Der Garten der Familie Wiesner mutet wie ein Paradies an. Eins für Kinder. Von der Schaukel über die Rutsche bis hin zum Klettergerüst ist alles da, was kleine Erdenbürger brauchen, um glücklich spielen zu können. Im Haus von Marina (38 Jahre) und Uwe Wiesner (45), toben Sina (dreieinhalb), Sabrina (zwei) und Hannah (eins) fröhlich herum. Während Hannah im Wohnzimmer mit großen Augen den Besuch der Eltern mustert, trollen sich Sina und Sabrina schnell ins Kinderzimmer.
Kurz darauf ist schrilles Geschrei zu hören. Uwe Wiesner geht kurz zu ihnen. Wenig später kichern die Mädchen wieder fröhlich miteinander, kommen zurück ins Wohnzimmer. Sabrinas Mund zieren ein paar Krümel. „Ich hab ihr was vom Kuchen in der Küche gegeben“, verkündet Sina stolz. Das Ehepaar Wiesner schaut sich an, hin- und hergerissen zwischen Freude über die Geschwisterliebe einerseits und ihren Erziehungszielen andererseits. „Du wusstest doch, dass wir den erst nachher essen wollen. Das geht so nicht“, weist Uwe Wiesner die Dreijährige schließlich zurecht. Vermeintlich normaler Familienalltag im Dreimädelhaus.
Extreme Reaktionen
„Mir ist es schon sehr wichtig, dass die Kinder sich vernünftig ernähren. Mit möglichst wenig Zucker“, erklärt er. Wenn man weiß, dass Sabrinas Zähne vom regelmäßigen Cola-Konsum weit vor ihrem ersten Geburtstag völlig zerstört sind, versteht man warum. Die Wiesners sind dafür nicht verantwortlich. Sabrina kam erst später zu ihnen, ist ihre Pflegetochter. Längst nicht immer ist der Alltag mit dem Mädchen so einfach wie an diesem Tag. Im Gegenteil. Sabrina reagiert oft extrem auf Druck und Stress. „Mittlerweile haben wir aber gelernt, damit umzugehen“, sagt ihre Pflegemutter.
Für Sina, die teils indische Wurzeln hat, sind die Wiesners, bei denen sie von Geburt an lebt, Mama und Papa. Ihre leiblichen Eltern hat sie erst viel später kennengelernt, bei deren sehr seltenen Besuchen. Zu „dem Mann“ und „der Frau“, wie sie sie nennt, hat sie keine wirkliche Beziehung.
Die Wiesners sind Vollzeitpflegeeltern. Die drei Kinder, die bei ihnen leben, sind übers Jugendamt zu ihnen gekommen. Sina direkt nach ihrer Geburt, Sabrina im Mai 2016, Hannah drei Monate später.
Die Gefühle für Sina, bestätigt das Paar, seien schon etwas anders als für die beiden Jüngeren. „Sie ist wie eine eigene Tochter.“ Trotzdem ist und bleibt Sina, ebenso wie ihre Pflegeschwestern, ein Pflegekind. Mit allen Vor- und Nachteilen.
Adoption nicht ausgeschlossen
Die Vorteile an der Elternschaft auf Zeit erläutert Karin Thevis (50). Die Ärztin und ihr Mann haben neben drei eigenen Jungs (17, 15, elf) noch die neunjährige Pflegetochter Janina. Das Mädchen kam 2008 mit 15 Monaten in die Familie und lebt seitdem dort. Auch wenn Janina längst dazu gehört, weiß ihre Pflegemutter, dass andere Zeiten kommen können und werden. Dann, wenn das pubertierende Mädchen möglicherweise den Aufstand probt, ihre Herkunft und Biografie ganz anders wahrnimmt. „Wir haben uns daher entschlossen, Janina selbst die Wahl zu lassen.“ Soll heißen, wenn sie 18 Jahre ist und weiterhin fest zur Familie Thevis gehören will, dann werden ihre Pflegeeltern sie adoptieren. Das, so die Pflegemutter, gebe der Jugendlichen hoffentlich ein Gefühl der Freiheit und das Bewusstsein, dass sie selbst darüber entscheiden kann, wo sie leben möchte und wo nicht.
Ansonsten, sagt die erfahrene Mutter, schätze sie die intensive Unterstützung des Jugendamtes für die Pflegeeltern sehr. „Die Mitarbeiter haben wirklich immer ein offenes Ohr für uns und machen alles Erdenkliche möglich. Eine Erfahrung, die auch die Wiesners uneingeschränkt bestätigen: „Man wird wirklich nie allein gelassen.“ Daneben gibt es Supervision, Gesprächskreise, gemeinsame Feste aller Pflegefamilien und nach der Erstausbildung regelmäßige Fortbildungen für die Familien, die sich bereit erklärt haben, Kindern ein vorübergehendes Zuhause zu bieten. Einfach, sagen beide Elternpaare, ist ihre Aufgabe trotzdem nicht. Aber bereut haben sie die Entscheidung dafür nie. „Wir können diesen Kindern helfen. Und es ist so schön, sie wachsen zu sehen und mitzubekommen, was sie alles in sich aufsaugen und aufnehmen“, sagt Uwe Wiener Seine Frau bestätigt: „Man bekommt so viel zurück.“
Vollzeitpflege im Landkreis Derzeit gibt es im Landkreis 120 Pflegekinder. Diese sind direkt nach der Geburt bis zum Alter von 15 Jahren in eine Pflegefamilie gekommen. Die meisten werden noch vor dem siebten Geburtstag aus der Herkunftsfamilie genommen. Zwei Drittel von ihnen bleiben in der Pflegefamilie, bis sie erwachsen sind. Ältere Kinder, die in Pflege gegeben werden, gehen häufiger wieder zu den eigenen Familien zurück als Säuglinge, die in eine Pflegefamilie kommen. Neue Pflegeeltern werden dringend gesucht.