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Die Extreme von Liebe und Hass bei Leonhard Frank

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Die Extreme von Liebe und Hass bei Leonhard Frank

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    Leonhard Frank, geboren 1882 im Mainviertel, aufgewachsen als Sohn armer Eltern, Volksschüler, gequält von einem sadistischen Lehrer, absolvierte eine Mechanikerlehre, wurde Kunstmaler, verließ Würzburg, wandte sich erst nach München, dann nach Berlin, wurde zu einem der großen deutschsprachigen Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ein Antifaschist und Sozialist, starb 1961, verfemt in Westdeutschland, und wurde vergessen.

    Nur wenige Enthusiasten erinnerten sich 1982 noch gerne an ihn; sie gründeten die Leonhard-Frank-Gesellschaft (LFG) und holten ihn ins öffentliche Bewusstsein zurück. 2007, zu ihrem 25-jährigen Bestehen, hielt die LFG ein Symposium ab. Nun, zum 50. Todestag Franks, bringt sie die fünf Vorträge des Symposiums als Heft 18 ihrer Schriftenreihe heraus.

    Der zentrale der lesenswerten Aufsätze stammt von Hans Steidle, Würzburgs Stadtheimatpfleger und profunder Frank-Kenner. Er zeigt, wie aus dem vor Angst stotterndem Buben Leonhard ein „erfolgreicher und politisch motivierter Schriftsteller in einem halben Jahrhundert extremster deutscher Geschichte“ wurde.

    1904 ging Frank, 22-jährig, nach München und blieb sechs Jahre lang. Dort traf er auf den österreichischen Psychoanalytiker und Anarchisten Otto Groß, einen Schüler Sigmund Freuds. Von Groß übernahm er, berichtet Steidle, einen tiefenpsychologischen Ansatz der Weltbetrachtung, wonach alle Einflüsse aus der Umwelt die Psyche von frühester Kindheit an prägen. Nach dieser Lehre führen traumatische Erlebnisse, Demütigungen und Unterdrückung zu persönlichen Verdrängungen und psychischen Deformationen.

    Groß gab Frank damit ein Werkzeug in die Hand, mit dem der sich selbst begreifen konnte. Denn der groß gewachsene, gut aussehende, hagere Würzburger war im Unreinen mit sich, eine Folge seiner Kindheit zwischen Extremen. Hier Sicherheit und Geborgenheit durch die Liebe der Mutter, da Gewalt und bittere Erniedrigung, erlitten in der Schule durch den Lehrer Georg Dürr. Frank berichtet in seinem autobiografischen Roman „Links wo das Herz ist“ von seiner großen Not während der Schulzeit, „herzabdrückend und die Seele verwundend“: „Das Ärgste war die Angst. Seine Erziehungsmethode war, die Knaben in Angstbesessene zu verwandeln. Das Schulzimmer war mit Angst geheizt.“

    Frank lebte und schrieb zwischen den Extremen Gewalt und Liebe. Er liebte die Frauen und sie liebten ihn; dreimal heiratete er. Zweimal flüchtete er ins Exil, als Pazifist im ersten Weltkrieg, als Antifaschist vor den Nazis; da kam er mit knapper Not mit dem Leben davon.

    1917 erscheint Franks Novellensammlung „Der Mensch ist gut“, geschrieben im Schweizer Asyl. In der Novelle „Die Kriegskrüppel“ beschreibt er das Grauen in der „Metzgerküche“, einem Operationsraum, in dem verwundeten Soldaten Glieder amputiert werden. Der Schriftsteller Kurt Pinthus urteilt 1919: „Nichts Entsetzlicheres, Nervenaufpeitschenderes, Unbarmherzigeres“ habe jemals „Menschenhand zu Papier gebracht“ als diese Novelle.

    Dem Extrem unvorstellbarer Grausamkeit stellt Frank in der Novelle „Der Vater“ die Liebe gegenüber: Ein kriegsbegeisterter Kellner verändert sich nach dem Soldatentod seines Sohnes zu einem, so Steidle, „Revolutionär der Liebe“. Frank lässt den Kellner in einer aufwühlenden Rede einer friedenssehnsüchtigen Menge zurufen: „Und jetzt wisset: Die Liebe trägt in sich ein hartes Gebot. Die Liebe sagt: Wer nicht liebt ist schuldig und böse und soll weichen, damit der Liebe auf Erden keine Schranken mehr gesetzt werden können. Wir wollen fallen und sterben dafür, dass der Liebe die Regierung Europas übergeben werde ... Das Gebot der Liebe ist: Wer sich nicht schuldig fühlt, die Schuld nicht auf sich nimmt, liebt nicht, ist unser Feind und muss weichen.“

    „Der Mensch ist gut“ ist ein wuchtiges, radikales Buch; Steidle analysiert eine expressionistische, „höchst aggressive und ekstatische Sprache“, erkennt „militanten Pazifismus“ und „totalitäre Züge“, die schon „immer Bestandteil historischer Veränderungen“ gewesen seien.

    Frank lotet seelische Zerstörungen und ihre Folgen aus. Zwei seiner Helden macht er zu Mördern: Der Schriftsteller Anton Seiler bringt in „Die Ursache“ den Lehrer um, der ihn in seiner Kindheit quälte. In „Die Jünger Jesu“ tötet die Jüdin Ruth Freudenberger nach ihrer Rückkehr aus dem KZ-Bordell den straflos davongekommenen Mörder ihrer Eltern. In diesem 1949 veröffentlichten Roman, der in Würzburg spielt und ihm die tiefe Abneigung vieler Würzburger einbrachte, analysiert Frank lange vor den Holocaust-Forschern, welche psychischen Verheerungen die Nationalsozialisten unter den überlebenden KZ-Häftlingen anrichteten.

    In „Die Ursache“, erschienen 1915, stößt Frank so tief in seelische Abgründe vor, dass der Publizist und Kritiker Willy Haas von einem „der unheimlichsten Bücher der deutschen Literatur“ schreibt. Schon vorher, in seinem Erstling „Die Räuberbande“ von 1914, mutmaßte Frank, was seinen sadistischen Lehrer wohl zum Sadisten gemacht hat: „Vielleicht ist der Lehrer so, lebt so, geht so in dieser Stadt (Würzburg, d. Red.) herum, weil es die Atmosphäre der Stadt nicht anders zulässt ... Der Katholizismus, die Klöster, Mönche und Priester, die engen Kurven der Gassen mit den feuchten Schatten, die gotischen Kirchen, die hohen, grauen Mauern, aus denen unvermittelt gotische Fratzenbildwerke springen, all dies zusammen wirkt auf den Menschen von Jugend an. So eine Stadt bringt Böse hervor, die schon als siebenjährige Kinder Sünden beichten mussten. Verblödete, religiös Irrsinnige, Ehrgeizige, bucklig Geborene, heimliche Mörder, Krüppel, Asketen, Kinderschänder ... auch Künstler. Und Menschen wie den Lehrer Mager ...“

    Auch in der Liebe schöpft Frank Schriftsteller das Extreme aus: „Bruder und Schwester“ ist die glücklich endende Geschichte einer inzestuösen Liebe, in „Die Traumgefährten“ führt die sexuelle Abhängigkeit zwischen Patientin und Nervenarzt zu einer Liebesbeziehung, in „Karl und Anna“ akzeptiert eine Frau einen Kriegsheimkehrer als den ihr angetrauten Mann, obwohl sie weiß, dass er es nicht ist.

    Thomas Mann rezensierte „Die Traumgefährten“: „Das Buch hat etwas von dem romantischen Mut, Menschheit und Geisteskrankheit beinahe gleichzusetzen und die Rückkehr zur Gesundheit nicht viel anders denn als einen beschämenden Verrat am Menschlichen empfinden zu lassen.“ Frank, schreibt Steidle, verwischte die Grenzen von Normal und Anormal.

    Die Grundüberzeugung, dass der Mensch gut sei, wenn man ihn nur gut sein lässt, durchzieht Franks gesamtes Werk. Dass Anton Seiler in „Die Ursache“ zum Mörder seines Quälgeistes, des Lehrers, wird, erklärt Frank mit dem „Dunst der Schulen, der falschen Erziehung, den Eltern, Frömmelei“ – das ganze „stinkende europäische Moralgeschwür“ bilde „furchtbar drohend das Wort Ursache weithin am Himmel“. Der europäische Mensch, schreibt er, sei „zum kranken, tückischen, reißenden Tier geworden“. Entkommen aus dieser Hölle könne der Mensch nur, wenn er den Menschen liebt.

    Steidle beschreibt die Liebe zwischen zwei Menschen als „ein zentrales Thema und Anliegen in Franks Werk und Leben“, Liebe und Hass bildeten bei ihm „ein komplementäres Gefühlspaar“. Der Autor habe ungewöhnliche Themen wie Inzest oder Hörigkeit gewählt, um soziale Tabus aufzubrechen, die Liebe „als großes Gefühl“ unmöglich machen.

    Das geistige Zentrum des Werkes, Franks Ethik und Moral, findet Steidle am Ende von „Links wo das Herz ist“ aus dem Jahr 1952, in dem Frank seine Lebensgeschichte literarisch verdichtet. Sein alter ego im Roman heißt Michael Vierkant. „Michael glaubt“, schreibt Frank, „dass der Mensch erst menschlich zu sein vermag und sein wird, wenn er durch nichts mehr gezwungen wird, unmenschlich zu sein.“ Er glaube, „dass unter der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, dieser geschichtlichen Phase unermesslicher materieller Bereicherung der Industrieländer, die Verselbstständigung der guten Eigenschaften des Menschen, des reichen sowohl wie des armen, nicht möglich ist“.

    Frank, der sich einen Gefühlssozialisten nennt, schaut 50 Jahre voraus und irrt. Denn er glaubt, die „Haben-haben-haben-Wirtschaftsordnung“ werde im Jahr 2000 abgelöst sein durch die sozialistische Wirtschaftsordnung. Und dann, nachdem er seinen Glauben ans Gute im Menschen und an den Sozialismus bekannt hat, schreibt er: Das größte Glück für einen Mann sei, „wenn die Frau, die er liebt, ihn liebt. Wer das nicht erlebt, hat nicht gelebt“.

    Weitere Autoren sind Arnold Köpcke-Duttler, Rechtsanwalt und Pädagoge, Petra Paschinger, frühere Leitende Schauspieldramaturgin des Mainfranken Theaters, Wolfgang Riedel, Professor für neuere deutsche Literatur und Ideengeschichte an der Uni Würzburg und Sulamith Sparre, Autorin und Dichterin. Das Heft gibt's im Antiquariat Daniel Osthoff in der Martinstraße 19, Tel. (0931) 57 25 45, Fax (0931) 3 53 79 45, E-Mail antiquariat.osthoff@t-online.de.

    Leonhard-Frank-Gesellschaft

    Die Leonhard-Frank-Gesellschaft hat einen neuen Vorstand gewählt: Christiane Koch, Rechtsanwältin von Beruf, ist nach sechs Jahren als Vorsitzende nicht mehr zu Wiederwahl angetreten, aus beruflichen Gründen. Ihre Stellvertreterin Hildegard Poschet, die frühere Leiterin der Stadtbücherei, kandidierte aus Altersgründen nicht mehr.

    Neuer Vorsitzender ist Michael Henke, Projekt-Mitarbeiter beim „Aktiven Museum Faschismus und Widerstand“ in Berlin, der sich in den vergangenen Jahren als Frank-Forscher hervorgetan hat. Als stellvertretender Vorsitzender wird Stadtratsmitglied Willi Dürrnagel die Repräsentation der Gesellschaft in Würzburg übernehmen.

    Zum 50. Todestag des Dichters will die Leonhard-Frank-Gesellschaft zusammen mit anderen kulturellen Einrichtungen und der Stadt Würzburg eine Veranstaltungsreihe entwickeln.

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