Er mag bei höherem Rasenstand schon zur Stolperfalle für so manchen Besucher geworden sein. Denn der Stein, der nur etwa zehn Zentimeter aus dem Boden herausragt, ist kaum zu sehen, wenn die Wiese am Bismarckturm nicht frisch gemäht ist. Dabei war es natürlich nie sein Zweck, arglose Wanderer zu Fall zu bringen. Vielmehr sorgte dieser Stein einst zusammen mit fünf anderen auf dem Berg für klare Eigentumsverhältnisse.
Rolf Richter kann auf den ersten Blick sagen, warum im Schatten des imposanten Bismarckturms ein so unscheinbarer Stein zu finden ist. „Es handelt sich um einen der Grenzsteine aus Muschelkalk, mit denen das Grundstück des Bismarckturms aus der Fläche des umliegenden Wäldchens abgetrennt wurde. Dieses gehörte damals dem Würzburger Verschönerungsverein“, erklärt der ehemalige Vermessungsingenieur und Ehrenvorsitzende des Vereins Stein-Wein-Pfad. Er vermutet, dass der behauene Stein seit 1905 dort oben im Boden steckt. Denn damals stellte der Würzburger Verschönerungsverein dem Bismarckturmkomitee eine Fläche zur Verfügung, damit dieses dort ein Denkmal zu Ehren Otto von Bismarcks (1815-1898) errichten konnte. Wie in Franken seit vielen Jahrhunderten üblich, wurde diese Fläche durch die Grenzsteine deutlich sichtbar markiert.
Mit ihrem Bismarckturm auf dem Würzburger Stein standen die Würzburger Anfang des 20. Jahrhunderts nicht allein da. Im Gegenteil. Noch zu Lebzeiten des „eisernen Kanzlers“, aber erst recht nach seinem Tod 1898 entstanden zur Erinnerung an ihn und seinen Mythos im ganzen Reich Denkmäler. Ein wahrhafter Kult brach aus. Und um diesen in geordnete Bahnen zu lenken, startete die Deutsche Studentenschaft noch im Todesjahr einen Aufruf: „(…) so wollen wir unserem Bismarck zu Ehren auf allen Höhen unserer Heimat, von wo der Blick über die herrlichen deutschen Lande schweift, gewaltige granitene Feuerträger errichten.
Überall soll als ein Sinnbild der Einheit das gleiche Zeichen entstehen von ragender Größe, aber einfach und prunklos in schlichter Form auf massivem Unterbau.“ Es waren einheitliche Gedenkfeuer für Bismarcks Geburtstag am 1. April und für die Sommersonnwende am 21. Juni geplant. Die lodernden Flammen sollten verkünden, dass Bismarck und sein Werk nicht vergessen sind.
Der Architekt Wilhelm Greis gewann den Wettbewerb um den besten Entwurf. Insgesamt 47 Bismarcktürme sind in den Folgejahren nach seinem Modell, das er „Götterdämmerung“ nannte, deutschlandweit entstanden – einer davon 1905 auf dem Würzburger Stein. Seither thront er über Würzburg, mal mehr und oft weniger beachtet von den Menschen in der Stadt. Doch noch viel weniger Aufmerksamkeit bekommt der kleine Begleiter zu seinen Füßen.
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An jedem Erscheinungstag vor
Weihnachten brachten wir gekürzte Geschichten aus dem Buch.