Sie studieren beide in Ludwigsburg Kultur- und Medienbildung: Lisa Gröschel und Maria Pappler, beide Jahrgang 1988, verbringen ihr fünftes Semester gemeinsam mit dem Projekt „Lebenslinien“. Am Ende soll ein namensgleiches Buch stehen, in dem sich die Lebenslinien von Befragten wiederfinden.
Interviewpartner im Seniorenstift
Die jungen Frauen suchen ihre Interviewpartner immer in einem Seniorenstift, in Würzburg sind es die älteren Jahrgänge im AWO-Sozialzentrum in Heidingsfeld unter der Leitung von Thomas Zatloukal. Die beiden jungen Frauen bleiben eine knappe Woche und fahren dann weiter in eine andere Stadt – sieben deutsche Städte sind es, die sie besuchen, und sie erwarten in Niebüll im Kreis Nordfriesland (Schleswig-Holstein) völlig andere Aussagen zu Fragen nach Heimat und Biografie der Senioren als etwa in Görlitz direkt an der Grenze zu Polen. Biografiearbeit in einer bunten Sammlung von Städten von Nord nach Süd, von Ost nach West. Mittendrin Würzburg, die erste Stadt, in die sie gekommen sind. Die beiden haben das Glück, dass sie unter den Senioren auch Hochbetagte finden, die sich noch an ihre Kindheit erinnern. Auch etwas jüngere Senioren kommen zu Wort.
Pro Wohnstift werden nicht viel mehr als fünf oder sechs alte Menschen befragt, die außerdem nur dann Interviewpartner werden, wenn sie sich geistig dieser Herausforderung noch stellen können und dies gerne auch wollen. Gröschel und Pappler interviewen zwei Senioren-Partner pro Tag.
Eine zentrale Rolle spielt der Begriff Heimat. „Heimat ist da, wo ich aufgewachsen bin“, sagt jemand, „Heimat ist da, wo ich mich wohlfühle“ ein anderer. „Der Gedanke an die Heimat macht glücklich,“ sagt eine Seniorin. Eine andere erklärt, sie lebe jetzt zwar hier und fühle sich wohl – aber ihre Heimat sei das nicht. Erinnerungen an einen Bauernhof in der Nachkriegszeit kommen, von wo die Betroffene schnell wieder weg wollte – nein, das sei nie „Heimat“ gewesen, so fremdbestimmt abgeschoben. Sogar der Wohnwagen bedeutet jemandem Heimat.
Symbol für Lebenszeiten
Die beiden Studentinnen haben in einem alten Koffer vielerlei Spielzeug als Symbol für Lebenszeiten und -Phasen mitgebracht. Wenn die Befragten etwas anfassen können, ein Spielzeugpferd, einen kleinen weichen Teddy, dann kommen beim Anfassen oft schon die Erinnerungen an Lebensphasen. Solche Lebenslinien zeichnen die Studentinnen in einer Grafik auf: auf der Querachse Jahreszahlen und vertikal zeigt sich die Intensität des Erlebten. Diese Lebenslinien, oft unterlegt mit Bildern oder Fotos, sind der künstlerische Ansatz bei dieser Arbeit. Die Lebenslinien der Interviewten werden nie verbunden, sondern einzeln gewürdigt in dem späteren Buch.
Die Studentinnen sind überzeugt, dass es für viele befragte Senioren eine große Bedeutung hat, dass ihre Lebensgeschichten nicht nur angehört, sondern zusätzlich auch aufgezeichnet werden. Das Buch wird also keineswegs nur eine Suche nach Heimat, sondern es soll auch aufzeigen, was Menschen im Alter wichtig ist und was sie brauchen – das etwas andere Reisetagebuch, von dem einige Exemplare wohl auch Würzburg erreichen werden.