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WÜRZBURG: Fränkischer Stein auf polnischer Erde

WÜRZBURG

Fränkischer Stein auf polnischer Erde

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    Weit zieht sich die Staatsstraße Nummer 17 durch den Osten Polens. Nahe der ukrainischen Grenze, auf der Route zwischen dem polnischen Lublin und dem ukrainischen Lwiw, passiert sie auch die Ortschaft Izbica. Das einstige jüdische „Schtetl“ wurde Anfang 1942 im Zuge der „Aktion Reinhard“ von der SS kurzerhand zum Durchgangslager für den Weg in die Vernichtung gemacht.

    „Im Gedenken an die jüdischen Opfer des Holocaust. Gewidmet von Gemeinden in Franken.“

    Inschrift auf dem Muschelkalk-Stein in Ostpolen

    Für Franken und besonders für Unterfranken ist Izbica von besonderer Bedeutung: Hierher und ins benachbarte Lager Krasniczyn wurde ein großer Teil aller fränkischen Juden verschleppt. In der Lubliner Gegend starben 52 Prozent der mainfränkischen Juden, darunter 82 Prozent der jüdischen Bürger Kitzingens. Wer heute auf der Staatsstraße 17 aus Richtung Lublin nach Izbica fährt, dem fällt gleich nach dem Ortseingang ein schlanker Naturstein auf. Vor dem schlichten Block stehen frische Blumen. Eine Tafel trägt in vier Sprachen die Aufschrift: „Im Gedenken an die jüdischen Opfer des Holocaust. Gewidmet von Gemeinden in Franken.“

    Seit anderthalb Wochen erinnert der Stein aus Frickenhäuser Muschelkalk an die ermordeten fränkischen Juden. Dass ihrer jetzt „vor Ort“ gedacht werden kann, ist einer einzigartigen Initiative zu verdanken. Die Idee hatte Elmar Schwinger, Historiker aus Wiesenbronn (Lkr. Kitzingen). Bei seinen Nachforschungen zum Schicksal der Kitzinger Juden war er nach Izbica gekommen, wo noch vor kurzem die Erinnerung an die Deportationen weitgehend verschüttet war. Vier Jahre und unzählige Aktivitäten eines inzwischen siebenköpfigen Vorbereitungsteams hatte es gebraucht, bis aus der Idee Wirklichkeit wurde. Vom 9. bis 14. Mai reiste eine 80-köpfige Delegation aus Franken nach Polen – dabei Kommunalpolitiker sowie 26 Schüler des Julius-Echter-Gymnasiums Elsenfeld (Lkr. Miltenberg), des Egbert-Gymnasiums Münsterschwarzach (Lkr. Kitzingen) und des Friedrich-Koenig-Gymnasiums Würzburg. Dass auch Jugendliche teilnahmen, freute Organisator Schwinger besonders: „Dadurch hat sich eine wohltuende Spannung ausgebreitet.“

    Polen für Idee aufgeschlossen

    Eine Spannung, die durch zwei Zeitzeugen noch verstärkt wurde. Aus den USA kommend, stießen in Polen Thomas Blatt und Walter W. Reed dazu. Blatt, 1927 im Schtetl Izbica geboren, war 1943 ins Vernichtungslager Sobibor verschleppt worden, wo er am 14. Oktober 1943 am einzigen geglückten Ausbruch teilgenommen hatte. Reed, zwei Jahre älter, kam in Mainstockheim (Lkr. Kitzingen) zur Welt. Ihm gelang 1939 über Belgien die Flucht ins Ausland; seine Eltern und die Brüder wurden deportiert und ermordet.

    Für die Organisatoren war die Aufstellung des Gedenksteins Neuland in jeder Beziehung. Wie würde man in Polen reagieren? Sorgen, die spätestens am Tag der Enthüllung verflogen. „Die Leute haben eine geschlagene Stunde gewartet, um an der Feier teilzunehmen“, berichtet Elmar Schwinger. Schüler der Maria-Konopnicka-Schule aus Izbica gestalteten die Einweihung mit Gedichtvorträgen aktiv mit – ebenso wie ihre Schüler-„Kollegen“ aus Deutschland.

    Albrecht Fürst zu Castell-Castell, der sich seit langem für die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk engagiert, sprach für die Generation derjenigen, die das NS-Regime bewusst miterlebt haben: „Geschickter und hinterhältiger Propaganda war es gelungen, die unser Tun und Verhalten regulierende Kraft des Gewissens zu verschalten und wirkungslos zu machen.“ Eine konkrete Erinnerung an den Namen „Izbica“ brachte Walter W. Reed in seiner Ansprache.

    Kurz nach Kriegsende habe er gehört, dass der Ort angeblich ein Arbeitslager gewesen sei. „Viel später konnte ich die wahre und so grausame Geschichte erfahren. Diese Geschichte bedeutet, dass meine lieben Eltern nie ihre Schwiegertochter kennenlernten und auch nicht ihre drei Enkelsöhne.“ Auch für die Familie von Walter W. Reed steht der fränkische Stein auf polnischer Erde.

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