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WÜRZBURG: Die Juden feiern Chanukka: Krapfen, Kreisel und acht Kerzen

WÜRZBURG

Die Juden feiern Chanukka: Krapfen, Kreisel und acht Kerzen

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    Bunte Kerzen am achtarmigen Chanukka-Leuchter. Die Kerze in der Mitte ist der „Diener“, mit dessen Flamme die anderen Kerzen nach und nach entzündet werden. Abend für Abend eine Kerze mehr. Rechts die Dreidel, mit denen gespielt wird.
    Bunte Kerzen am achtarmigen Chanukka-Leuchter. Die Kerze in der Mitte ist der „Diener“, mit dessen Flamme die anderen Kerzen nach und nach entzündet werden. Abend für Abend eine Kerze mehr. Rechts die Dreidel, mit denen gespielt wird. Foto: YekoPhotoStudio (iStockphoto)

    Es muss keine mächtige Flamme sein, eine kleine genügt.“ Dieses eine Flämmchen aber, sagt Alexander Shif, ist wichtig. Jeder muss es entzünden, so ist es Gesetz und Tradition. An diesem Samstagabend also wird Alexander Shif, so wie alle gläubigen Juden, bei sich zu Hause am achtarmigen Leuchter die erste kleine Kerze entzünden. Und dann wird er mit seiner Tochter den Leuchter ans Fenster stellen – als Zeichen für alle Welt. Das Judentum, sagt der Jugendreferent des Gemeinde- und Kulturzentrums „Shalom Europa“ in Würzburg, sei keine missionarische Religion, fast alle Feiertage begehen die Juden nur für sich. Chanukka aber, das Lichterfest, „das muss man nach draußen bringen“.

    Es ist ein seltenes Ereignis, diese Begegnung des Lichts: Wenn sich an diesem 24. Dezember in den christlichen Familien alle um den kerzengeschmückten Weihnachtsbaum versammeln, entzünden die Juden zu Hause die erste Kerze an der Chanukkia. Abend für Abend kommt eine Kerze dazu, acht Tage lang bis zum 31. Dezember. Denn nach dem jüdischen Kalender beginnt das Lichterfest am 24. Kislew. Am achten Tag, am 3.Tewet, wird der Leuchter im Fenster hell erstrahlen.

    Licht, das an den dunkelsten Tagen des Jahres den Menschen Freude und Hoffnung bringt – „wenn das nicht eine erstaunliche Gemeinsamkeit in den beiden unterschiedlichen Weltreligionen ist!“, sagt Dr. Josef Schuster, der Würzburger Arzt und Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dass die Feste auch zeitlich zusammenfallen, dass die Daten des bürgerlichen mit dem jüdischen Kalender übereinstimmen, ist ein Sonderfall – und selten, sagt Schuster: „Das letzte Mal war das vor 38 Jahren.“

    Ein bisschen wie mit Weihnachten

    Mit Chanukka ist es ein wenig wie mit Weihnachten: „In vielen Dingen seit Jahrhunderten unverändert, aber auch dem Jahr 2016 und dem Zeitgeist angepasst“, erzählt Schuster, der auch Vorsitzender der Israelitischen Gemeinde in Würzburg ist. Die Juden zählen Chanukka zwar nicht zu ihren hohen Feiertagen wie das Neujahrsfest Rosch Haschana, wie Jom Kippur, den Tag der Buße und Vergebung, oder das Wallfahrtsfest Pessach, das Schnitterntefest Schawuot und das Laubhüttenfest Sukkot. Doch als Familienfest ist es beliebt. „Es ist das schönste Fest“, sagt Alexander Shif. „Mein Lieblingsfest.“ Und er meint damit nicht nur die Päckchen, die es an Chanukka für die Kinder auch gibt.

    Acht Abende lang eine Kerze mehr am Leuchter – von diesem Samstag an. So sehr das Licht im Mittelpunkt steht, mit der Sonne hat das Fest nichts zu tun. Der Brauch erinnert an den Sieg der jüdischen Makkabäer-Krieger über die syrisch-griechische Fremdherrschaft vor über 2200 Jahren. Und an die Wiedereinweihung des zerstörten Jerusalemer Tempels.

    Im zweiten Jahrhundert vor Christus herrschten die Seleukiden über Judäa, ein Nachfolgerreich der Herrschaft Alexander des Großen. Eine kleine Gruppe jüdischer Kämpfer, Makkabäer oder Hasmonäer genannt, hatte sich im Jahr 165 vor unserer Zeit gegen den mächtigen griechischen Herrscher Antiochus IV erhoben. Sie fürchteten, von der griechischen Kultur vereinnahmt zu werden. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung ließ der Seleukidenherrscher den Tempel in Jerusalem dem Zeus weihen, er verbot den jüdischen Gottesdienst und untersagte die Ausübung traditioneller jüdischer Gebräuche.

    Dass Antiochus die Beschneidung verbot – spätestens da begann der Aufstand. Für ihren Glauben erhoben sich die Makkabäer gegen ihn und kämpften. Das Wunder geschah: Sie siegten gegen die erdrückende Übermacht der Griechen und befreiten den Tempel.

    Alexander Shif: „Es geht an den Feierntagen nicht nur um das Erinnern. Es geht um das Nacherleben.“

    Der Babylonische Talmud erzähle, so Josef Schuster, dass die Juden im geschändeten Tempel nur noch entweihtes Öl für den Menora-Leuchter, für das Ewige Licht, fanden. Einzig ein kleiner Krug mit reinem Lampenöl war unversehrt geblieben. Es hätte eigentlich nur für einen Tag reichen können. Doch zur Überraschung aller brannte das Lampenöl ganze acht Tage lang. Genau so lange, bis neues Öl bereitet und herbeigeschafft war.

    „Man spricht in den religiösen Büchern weniger über den militärischen Sieg, als über das Wunder des Öls“, sagt Alexander Shif. Während die Christen an Weihnachten nach vorne schauen, blicken die Juden beim Weihe- und Befreiungsfest auf jenes historische Ereignis zurück. Und mehr noch: „Es geht an den Feiertagen nicht nur um das Erinnern“, sagt Alexander Shif über die jüdischen Feste. „Es geht um das Nacherleben. Darum, das selbe zu fühlen wie die Menschen damals.“

    Chanukka beginnt mit der ersten Kerze, die nur ein wenig Helligkeit in die Dunkelheit trägt, sagt Josef Schuster: „Aber auch das kleinste Licht, das wissen wir alle, lässt sich in der Dunkelheit nicht verbergen.“

    Dass der achtarmige Leuchter neun Arme hat, liegt am Anzündelicht, erklärt Alexander Shif. Mit „Schamasch“, der neunten Diener-Kerze, werden nach und nach die anderen, eigentlichen Kerzen jeweils entzündet. Und, sagt Shif, während das Chanukka-Licht beim Eintritt der Nacht eine halbe Stunde lang brennt, soll nicht gearbeitet werden. Sondern zum Beispiel gespielt. Auch bei den jüdischen Familien in Unterfranken dreht sich dann der Dreidel, der Kreisel, auf den Tischen.

    Dr. Josef Schuster: „Der erste Abend gehört immer der Familie“

    „Der erste Abend gehört immer der Familie“, sagt Josef Schuster. Er erinnert sich gut an die Chanukka-Feste in seiner Kindheit. Nicht nur, weil dann in der Familie Schuster der Chanukka-Mann kam – „eine ähnliche Figur wie der Nikolaus, nur in klein“.

    Für die Würzburger Familie war Chanukka immer ein besonderer Anlass des Gedenkens und Erinnerns: Vater David Schuster war 1939 am ersten Abend von Chanukka aus dem Konzentrationslager entlassen worden. Auf den Tisch, erzählt Josef Schuster, kam am Lichterfest das Leibgericht des Vaters: gefüllte Milz. Traditionell wird – in Anlehnung an das Ölwunder – viel Fettgebackenes gegessen: Latkes, die Kartoffelpuffer, oder Krapfen.

    Alexander Shif hat keine Erinnerungen an Chanukka früher – weil das Fest in seiner Kindheit nicht gefeiert wurde. In Sankt Petersburg geboren, wusste Shif lange Zeit gar nichts über die jüdische Herkunft seiner Familie. Der Glaube durfte in der kommunistischen Sowjetrepublik nicht ausgeübt werden. Nur die jüdischen Gerichte, die in der Familie traditionell gekocht wurden – Knödel, Hühnersuppe und das Lieblingsessen der Oma, gefillte Fisch – erinnerten an die Wurzeln. „Und als sie alt wurde, hat die Großmutter begonnen, jiddisch zu sprechen.“

    Den Chanukka-Leuchter zündet Alexander Shif seit 1989 an, seit er in Deutschland lebt und begann, in der Israelitischen Gemeinde zu arbeiten. Die jüdische Gemeinde feiert Chanukka in diesem Jahr mit einem großen Fest am Montag, am zweiten Weihnachtsfeiertag. Rabbiner Jakov Ebert wird in der Synagoge die ersten drei Kerzen anzünden und einen kleinen Gottesdienst feiern, dann wird im Gemeindesaal gesungen und musiziert. Durch die Räume werden süße Düfte von Ölgebackenem ziehen, es gibt Kuchen und Kaffee. Und der Rabbiner wird die Chorsänger und Kinder mit den kleinen Chanukka-Päckchen voller Süßigkeiten und Spielzeug bescheren, die er vorbereitet hat.

    „Wenn Sie wollen, kann man das tatsächlich mit einem Adventsnachmittag oder einer Weihnachtsfeier vergleichen“, sagt Josef Schuster über die festliche Stimmung, „nur ohne Christbaum.“ 200 Gläubige, schätzt Alexander Shif, werden dieses Mal wieder dabei sein. Seit zehn Jahren, seit dem Umzug in den Neubau von „Shalom Europa“ und der Einweihung des großen neuen Saals, können mehr Gemeindemitglieder dabei sein, wenn die ersten Kerzen brennen. Im Hof vor dem Gemeindezentrum wird ein besonders großer Leuchter stehen – ausnahmsweise und gegen die Regel mit elektrischen Kerzen.

    Charlotte Knobloch: „Es gibt allen Grund zum Handeln“

    „Chanukka und Weihnachten sind Feste des Lichts und der Hoffnung, dass ein kleines Licht länger leuchtet als erwartet und das Dunkel der Nacht überwindet“, sagt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland. Für die 84-Jährige sind Chanukka und Weihnachten „Feste, an denen sich die Größe Gottes in einem Wunder offenbart.“ Der Zusammenfall in diesem Jahr sei „ein schönes Bild für das, was uns über die Religionen hinweg eint“. Gerade in einer Zeit, die nicht nur wegen der Hektik vor den Festtagen keine „stade“ sei: „Wir kommen auch nicht zur Ruhe, weil uns Terror und Gewalt, Hass und eine grassierende Verrohung tief beunruhigen: Es steht nicht weniger auf dem Spiel als unsere freiheitliche Gesellschaft, die durch Extremismus und Populismus, Politikverdrossen- und Geschichtsvergessenheit bedroht ist“, mahnte Charlotte Knobloch vor den Feiertagen. Es gebe allen Grund zur Sorge. Und zum Handeln: „Als Demokraten, Juden und Christen, als Menschen.“ Dann dürften wir hoffen, dass die Lichter über die Festtage hinaus leuchten – „in unseren Familien, in unserem Land, in der Welt.“

    Wie Weihnachten lebt Chanukka von guter Tradition und Ritualen. Doch inzwischen stecke auch etwas Kommerz und mehr Aufwand als zu früheren Zeiten dahinter, sagt Josef Schuster. In Israel zwar weniger, aber in der Diaspora, in Europa und besonders den USA, da habe der Weihnachtsrummel und Kaufrausch die jüdischen Bräuche angesteckt. Ein „Dezember-Dilemma“, sagt Schuster. Und so kann es passieren, dass an „Weihnukka“ auf Postkarten der Weihnachtsmann die Chanukka-Kerzen anzündet.

    Für Alexander Shif bleibt das Lichterfest das Lieblingsfest: „Weil es nicht reduziert ist auf Materielles, Geschenke und Äußerlichkeiten.“

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