Das Telefoninterview beginnt denkbar unkompliziert: "Hallo, hier ist Timon." Timon Krause, 27, ist Gedankenleser. Oder Mentalist, wie man heute sagt. Eine ungestellte Frage hat er also schon beantwortet beziehungsweise entschieden: Sind wir per Du oder per Sie? Wir sind also per Du, obwohl wir einander noch nie begegnet sind, aber es fühlt sich ganz normal an. Möglicherweise gehört das zum Konzept: Wenn sich die Menschen wohlfühlen, sind sie zugänglicher. Und dann kann Timon sie leichter lesen. Ihren Gedanken und Geheimnissen auf die Schliche kommen. Aber mal sehen: Vielleicht lässt er sich im Gespräch ja ein wenig in die Karten blicken. Wer ihn live erleben will: Am 9. Februar 2023 gastiert Timon Krause in der Würzburger Posthalle.
Weißt Du schon, was meine erste Frage sein wird?
Timon Krause: Das war Deine erste Frage.
Wahrscheinlich hast Du genau mit sowas gerechnet, oder?
Krause: Ja. "Was denke ich gerade?" kommt auch gerne.
Wie vorhersehbar sind Menschen?
Krause: Das kommt auf den Kontext an. Wenn es um die großen Linien geht, sind sie ziemlich vorhersehbar. In den Details sind sie dann wieder verschieden. Und je komplexer die Problemstellung, desto weniger vorhersehbar werden wir. Aber im Großen und Ganzen sind wir uns viel ähnlicher als wir uns eingestehen wollen.
Was sind die Indizien, was verrät einen Menschen?
Krause: Auch das ist kontextabhängig. Es gibt nicht das eine Indiz. Die Hände oder die Augen. Es ist immer das Gesamtbild. Wir haben eine begrenzte Anzahl an Gestik und Mimik für eine unbegrenzte Anzahl an Situationen. Überkreuzte Arme werden gerne als Zeichen von Skepsis gedeutet. Sie können aber auch bedeuten, dass ich im Gespräch nichts hinzuzufügen habe. Oder es ist gerade einfach bequem. Deshalb schaue ich immer auch auf die Augen und auf die Parasprache. Also: Nicht nur "Was sagt er?", sondern "Wie sagt er es?". Sobald ich eine Reihe von Indizien beisammenhabe, die alle auf dasselbe hindeuten, kann ich davon ausgehen, dass das dann auch so ist.
"Auf der Bühne habe ich alle Zügel in der Hand und kann die Situationen so schaffen, dass sie für mich besonders einfach zu interpretieren sind."
Timon Krause
Stellst Du also auf der Bühne Situationen her, wo sich sozusagen der Trichter verengt und sich die Reaktionen leichter einsortieren lassen?
Krause: Das ist gut erkannt und auch das erste Mal, dass mich jemand darauf anspricht. Auf der Bühne habe ich alle Zügel in der Hand und kann die Situationen so schaffen, dass sie für mich besonders einfach zu interpretieren sind. Das bedeutet aber nicht, dass ich auch im Alltag permanent PIN-Nummern erraten kann.
Zum Beispiel in der Schlange am Geldautomaten.
Krause: Ich wünschte, es wäre so. Dann stünde ich wahrscheinlich immer noch auf der Bühne, aber die Leute müssten kein Geld mehr bezahlen.
Aber eine PIN-Nummer zu erraten, ist ja ein bisschen komplexer, als zu deuten, dass jemand keinen Bock hat, oder?
Krause: Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, weil eine PIN-Nummer begrenzt ist auf viermal eine Zahl von Null bis Neun. Ich habe also einen Prozess geschaffen, mit dem ich eine Zahl von Null bis Neun mit ziemlicher Sicherheit erraten kann, weil ich ja schon genau weiß, worum es geht.
Wie ist das jetzt gerade am Telefon – Du siehst mich zwar nicht, aber meine Stimme, wie ich Luft hole, wie oft ich "äh" sage, verrät vermutlich einiges.
Krause: Was ich vor allem mitkriege, ist die Base-Line. Also Dein Basisverhalten. Wie sprichst Du, wie verhältst Du Dich normal? Wenn ich jetzt herausfinden wollte, ob Du lügst, würde ich auf Veränderungen der Base-Line hoffen, zum Beispiel weil Du Lügen anstrengend findest. Wir können das gerne ausprobieren, wenn Du möchtest.
Dazu braucht's keinen Mentalisten – ich bin ein unfassbar schlechter Lügner. Was ist denn eine typische Nummer in Deinem Programm?
Krause: Das neue Programm halten wir noch komplett unter Verschluss. In der letzten Show habe ich zum Beispiel "gewahrsagt". Wobei ich klargemacht habe, dass es natürlich kein Wahrsagen ist, sondern sogenanntes "Cold Reading". Das ist der gleiche psychologische Mechanismus, der auch bei Horoskopen verwendet wird: universelle Statements, die aber individuell klingen, sodass die Person sie annimmt.
"Ich erkläre vorher, dass es kein Wahrsagen ist, also komplett Fake, und mache es dann aber doch, um zu zeigen, wie überzeugend solche Techniken sind."
Timon Krause
Wie hört sich das an?
Krause: Ich könnte jetzt zu Dir sagen, Mathias, anhand Deiner Stimme habe ich das Gefühl, Du bist eine Person, die immer sehr offen und aufgeschlossen ist. Wenn Du irgendwo eingeladen bist, versuchst Du, Deinen Freunden Spaß zu machen. Es gibt aber auch eine Seite, die Du nur Deinen Nächsten und Liebsten zeigst: Dass Du Dir sehr viel mehr Sorgen machst, als Du es Dir nach außen anmerken lässt. Ich würde sagen, Du bist viel unsicherer, als Du manchmal tust. Das ist eine verblümte Arte und Weise zu sagen, Du bist manchmal introvertiert und manchmal extrovertiert. Und das trifft auf jede Person zu.
Und wie setzt Du das auf der Bühne ein?
Krause: Ich bitte die Menschen im Publikum, an eine Frage zu denken, und ich errate dann die Frage. Da kommt dann immer etwas wie "Soll ich das Haus kaufen?" oder "Wie viele Kinder werde ich haben?" Das beantworte ich dann motivierend aber ohne Festlegung. Immer gilt: Ich erkläre vorher, dass es kein Wahrsagen ist, also komplett Fake, und mache es dann aber doch, um zu zeigen, wie überzeugend solche Techniken sind. Und trotzdem kommen sehr viele Menschen nach der Show zu mir und wollen richtige Antworten haben. Die kann ich natürlich nicht geben. Wie auch? Ich bin doch auch nur so ein Typ, den sie gerade kennengelernt haben.
Sind die Menschen überall auf der Welt gleich zu lesen?
Krause: Es gibt Verhaltensweisen, die sind angeboren. Die sind bei allen Menschen gleich. Zum Beispiel das Jubeln bei einem Sieg im Sport. Und dann gibt es erlernte Körpersprache. Am schwierigsten fand ich es in Japan. Dort ist die gelernte Körpersprache im Alltag so viel unterdrückter als hier. Im Fernsehen ist sie aber völlig übertrieben. Und diese völlige Übertreibung von Gestik und Mimik hat für mich all das Subtile und Unbewusste, was sonst so abläuft, verschüttet. Das war ungewohnt und unerwartet.
Timon Krause: "Mind Games". 9. Februar, 20 Uhr, Posthalle Würzburg. Tickets auf www.eventim.de und an allen bekannten Vorverkaufsstellen