Nein, es war nicht die Heidi Klum. Nicht allein zumindest. Hätte man ja vermuten können, dass gerade die Mode-Domina unserer Wohnzimmer die Revolution gebracht hat; wo sie doch aus der gleichen Gegend stammt und also prädestiniert wäre, für den Aufstieg der ewigen Reformhaus- und Arztpraxissandale aus ihrer Normalo-Nische zu sorgen. So wie sie es zur in Manhattan-Pailletten glitzernden Stilikone aus Bergisch Gladbach gebracht hat, so haben auch die Gesundheitslatschen aus Neustadt/Wied den Aufstieg vom bequemlichen Inbegriff der Unsexiness zum Schick auf den Laufstegen und im Streetstyle von New York bis Paris gebracht.
Tatsächlich hat sich die Heidi 2003 ja auch als Birkenstock-Trägerin geoutet und dazu eine eigene, aufgepeppte, glitzernde Sandalenkollektion vorgestellt. Aber es hat doch noch etwas gedauert mit dem Aufstieg vom modefernen Trotzdem-Tragen zu It-Shoes, von denen es heißt: Sie gehören zu den fünf Paar Schuhen, die eine Frau im Schrank haben sollte.
Das schreibt nämlich inzwischen das Frauenmagazin „Brigitte“. Wie aber hat es der Erfinder des Fußbetts, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1774 zurückreichen, ohne Heidi hingekriegt? Wie ist es dem Traditionsunternehmen Birkenstock aus Neustadt/Wied gelungen, den Öko-Schuh salonfähig zu machen?
Die Zäsur kam zehn Jahre nach Heidis Auftritt, 2013 also, in mehrfacher Hinsicht. Es war nicht nur das Jahr, in dem das französische Modehaus Céline seine Models in Birkenstock über den Laufsteg schickte. Die Modeszene entdeckte generell die bequeme Sandale wieder. Sagt Claudia Schulz. Und die muss es wissen. Sie ist Expertin, vom Deutschen Schuhinstitut, und verfolgt, was am weiblichen und männlichen Fuß Mode ist. Sie sagt: „Auch zu Röcken wurde sie plötzlich getragen.“ Und das blieb dann auch so.
Übrigens: Nicht nur Birkenstocks sind seitdem gefragt, ergänzt Schulz. Auch Sneakers. Vorbei sind die Zeiten, in denen die sportlichen Schuhe nur in der Freizeit als angemessenes Outfit galten. Sie kamen in neuen Farben und toller Optik daher – 2016 spielen nach Angaben von Schulz übrigens vor allem Metallics und Pastelltöne gerade auch in Lackmaterialien eine große Rolle.
Birkenstocks jedenfalls passen im Frühjahr und Sommer auch zu langen Röcken und Kleidern im hippen Sixties Style. Flowerpower lebt auf.
Die wieder trendige Plateau-Sohle mache sich auch gut zu weiten Hosen. Schließlich ist die Culotte im Trend. „Und zu allen lässigen Looks wie natürlich auch zur Jeans sehen Birkenstocks selbstverständlich immer gut aus.“ Allerdings sind gepflegte Füße ein Muss. Frauen bevorzugen Birkenstocks nicht selten auch, um einen ausgefallenen Nagellack zur Wirkung zu bringen. Männliche Trendsetter können nach Meinung von Schulz Birkenstock-Sandalen auch mit Socken tragen – „aber das sollten nur ganz modische Männer tun, sonst kann der Look schnell lächerlich wirken“.
Die Nachfrage nach Birkenstock wächst rasant. Sagt Unternehmenssprecher Jochen Gutzy. Sie steige sogar so stark, dass das Unternehmen kaum nachkomme. „Dabei haben wir seit 2013 unserer Produktionskapazitäten verdoppelt. Waren es damals noch rund 1700 Mitarbeiter, so sind es heute etwa 3000.“ 2013 hat sich das Familienunternehmen, das rund 20 Millionen Paar Schuhe im Jahr produziert, auch komplett neu aufgestellt. Birkenstock wird zum Konzern.
Erstmals in der über 200-jährigen Firmengeschichte kamen zwei Manager von außerhalb des Familienkreises an die Spitze des Unternehmens, und aus 38 unverbundenen Einzelgesellschaften wurde ein Unternehmen mit transparenten Strukturen. „Ein überfälliger Schritt“, sagt Sprecher Gutzy, der betont, dass Birkenstock der einzig verbliebene heimische Schuhhersteller ist, der seine Produkte auch fast ausschließlich in Deutschland herstelle.
Berücksichtigt man, dass jedes Paar Schuhe nicht nur in verschiedenen Mustern und Farben, sondern auch in zwei Weiten gekauft werden kann, dann gebe es Birkenstocks in etwa 46 000 verschiedenen Variationen. Die großen Umsatzbringer seien aber klassische Sandalenmodelle wie „Arizona“, „Madrid“, „Gizeh“ und „Boston“. Über 20 eigene Läden gibt es hierzulande bereits. Deren Zahl soll wachsen. Karsten Kilian, Marketingprofessor an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, sagt: Markentechnisch habe sich Birkenstock par excellence entwickelt. „Denn eine gute Marke bleibt ihrer ursprünglichen Idee treu. Sie entwickelt sich aber trotzdem weiter und nimmt technologische und gesellschaftliche Trends auf.“ Eine schwierige Balance. Nicht immer glückt sie. Man denke nur an Polaroid oder Kodak.
Das Revival von Birkenstock hat nach Einschätzung von Kilian vor allem auch deswegen geklappt, weil die Schuhe „heute optisch sehr ansprechend“ sind. „Das war nicht immer so“, betont er. Um heute in der Modebranche erfolgreich sein zu können, braucht es mehr Chic als früher. „Es war gut, dass sich das Unternehmen für Designer öffnete. Die Schuhe sind in den letzten Jahren eleganter und sportlicher geworden.“
Das Motto bei Birkenstock lautet nach Ansicht von Kilian seit ein paar Jahren, die Schuhe sind „chic UND gesund“. Dieses „und“ habe den Ausweg aus der Nische geebnet. Während viele Konkurrenten nur chic sind, kann Birkenstock einen wichtigen Zusatznutzen verkaufen: gesunde Füße, Bequemlichkeit, kein Schweißgeruch.
Eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg ist für Kilian die Bekanntheit. „Der Name Birkenstock ist weithin bekannt und steht für Gesundheit.“ Deshalb müsse Birkenstock dem Gesundheitsaspekt treu bleiben. Allerdings eben mit Rücksicht auf die gestiegenen Designerwartungen gesundheitsorientierter Kunden.
Und Schuhexpertin Schulz hat beobachtet, dass gerade junge Menschen auf Birkenstock abfahren. Ihnen gefalle dieses gesunde Image. Das passe auch zum Trend zu Biolebensmitteln, zum vegetarischen oder veganen Lebensstil. Außerdem stehe heute fest: Weder werden High-Heels verteufelt noch flache Schuhe. „Orthopädisch ist man heute nicht mehr so streng. Wichtig ist der Wechsel“, sagt Schulz. Nicht umsonst gehören zu den fünf Paar Schuhen, die eine Frau laut Brigitte braucht, neben flachen Birkenstocks und Sneakers auch ein paar schöne elegante Pumps.
Das sind die Schuhtrends
Dick ist selten etwas in der Mode. An den Schuhen ist dick in diesem Frühling und Sommer aber angesagt: Die Sohle sollte einen gewissen Umfang haben. Was sonst noch im Trend ist:
Gemischte Materialien
Insgesamt wird jetzt gerne gemischt: Materialien, Formen, Farben – vieles ist möglich. Bei den Sohlen etwa wird mit unterschiedlichen Schichten gearbeitet, sagt Trendanalyst Niels Holger Wien. „Das Mischen von Materialien nimmt deutlich zu.
“ So werden Textilien mit Leder, synthetischen Materialien und dekorativen Elementen wie Fransen und Stickereien gemixt. Wien nennt als Beispiel Sandalen mit einer gummierten Sohle, Lederriemchen, einem geflochtenen Textilband und einer Metallspange. Die immerwährenden Sneaker
Ohne Sneaker geht nichts. Viele unifarbene Modelle sind zu finden. Dabei haben alle Materialien den gleichen Farbton oder zumindest die gleichen Farbnuancen. Der komplett weiße Sneaker bleibt so in Mode, aber auch kräftiger darf es sein, zum Beispiel Rot, Orange, Grün. Natürlich und handwerklich
Bei diesem Trend stehen für Wien Bohemian Modelle im Vordergrund, ein natürlicher Schick. Bei den Farben gilt: „Neutralität ist wichtig.“ Grau und Beige, Cognac, aber auch Grün und Blautöne sind angesagt. „Bei den Herren werden wir ohne Blau nicht auskommen“, sagt Claudia Schulz vom Deutschen Schuhinstitut. Veloursleder kommt zum Einsatz, außerdem Jacquard-Stoffe. Flechtungen und Fransen spielen eine Rolle. Hell und puristisch
Die Schuhmesse GDS in Düsseldorf hat als einen Trend die Themenwelt Smart & Tender ausgemacht. „Da geht es um Leichtigkeit und Frische“, sagt Wien. Die Formen sind reduziert, technische Materialien kommen zum Einsatz, etwa Mesh und gewebte Waren. Bei den Farben dominieren Weiß und Pastelltöne, außerdem helle Hautfarben, die Skin Tones. Beispiele für dieses Thema sind helle Derby-Schuhe, außerdem die ganze Riege an Slip-ons wie Loafer und Boat-Schuhe, gerne sommerlich Blau-Weiß. Bei den Loafern ist wichtig: Sie werden barfuß getragen, sagt Stilberaterin Ines Meyrose. Bei den Männern, deren Hosen im Sommer häufig verkürzt daherkommen, dürfe man gerne die Knöchel sehen, ergänzt Schulz. Folkloristisch und tierisch
Dieser Trend hieß in Düsseldorf Offbeat & Dynamic. Zum einen steht Sportivität im Vordergrund. Zum anderen: multikulturelle, folkloristische Einflüsse. So haben Sandalen Flechtungen, die afrikanisch anmuten, erklärt Wien. „Das Thema hat viel mit Eskapismus zu tun“ – also mit dem Wegträumen an andere Orte. Den Sommer-Bootie nennt der Trendanalyst als weiteres Beispiel – eine Stiefeletten-Form mit Einfluss von Chelsea- bis Cowboy-Boot. Bei den Stiefeletten wird der Schaft insgesamt etwas enger, ergänzt Meyrose. dpa