„Sonnenuhren sind eine sehr alte Form der Zeitmessung. Sie gab es schon bei den Maya, den Ägyptern, den Griechen und Römern“, erklärt Helmut Cerdini, Rentner und ehrenamtlicher Fremdenführer des Sonnenuhrenwegs in Röttingen. „Der Höhepunkt der Sonnenuhrentechnik war jedoch die Renaissance.
Der Berufsstand der Kompassmacher und Sonnenuhrenbauer war hoch angesehen. Sie hatten sogar ein Verbot, die Stadt zu verlassen.“ Das kam daher, dass die Sonnenuhr ein Symbol für Bildung für das wohlhabende Bürgertum und den Adel war, da man zum Lesen der Sonnenuhr eines gewissen Bildungsstands bedurfte. Auch als die mechanische Uhr im 16. Jahrhundert erfunden wurde, war die Sonnenuhr noch wichtig, da diese zum Stellen der mechanischen Uhr verwendet wurde.
„Wie eine Sonnenuhr funktioniert, ist eine Wissenschaft für sich“, erzählt Helmut Cerdini weiter. So muss sich der Sonnenuhrenstab – der so genannte Polstab – genau auf der Nord-Süd-Linie befinden und im Winkel des Breitengrades angebracht werden. Das Zifferblatt wird ebenfalls nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet.
Auch die Berechnung, wo die Striche für die vollen Stunden angebracht werden, ist kompliziert – außer man übt sich in Geduld und zeichnet diese mit Hilfe einer Armbanduhr und dem Sonnenstand ein. Eine Methode, die der Erbauer der Röttinger Sonnenuhren, Kurt Fuchslocher, niemals nutzte, so Cerdini. „Eine Sonnenuhr ist auf ihren jeweiligen Standort ausgerichtet“, sagt Cerdini. „Sie ist abhängig vom Sonnenhöchststand. Wenn sie nicht durch Berechnung ausgeglichen ist, zeigt sie die genaue Ortszeit und nicht die Zeit der Zeitzone an.“
„In Röttingen werden keine mehr gebaut“, fährt er fort. „Die Ideen für unsere Sonnenuhren kamen alle von Kurt Fuchslocher.“ Und der hatte ungewöhnliche Ideen. So gibt es eine Sonnenuhr, die einer Harfe nachempfunden ist oder aber eine, auf der man ablesen kann, in welcher Metropole der Welt gerade Sonnenaufgang, Mittag oder Mitternacht ist.
„In eine seiner Sonnenuhren ist auch die Tag- und Nachtgleiche eingearbeitet“, sagt Cerdini. „Bei manch anderen Sonnenuhren steht eine Beschreibung dabei, wie die Uhrzeit zu berechnen ist. Wo nichts dabei steht, stimmt die Zeit schon.“ Der Schlossermeister und Erbauer der Sonnenuhren in Röttingen, Kurt Fuchslocher, wurde in jüngeren Jahren als Kompasseur bei den Fliegern der Wehrmacht ausgebildet. Durch die Kompasstechnik kam er auf die Sonnenuhrentechnik, die vom Kompass abhängig ist, so Cerdini.
„Fuchslocher war ständig in seiner Hütte, die ihm die Stadt Röttingen zur Verfügung stellte und hat dort Berechnungen angestellt oder sich handwerklich an seinen Sonnenuhren betätigt.“ Von 1986 bis 2009 baute Fuchslocher Sonnenuhren, am 9. Mai 2010 verstarb er schließlich im Alter von 88 Jahren.
Seine Hinterlassenschaft sind die über 30 Sonnenuhren, die er in Röttingen baute und von denen manch eine auch im Ausland einen Platz fand – so auf Mallorca oder Ibiza, sagt Cerdini. „Für die Renovierung der Sonnenuhren ist der Bauhof zuständig“, erklärt er zudem. „Ich notiere nur, welche renoviert werden muss, wenn ich es bei den Führungen sehe.“
Führungen gibt es rund 50 im Jahr mit meist 40 bis 50 Personen. „Für eine Führung brauche ich meist eineinhalb bis zwei Stunden“, erklärt Cerdini. „Wenn Gruppen von 80 Personen kommen, wird es schwierig, da ich allein bin und die Gruppe nicht teilen kann.“ Begonnen wird die Führung mit ein wenig Theorie, „damit die Leute es verstehen.“ Dann geht es hinaus zu den 30 Sonnenuhren Röttingens.
In den vergangenen Jahren änderte sich durch Stadterneuerung und die Stiftung von ehemals privaten Fuchslocher-Sonnenuhren teils der Standort altbekannter Sonnenuhren. So verschwand die Sonnenuhr von der Marktplatzmitte. „Diese lenkte leider den Blick vom Rathaus ab. Vielleicht wird irgendwann eine neue angebracht, die die Ortszeit anzeigt und aus einfachem grauen Stein ist, damit das Rathaus weiterhin der Blickfang bleibt“, hofft Cerdini. Doch das ist bisher noch Zukunftsmusik.