Wenn du aus der Stadt kommst, hörst du die Stille von Kleinrinderfeld. Gehst durch Sträßchen und Gässchen, schaust, schnupperst, bist auf dem Land, siehst und riechst überall Land; hier vergeht die Zeit langsamer, kein Zweifel.
Hier, in der Guttenberger-Wald-Straße, wohnt der Bildhauer Joachim Koch und lebt ein Leben in Abgeschiedenheit, ohne Internet, ohne Fernseher. Er sagt, er verstehe seine Zeitgenossen nicht, diese Leute mit den Stöpseln in den Ohren; die kapselten sich ab von der Welt. Nicht, dass er keine Musik hörte, ganz im Gegenteil. Koch, Jahrgang 49, liebt Jazz und Punk und Schubert und auch sonst noch alles Mögliche – aber wenn er Musik hört, dann richtig, nicht als Nebenhergeriesel.
Zwei, drei Stunden zu Besuch bei Joachim Koch, in seiner Wohnung, seiner Werkstatt und seinem Lager. Man sieht es, man riecht es: Der Bildhauer Koch, 1996 Kulturpreisträger der Stadt Würzburg, arbeitet mit Schwermetall. Er schweißt geometrische Skulpturen aus Stahl, erstaunliche Gebilde. Aus zwölf Eisenstäben, jeder 40 Millimeter dick, schweißt er den Rahmen eines Würfels. Schweißt einen weiteren Würfel dran, noch einen und noch einen, millimetergenau, nach dem Plan in seinem Kopf. Und was hat er geschaffen, wenn er fertig ist? Schwer zu sagen. Ein Schwergewicht. Harmonie aus Eisen. Die Formen sind harmonisch; das sieht aus, als könne es gar nicht anders aussehen. Die Wirkung: kraftvoll, aber, warum und wie auch immer, widerborstig, nicht gefällig. Koch sagt, er möge keine Harmlosigkeiten, mit denen man das Gemüt beruhigt. Er kenne wunderbare figürliche Bildhauer. Aber die seien ihm alle zu liebenswürdig.
Er sagt, er beneide die Maler und Schriftsteller, weil die mobil sind mit ihrer Kunst. Die Bildhauerei sei halt kein Wanderzirkus; als Bildhauer sitzt er fest und kann nicht fort. Dabei kann er malen, er hätte Kunstmaler werden können. Konnte er nicht, sagt er, weil er beim Pinsel keinen Widerstand spüre. Wo er zu viele Möglichkeiten habe, verlaufe er sich. Lieber beschränke er sich „auf ein paar Dinge“ und versuche, mit denen eine neue Welt zu erschließen.
Koch beschreibt einen „großen sinnlichen Zugang“ zu seinem Material. Er möge den Dreck, den Geruch, das Haptische. Er erlebe seine Arbeit als Abenteuer. „Und wenn es geklappt hat, ist Euphorie da für einen Tag und dann ist man wieder nackt. – Ich brauche das.“ Koch plagt sich. Er vermutet, dass das eine triebhafte Angelegenheit sei, oder eine Sucht.
Nahe Moos, wo er sein Lager hat, erstreckt sich eine riesige Solaranlage, mit weißen Häuschen zwischen den dunklen Lichtfängern. Er hält diese weißen Häuschen fast nicht aus. Die passen einfach nicht. Er schaut viel und sieht nur wenig, was ihm gefällt, weil es stimmig und doch nicht belanglos ist. Er kommentiert und deutet und interpretiert, als stünde er unter einem Zwang. Und du glaubst: Der will nicht nur alleine sein. Der muss auch alleine sein.
Als er vor 15 Jahren den mit 15 000 Mark dotierten Kulturpreis der Stadt Würzburg verliehen bekam, berichtete die Main-Post, er sei „kein Zeitgeist-Surfer“. Koch war ans Mikrofon gegangen, um jene zu rüffeln, die gerade Lob und Preis über ihn ausgeschüttet hatten. Er sprach von der Hassliebe, die er für Würzburg empfindet, für „diese, vom Wein, der Kirche und dem Barock geprägten Stadt“ und davon, dass er gegen die „scheinbare Unüberwindlichkeit von Antiquitätenläden, dieses Machtmonopols der Bürgerlichkeit“ ankämpft. Heute sieht er Würzburg nicht anders: „Da zeitgenössische Architektur durchzusetzen, mal einen ordentlichen zeitgenössischen Bau hinzustellen, das ist kaum zu machen.“
Im Schweinfurter Stadtteil Zürich ist ihm Anfang 1993 die Abneigung gegen (seine) zeitgenössische Kunst um die Ohren geflogen. Eine Bürgerinitiative meinte, seine einen Meter hohe und vier Meter lange, im Zick-Zack gereihte Stahlskulptur, genannt „Raupe“, sei zu modern für den alten Stadtteil. Koch meint, mit Attacken sei immer zu rechnen, wenn Unbekanntes Unsicherheit auslöst und Unbekanntes Aggressionen. Er würde gerne zeigen, „dass es gar nicht so schwierig ist, sich auf Kunst einzulassen“.
Im Jahr 2010 verkaufte der Schwergewichtsbildhauer Koch nicht eine Arbeit. Die Zahl der Arbeiten in seinem Lager ist größer als die Zahl der Arbeiten, die er jemals verkauft hat. Er ist kein Darling der Kunstszene. Er mag die Vernissagen nicht und fürchtet die Ausstellungen, obwohl sie für ihn das sind, was für den Schauspieler die Bühne ist. Eine Ausstellung, zitiert er seinen Freund, den Künstler Dieter Stein, ist wie ein Gang zum Schafott.
Koch hält sich für einen guten Künstler, natürlich. Er attestiert sich Größenwahn. Anders, sagt er, wäre das nicht auszuhalten.
„Das“ sind die Selbstzweifel, vor allem, wenn er nichts verkauft. Dann nagen die Fragen: Liegt es an ihm, an seiner Arbeit? Ist es die Qualität oder die Aussage? Müsste er nicht mehr Wind um seine Arbeiten machen und bekömmlicher sein im Umgang mit finanziell potenten Kunstliebhabern?
Er führt einen Kaufwilligen durch sein Lager, erklärt dieses und jenes und wird bockig. Der Kunde hätte gerne diese Skulptur da in der Ecke, aber bitte in einer anderen Farbe. Koch weist ab. „Ich mach ums Verrecken nicht so was“, antwortet er, und dass er das Stück lieber noch 20 Jahre unverkauft in der Ecke stehen lässt, als dass er etwas macht, was nicht stimmig ist.
Dann sitzt er da in seiner Abgeschiedenheit, ohne Verkäufe, zehrt ein kleines Erbe auf und weiß nicht, woher er die Kraft nehmen soll, um durch dieses Tal zu gehen. Er ruft einen an, von dem er glaubt, dass er ihm keine Sahne ums Maul schmiert: „Komm einfach mal vorbei und sag mir, was du von meinem Scheiß hältst.“ Der Freund kommt, erkennt Kochs Kunst und spricht Mut zu. Dann geht es wieder.
Koch, möchte man meinen, schafft seine Kunst nach seinem Ebenbild: schwer, eigensinnig, tiefgründig, anspruchsvoll und auf der Suche nach Antworten, zu denen er die Fragen noch gar nicht hat. Er sagt: „Ich habe die diplomatische Schule nicht besucht. Deswegen habe ich Probleme.“ Koch mag keine Harmlosigkeiten und ist auch nicht harmlos. Dabei „wache ich ja nicht auf und will meine Mitmenschen ärgern. Ich denke es ist einfach meine verdammte Pflicht, es gut zu machen und auf den Punkt zu bringen.“
Als junger Mensch hat Koch an der renommierten Folkwangschule in Essen studiert. Eine Befreiung war das für ihn, den gebürtigen Würzburger, da war immer was los und alles ein Erlebnis. Die Inspiration aus dieser Kunst-Welt fehlt ihm. Aber in einer Großstadt will er nicht arbeiten, da ist ihm die Ablenkung zu groß. So hängt er fest im stillen Kleinrinderfeld und findet nichts, das ihn dort hält. Er würde gerne Richtung Hamburg ziehen, weil er die Ebenen liebt, den weiten Horizont und das Licht. Wenn ihm wer was anbieten würde, ginge er weg.
Er sagt: „Ich würde gerne leichter leben. Ich mach's mir, glaub ich, schwerer, als ich müsste.“