Das Leben von Gina Guhr verläuft etwas anders, als das der meisten jungen Frauen mit 21. Vor knapp drei Jahren behauptete sie sich als einziges Mädchen zwischen 90 männlichen Auszubildenden des Fachbereichs Metallbauer/Mechaniker und fertigt seitdem Teile als Konstruktionsmechanikerin. Vor einem Jahr nahm sie eine Abzweigung und schnupperte drei Monate lang Formel 1-Werkstattluft bei der Sauber Motorsport AG in Hinwil im Züricher Oberland. Nun gibt sie Vollgas. Seit 1. Januar arbeitet sie unbefristet in der Schweißabteilung des Rennstalls.
Den Job in der Formel 1 verdankt sie ihrem Können – und vermutlich dem Umstand, dass ihr Vater Reinhard „Roger“ Guhr von 1997 bis 2004 schon für den Sauber Petronas Rennstall tätig war und nach wie vor gute Kontakte hat. „Ich war bei genau 100 Formel 1-Rennen mit von der Partie“, sagt ihr Vater.
Unter anderem stellte er für die Boliden Titan-Radträger her, Querlenker aus Flugzeugstahl, Kühler für Motoröl, andere Ölsystemteile sowie Leitungssysteme für die Motorenperipherie. „Schließlich bin ich es aber leid gewesen, immer auf der Autobahn zwischen Kist und der Schweiz zu pendeln“, deshalb konzentrierte er sich wieder auf seine Firma RMS-Rennsporttechnik in Kist.
Nun tritt seine 21-jährige Tochter Gina in seine Fußstapfen und fertigt per Maßarbeit dieselben Teile, wie er vor über einem Jahrzehnt. „Ich habe bei Sauber schon Öl- und Wasserkühler gebaut und Stahlträger für den Windkanal geschweißt“, erzählt die Konstruktionsmechanikerin. Und ein wenig Stolz klingt mit, als sie hinzufügt, dass sie auch Halterungen für die Kamerabefestigung am Formel 1-Flitzer hergestellt hat. Nur dadurch erleben die Fernsehzuschauer hautnah die rasanten Rad-an-Rad-Duelle mit.
Als Gina Guhr Anfang des Jahres erste Erfahrungen in der Schweißabteilung des Rennstalls sammelte, gehörte sie schnell dazu: „Meine fünf Kollegen haben mich motiviert, mich auf die unbefristete Stelle zu bewerben.“ Ansonsten sind in der Formel 1 nur selten Frauen anzutreffen, teilweise im Bereich der Qualitätssicherung.
„Ich habe mir die Ohren zugehalten, denn der Lärm war schon grenzwertig.“
Gina Guhr Konstruktionsmechanikerin
„Es ist interessant zu sehen, wie ein Formel 1-Rennwagen entsteht“, sagt Gina Guhr und schwärmt von der „perfekt ausgestatteten Werkstatt“.
Genau erinnert sich an das erste „Fire up“, das erstmalige Anlassen eines neuen Formel 1-Motors. Dabei ist der Rennwagen noch gar nicht zusammengebaut, sondern nur die Motorkomponenten. „Alle kamen zusammen und warteten gespannt, ob es klappt.“ Es funktionierte reibungslos – und war sehr laut. „Ich habe mir die Ohren zugehalten, denn der Lärm war schon grenzwertig.“
In der Schweißabteilung gab es zwar am Jahresanfang vor Beginn der Saison viel zu tun, und die in der Schweiz übliche 42 Stunden-Woche war fast nie einzuhalten, aber die Stimmung war gut. Die 21-Jährige fühlte sich vom ersten Tag an wohl im kunterbunten Gemisch von Italienern, Spaniern, Franzosen und Deutschen. Jeder Mitarbeiter ist ein Rädchen im gut funktionierenden Mechanismus und „zum Team gehören nicht nur die Mechaniker an der Rennstrecke“.
Wenn Gina Guhr nicht in der Werkstatt zu Gange ist, schwingt sie sich zum Ausgleich gern auf zwei Räder und gibt auf einem Motorrad Triumph „Tiger“ Gas: Dabei sind Können und Fingerspitzengefühl gefragt, um 800 Kubikzentimeter Hubraum und 95 Pferdestärken zu bändigen.
Gefreut hat sie sich, als Formel 1-Rennfahrer Esteban Gutiérrez alle Abteilungen besuchte und ebenfalls für zehn Minuten in der Schweißabteilung einen Boxenstopp einlegte. „Er plauderte ganz normal mit uns, und ich habe gemerkt, dass solche berühmten Fahrer auch nur Menschen sind.“
Für Sauber lief es mit dem deutschen Piloten Nico Hülkenberg und dem Mexikaner Esteban Gutiérrez nach anfänglichem Sand im Getriebe besser. Hülkenberg wurde am Ende Zehnter, Gutiérrez belegte den 16. Platz.
„Ich hoffe, dass wir uns verbessern“, wagte Gina Guhr einen Blick auf die im Frühjahr beginnende Saison. Vor dem ersten Startsignal müssen jedoch zahlreiche Hausaufgaben erledigt und wie immer ein ganz neuer Bolide gebaut werden. Am Schweißgerät ein Mädchen aus Kist.