zur Erweiterung des Steinbruchs erteilt - und in den Jahren 2012 und 2015 jeweils verlängert. Weil dabei die untere Naturschutzbehörde des Landratsamtes nicht mehr beteiligt wurde, sind viele auf das Amt sauer. Sie zweifeln an, ob die Genehmigung überhaupt rechtens ist. Die Kreisgruppe Wüzburg des Bund Naturschutzes hält die artenschutzrechtliche Prüfung für "grottenschlecht" und fordert eine erneute Überprüfung. Diese wird es jetzt auch geben, sagte Landrat Eberhard Nuß (CSU) am Freitag in einer Pressekonferenz zu. Mit dem Steinbruchbesitzer habe er vereinbart, dass erst einmal fünf statt der vorgesehen 9,8 Hektar gerodet werden. In der Zwischenzeit würde die Naturschutzbehörde dann eine Bestandsaufnahme der geschützten Tier-, Vogel- und Pflanzenarten vornehmen.

Viele Demonstranten halten dies für einen "faulen Kompromiss". Denn erstens habe die Firma Benkert das bekommen, was sie sowieso im ersten Abschnitt wollte, nämlich fünf Hektar gerodeten Wald. Und zweitens zweifeln sie an, dass nach der Rodung überhaupt noch eine korrekte Artenschutzprüfung möglich ist. "Wir stehen weiter zu unserer Forderung, die Rodung sofort zu stoppen", sagt deswegen Gerda Rösch vom BN-Kreisvorstand. "Hopp, hopp, Rodungsstopp" fordern die Demonstranten lautstark.
Wo ist der Landrat und seine Stellvertreterin?
Der Thüngersheimer Egon Kraft vermisst Landrat Nuß bei der Demonstration. "Auf jeden Fest lässt er sich blicken", schimpft er, "aber hier nicht. Dabei ist das heute ein Fest für die Natur." Nuß hatte am Freitag die Rodung des Waldes noch bedauert. "Da blutet mir das Herz", sagte er, verwies aber auf die bestandskräftige Genehmigung der Firma Benkert.
Unter den Demonstranten vermissen die Thüngersheimer auch die stellvertretende Landrätin Karen Heußner (Bündnis90/Die Grünen), die im Ort wohnt. Entschuldigt wird sie von der Grünen Landtagsabgeordneten Kerstin Celina. "Sie ist auf einer kommunalpolitischen Veranstaltung in Karlstadt. Da hat sie schon vor langer Zeit zugesagt."

Kerstin Celina hat mittlerweile eine schriftliche Anfrage an die Staatsregierung gerichtet. Sie will unter anderem klären lassen, ob zum Beispiel eine spezielle Artenschutzprüfung durchgeführt wurde. "Dass vor Rodungsbeginn nicht mit den Thüngersheimern geredet wurde und mit einer zehn Jahre alten Genehmigung nun zehn Hektar Wald gerodet werden sollen", findet die Grünen-Politikerin "unerhört". Sie fordert: "Die höhere und unteren Naturschutzbehörden müssen personell besser ausgestattet werden. Hier müssen die besten arbeiten, damit solche Fehler nicht mehr passieren." Dass viele heute noch in T-Shirts, manche sogar barfuß, zur Demonstration gekommen sind, zeige, wie weit wir in der Klimakrise sind, so Celina.

Unter den Demonstranten ist auch der Grüne Kreisrat Fred Stahl aus Theilheim. "Seit 40 Jahren bin ich für den Umweltschutz aktiv. Endlich bewegt sich was", freut er sich. Stahl wollte zusammen mit Andrea Angenvoort-Baier, einer juristischen Beraterin seiner Fraktion, nicht wie ursprünglich dargestellt mit einer Anwältin, beim Landratsamt Einsicht in die Akten nehmen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen durfte er die Akten aber nicht sofort einsehen. Ein Mitarbeiter habe ihn darauf hingewiesen, dass die Behörde nach dem Umweltinformationsgesetz bis zu vier Wochen Zeit habe. Er sei aber nicht mit den Worten weggeschickt worden, dass er in vier Wochen wiederkommen soll, berichtigt er eine falsche Darstellung dieser Redaktion.
