Fast wäre sie auf dem Schrott gelandet – die Gerbrunner Kirchturmuhr. Ein Modell vom Beginn der 1950er, wohl industriell in großer Stückzahl gefertigt, von geringem historischen Wert. Das Schicksal wollte es anders. Die Wahl-Gerbrunner Sigfried Vogt und Martin Bass bekamen das Uhrwerk in ihre filigranen Finger. Sie machten es zu dem Schmuckstück, das im Rathaus-Foyer zu bewundern ist.
Die meisten Gerbrunner dürften den Klang der alten Turmuhr nie vernommen haben. Schon in den 1970ern wurde das großteils mechanische Werk außer Dienst gestellt. Es war nicht mehr zeitgemäß; eine elektrisch gesteuerte Uhr ersetzte es.
Seitdem gammelte das Getriebe in seinem Holzkasten vor sich hin. Da die Türen mit der Zeit löchrig wurden, drangen Vögel ein.
Und so fanden die Verantwortlichen der Kirchenverwaltung von St. Nikolaus 2011 ein Uhrwerk voller Spinnenweben und Taubenkot vor. Das Öl, das die Zahnräder schmierte, war verharzt, einige Zähne abgebrochen. Doch die Uhr hatte fast 40 Jahre Stillstand relativ gut überstanden.
Dies war der Zeitpunkt, an dem Sigfried Vogt ins Spiel kam – und zwar ziemlich prompt. Der pensionierte Elektromeister hatte gemeinsam mit einem Uhrmacher im Harz eine Kirchturmuhr restauriert.
Das wusste Josef Sommer, damals Leiter der Gerbrunner VR-Bank-Filiale. Er fragte bei Vogt an – und überraschte ihn im Krankenhaus, wo der heute 74-Jährige sich gerade erholte.
Am 18. April 2011 – daran erinnert sich Vogt genau – legten er und Mitglieder des Pfarrgemeinderates die Uhr im Kirchturm auseinander und trugen die Einzelteile nach unten. Auch Josef Sommer war dabei. Die die Uhr am Stück zu transportieren, war sie zu sperrig.
„Das ist eine Mechanik, die noch 100 Jahre laufen könnte. Warum sollte man so etwas verschrotten?“
Sigfried Vogt, Tüftler
Sein erstes Lager fand das Uhrwerk in einem Gebäude neben dem Rathaus, einem früheren Kuhstall. Dort befreite Vogt es von Staub und Dreck, reinigte es grob mit Diesel. „Das ist eine Mechanik, die noch 100 Jahre laufen könnte. Warum sollte man so etwas verschrotten?“, fragte Vogt.
Als er die Uhr gerade wieder zusammensetzte, schaute Martin Bass herein: „Kann ich helfen?“. Bass hatte bis dahin nichts mit Uhren zu tun. Der Elektroingenieur a.D. ist Oldtimer-Fan. Nach eigenen Worten fasziniert den 62-Jährigen „Technik, die man noch begreifen kann“. Vogt nahm die Hilfe gerne an. Die Uhr zog um in den Bauhof.
Jetzt begann die eigentliche Restaurierung, ein „Puzzle für Fortgeschrittene“, wie Bass sagt. Die Uhr wurde erneut zerlegt, die Metallteile entrostet, der Holzkasten gestrichen.
Ein Problem tat sich auf. Ein neues Zahnrad für die Viertelstundenschläge musste her. Ins Internet gehen und dieses „Schlossscheibe“ genannte Rad ersteigern – bei so einem speziellen Bauteil unmöglich.
Die beiden Tüftler wandten sich an den Hersteller Korfhage & Söhne in Melle bei Osnabrück. Der baut den Uhrentyp längst nicht mehr. Aber er lieferte ein Zahnrad, das perfekt in die Turmuhr passen sollte.
Tat es aber nicht. Das Zahnrad war so gebaut, dass die Gerbrunner Uhr doppelt so häufig schlug wie gewünscht. Bei einer Viertelstunde gongte es zwei Mal, bei einer halben vier Mal. Vogt und Bass mussten selbst Abhilfe schaffen.
Martin Bass fand übers Internet ein Turmuhrenmuseum in seiner Stuttgarter Heimat. Nach vielen „vertrauensbildenden Maßnahmen“ (Bass) stellten die Betreiber eine Schlossscheibe zur Verfügung – als Muster zum Nachbauen.
Es klappte. Vogt und Bass schufen eine Art Dummy, mit dem alle Rädchen ineinander griffen. Für das endgültige Zahnrad kauften sie für 300 Euro bei Korfhage einen Rohling. Dieses Geld und noch mehr kamen über die Kirche, die VR-Bank und Spenden herein.
Beim Fräsen der Zahnrad-Zähne bauten die Tüftler auf Erwin Drechsler, einen laut Bass „begnadeten Mechaniker aus Rottendorf“. Inzwischen haben sie sich aber selbst einiges an Wissen angeeignet.
Später soll die Kirchturmuhr im neuen Gemeindezentrum in der Hauptstraße unterkommen. Architekt Norbert Mauermann muss nur einen Platz finden. Dann soll das gute Stück wieder erklingen. Damit auch die jüngeren Gerbrunner erfahren, wie die Uhr sich anhört.