Die heiß geführte Diskussion über die medikamentöse Behandlung der Hirmfunktionsstörung ADS mit Ritalin gehört zu den bekannten Themen von Vorträgen und Gesprächs-podien. Mit dem Titel "Hyperaktivität, das verwächst sich doch - oder?" machte Dr. Michael Roth auf die bisher kaum bekannte Problematik von ADS bei Erwachsenen aufmerksam.
"ADS entsteht nicht im Erwachsenenalter, es ist immer schon vorhanden, wird jedoch oft erst spät erkannt", meint Michael Roth, der über vier Jahre an der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet hat. In 30 bis 40 Prozent der Fälle setzt sich das kindliche Syndrom im Erwachsenenalter fort.
Auffallend bei der Lebensgeschichte der Betroffenen ist, dass sie fast alle Schulprobleme hatten und ihnen Unordnung, Unpünktlichkeit, Ungeduld und emotionale Reizbarkeit nachgesagt wird. Positive Eigenschaften wie Energie, Beharrlichkeit, Charme, Kreativität und versteckte Intelligenz charakterisieren sie ebenso. Viele haben es schwer, von ihrer Umwelt in ihrem "Anderssein" anerkannt zu werden.
Roth vertritt die These, dass viele Menschen, die an ADS leiden, auch ganz ungewöhnliche Potentiale haben, die, einmal befreit, erstaunliche Resultate hervorbringen. Vor dem gespannten Publikum führt er aus, dass Albert Einstein, Edgar Allan Poe oder Salvador Dalí eventuell eine ADS-Problematik hatten. Alle sind von der Schule geflogen und waren doch auf ihrem Gebiet zu kreativen Genies geworden.
Auch Edward M. Hallowell und John Ratey, amerikanische Psychiater, die selbst an ADS leiden, vertreten diese Auffassung. Ihr Buch "zwanghaft zerstreut oder die Unfähigkeit, aufmerksam zu sein" gibt viele Beispiele bekannter und unbekannter "ADSler" wieder.
Roth ist der Auffassung, dass die motorische Unruhe im Erwachsenenalter nachlässt, die Aufmerksamkeitsstörung und leichte Ablenkbarkeit oft bleiben. Die medikamentöse oder psychologische Betreuung bei Erwachsenen kann nützlich sein. Vorgebeugt wird damit oft der "Selbstmedikation" mit Rauchen, Alkohol oder härteren Drogen, einem Suchtverhalten unterschiedlicher Art.
ADS als Modediagnose anzusehen, sei sicherlich falsch, meint Roth, "betroffene Erwachsene und Kinder gab es zu allen Zeiten, jetzt kann ihnen jedoch auch geholfen werden". Erster Schritt dazu ist seiner Ansicht nach eine detaillierte Diagnose mit Tests und Beobachtungsbogen, aber auch die Familiengeschichte zu erörtern, da ADS erblich ist.
An der Krankheit sind somit weder Eltern noch Kinder schuld. Bisher hieß es oft, die Kinder seien schlecht erzogen oder verzogen, doch der Grund für ADS ist laut Roth eine erbliche Hirnstörung. Ein weiterer Schritt nach der sicheren Diagnose ist die Aufklärung von Patient und Angehörigen über die Krankheit. Der Arzt berät über eine weitere Behandlung.
Die Einnahme von Ritalin ist für den angehenden Psychiater Roth bei bestimmten Aufmerksamkeitsschwächen hilfreich und unbedenklich. Er rät auch dazu, sich möglichst viele Kenntnisse über ADS anzueignen, um besser mit der Krankheit umzugehen.
Betroffene Eltern von Kindern mit ADS können in der Würzburger Selbsthilfegruppe Möglichkeit zum Austausch und Hilfe finden. Eine Selbsthilfegruppe für Erwachsene mit ADS gibt es hier noch nicht.
Oft ist schon die richtige Diagnose eine Erleichterung, endlich einen Namen dafür zu haben, was Betroffene in den Augen anderer zu "Faulpelzen" oder Chaoten macht. Sie können lernen, mit Hilfe von Therapeuten, Gruppen oder Büchern mit der Krankheit umzugehen und auf ihrem neuen Kurs ermutigt zu werden. Kleine Veränderungen beim Angehen von Arbeiten können schon helfen, wie beispielsweise alles andere vorher zu erledigen, sich eine bestimmte Konzentrationszeit vorzunehmen und ein Ziel zu haben, auf das man sich freuen kann.