Blick in den Spiegel: Meine Haare sind frisch gewaschen, das Kleid steht mir, das Make-up passt: „Also los. Wir können“, sage ich vor dem Ausgehen zu meiner Tochter. Aber sie verbaut mir den Weg. „Mama“, sagt sie, „so nicht. Du siehst so Hartz IV aus.“
Was mich in der Wahrnehmung meiner Tochter Hartz-IV-verdächtig macht, ist die Art, wie ich meine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden habe. Vorzeigbare Mütter, sagt meine Tochter, trügen den Pferdeschwanz im Nacken gebunden – und zwar mit einer farblich auf die Kleidung abgestimmten Samtschleife. Ich dagegen hätte die Haare einfach oben auf dem Kopf zusammengerafft; festgezurrt mit einem Gummiband. „Und dazu noch diese Riesen-Ohrringe! Du bist einfach nur peinlich!“
Familienleben ist bunt
Sie zischt: „Mama lass das!“
Ich bin peinlich, aha. Schon wieder! In letzter Zeit schämt sich meine 14-jährige Tochter immerzu – wegen mir. Zu Hause geht?s noch – aber wenn ich mich in die Öffentlichkeit wage, dann benehme ich mich in ihren Augen immerzu daneben: Ich lache zu laut. Ich niese zu laut. Manchmal rede ich auch zu laut. Außerdem trage ich entweder unangemessen hohe Absätze oder auffallend hässliche Turnschuhe.
Mein Dekolleté ist zu tief. Meine Röcke sind zu lang, zu kurz oder „total daneben“. Ganz schlimm: Meine Hüften wackeln zur Musik mit, immer wenn Musik ertönt.
Wenn ich etwa bei einem Fest kurz, wirklich nur ganz kurz, im Takt der Musik mein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagere, dann nimmt Stellas Gesicht einen gequälten Gesichtsausdruck an. Sie zischt: „Mama! Lass das!“ Und sie verzieht sich – dorthin, wo unbeteiligte Passanten sie nicht als Tochter dieser schrecklich peinlichen Person identifizieren können, zu der ich geworden bin. Nein, ich habe mich nicht groß geändert in den letzten Jahren. Stella ist nur in die Pubertät gekommen.
Wo ist mein kuschliges Mädchen?
Dass Stellas Pubertät mich so stark treffen würde, hatte ich nicht erwartet. Immerhin ist Stella ja das dritte Kind – und die Pubertät der zwei älteren Jungs habe ich ja auch schon miterlebt und überstanden. Diese Zeit, in denen die Jungs erst wochenlang überhaupt nie duschten, dafür später dann dreimal am Tag. Diese Zeit, in denen sie ganze Wochenenden im Bett vergammelten; sich dort unglaubliche Mengen an Sahnepudding oder Schokolade reinzogen und ansonsten Gameboy oder IPad spielten, statt Hausaufgaben zu machen.
Beide reagierten grantig, wenn ich mir in dieser Zeit erlaubte, sie an ihre Pflichten zu erinnern. Der ältere Sohn kommunizierte, als er in Stellas Alter war, so wenig wie möglich mit mir, der andere dauernd. Was aber beide Jungs nicht brachten, nicht machten, nicht mal versuchten, war – mich zu erziehen. Je nach Veranlagung schwiegen oder klagten sie, wenn ich ihnen zu nahe trat – aber sie griffen mich nicht an.
Experte rät zu Gelassenheit
Ein „Mama, du bist voll peinlich!“ habe ich von ihnen nicht gehört und schon gar nicht in dem Ton. Warum greift mein Mädchen, mein süßes, kuscheliges, mein früher so liebes und freundliches kleines Mädchen mich plötzlich so an? Diese Frage höre er öfter, sagt Andreas Schrappe, der Leiter des evangelischen Beratungszentrums der Diakonie Würzburg. Mitarbeiter dieser Einrichtung helfen unter anderem bei Erziehungs- und Familienproblemen.
Schrappe sagt, dass Pubertierende sich um jeden Preis abgrenzen wollten von ihren Eltern – und das sei erstens normal und zweitens sinnvoll: „Sonst wird man nicht wirklich groß.“ Grundsätzlich sei die Pubertät ja für Mädchen wie für Jungs die Zeit, in der sie sich selbst spüren, in der sie sich selbst finden müssten. „Das Kind muss ein eigener Mensch werden. Dafür ist wichtig, dass die Kinder eigene Entscheidungen treffen können, eigene Entscheidungen auch aushalten können“, sagt Schrappe. Wichtig sei, dass die Pubertierenden herausfänden: „Wer bin ich? Wer will ich sein?“
Auf der analytischen Ebene kann ich das, was der Würzburger Psychologe sagt, natürlich nachvollziehen. Wer sich selbst spüren will, sich selbst hören will, sich selbst entfalten will, der muss sich abgrenzen von den Eltern, muss sie vielleicht sogar ausgrenzen. Aber nach wie vor suche ich nach einer Antwort auf die Frage, warum – bei allem Verständnis für das Bedürfnis nach Abgrenzung– ausgerechnet mein früher so verträgliches Töchterchen mich mehr anblafft als beide Jungs zusammen?
Abgrenzung heute schwieriger
Da lacht der Psychologe. „Gerade wenn eine große Nähe da war, wenn Mutter und Tochter gemeinsam vieles gemacht haben, wenn also etwa die Mutter der Tochter am Morgen die Kleidungsstücke rausgelegt hat, ihr am Nachmittag bei den Hausaufgaben geholfen und abends mit ihr gekocht hat, dann braucht es sinnvollerweise Loslösung.“
Bei der jetzigen Mädchen-Mütter-Generation komme erschwerend hinzu, findet Schrappe, dass Mütter und Töchter sich in Bezug auf Kleidung, Make-up, Stil, Musik, Hobbys und Auftreten viel mehr ähnelten als Mütter und Töchter früherer Generationen. Von daher sei der Wunsch der jungen Mädchen, sich in Abgrenzung zur Mutter als selbstständige, eigene Person zu erschaffen, noch viel drängender. So habe ich das bisher nicht betrachtet. So gesehen war es für mich damals, als ich in der Pubertät war, natürlich ungleich leichter, mich zumindest äußerlich von meiner Mutter abzugrenzen. Meine Mutter trug zeitlose Eleganz, ich löchrige Jeans. Für eine Provokation reichte das locker, auf einen Aufschrei meiner Mutter im Stil von „Um Gottes willen! Wie siehst du wieder aus!“ konnte ich wetten. Kommt Stella heute mit einer löchrigen Jeans, sage ich „Super, steht dir“.
Möglicherweise ist es da ja kein Wunder, dass Stella meine Art, mich anzuziehen, madig machen muss, vielleicht weil sie mehr Raum braucht neben einer eher expressiven Person wie mir. Ich kann das verstehen, doch natürlich. Und bis zu einem gewissen Grad kann ich auch wegstecken, dass meine Tochter mich abwechselnd abknutscht und anschreit, dass sie an dem einen Abend Geschichten vom Tag erzählt und mir am nächsten Abend empfiehlt, ich solle doch ausziehen, da sei die ganze Familie besser dran.
Beste Freundin – schlimmste Feindin
Vom Psychologen Schrappe höre ich, dass „starke Inszenierungen“ und starke Wechsel zwischen Beste-Freundin- und Schlimmste-Feindin-Szenarien typisch sind für das Alter. Wie lange diese Phase dauert? Das variiert. Offenbar gibt es eng verbundene Mütter- und Töchterpaare, die während der Pubertät der Tochter auseinanderdriften, sich aber bald und halbwegs harmonisch auf einer erwachsenen Ebene wiederfinden. Und es gibt Mütter und Töchter, die nach einer engen Beziehung eine „Loslösung im Hauruck-Verfahren“ durchmachen.
Noch ist es zu früh, um zu sagen, welchen Weg Stella und ich nehmen werden. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass er hörbar sein wird, sowohl Stella wie auch ich neigen zu langen und lautstarken Befindlichkeitsbeschreibungen. Aus Psychologen-Sicht kommt hier auch die Erklärung dafür, dass Stella mich mehr angiftet als ihre Brüder es getan haben. „Mädchen sind einfach kommunikativer“, sagt Jimmy Weber, Leiter der Erziehungsberatungsstelle der Stadt Schweinfurt. Ich vermute, dass Stella diese Erklärung gefallen wird.