Auf den ersten Blick unterscheidet sich der Jagdhundehof in Würzburg-Heidingsfeld kaum von einem gewöhnlichen Wirtshaus. Hinter großen Bäumen spitzt ein gelbes Haus hervor. Nur ein paar Meter von der Autobahnbrücke entfernt deutet ein schmaler Wegweiser in die Richtung des Grundstücks. Durch die grüne Wiese bahnt sich eine schmale Auffahrt den Weg zu ihm nach oben. Man mag kaum vermuten, dass sich dort ein Unikat verbirgt. Denn der 6000 Quadratmeter große Jagdhundehof ist einzigartig in Deutschland. Er bildet das Herzstück des Jagdgebrauchshundevereins (JGV) Würzburg – schon seit 62 Jahren. Doch wie es mit dem Jagdhundehof nun weitergeht, steht noch nicht fest. Und auch beim Verein selbst stehen Veränderungen an.
In dem urig eingerichteten Gastraum des Hundehofs tummeln sich knapp 30 Vereinsmitglieder. Sie tragen dunkelbraune Fleecejacken, tannengrüne Hemden, den ein oder anderen Filzhut ziert ein Gamsbart. Während in der einen Hälfte des Raums die Stille nur durch gelegentliches Flüstern durchbrochen wird, hört der andere Teil der Anwesenden dem Prüfungsleiter Manfred Stütz zu. Vor ihnen liegt ein kleines grünes Buch: das Richterbuch für die Verbandsgebrauchsprüfung (VGP).
An diesem Samstag werden sich acht Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern bei der VGP beweisen. Die VGP wird auch Meisterprüfung genannt, dauert zwei Tage und deckt die gesamte Jagd-Palette von Waldarbeit bis Gehorsam ab.
Wolfgang Bau gibt seinen Posten auf
Besteht der Hund sie, ist er als vollwertiger Jagdgebrauchshund einsetzbar. Zuvor weist Manfred Stütz die Richter ein, geht den Ablauf durch. Links neben ihm sitzt Wolfgang Bau, der Vorsitzende des Jagdgebrauchshundevereins. Er sagt nichts. Durch seinen dichten, weißen Bart ist lediglich ein sanftes Lächeln zu sehen. Bald gibt er seinen Posten ab. Seit 1990 ist Bau Vorsitzender. Nach der Jahresversammlung im März will er aufhören. Warum? „Wegen meines vorbiblischen Alters“, sagt der 74-jährige Tauberbischofsheimer und beginnt schallend zu lachen. Anwärter für die Position ist sein Stellvertreter Manfred Stütz. „Der Andrang nach solchen Ehrenämtern ist nicht groß“, weiß Bau, „man muss froh sein, wenn man eine qualifizierte Person dafür findet.“
Dennoch scheint die Nachfolge für den Vereinsvorsitz sicherer als die des Jagdhundehof-Pächters. Seit 1980 hatte die Familie Schubert den Hundehof beim Jagdgebrauchshundeverein gepachtet und die Bewirtung übernommen. Im Frühjahr ist damit Schluss. „Wir suchen so schnell wie möglich nach einem neuen Pächter“, sagt Bau. Momentan gebe es zwei Damen, die vielleicht Interesse hätten, verrät der ehemalige Direktor am Amtsgericht Tauberbischofsheim. Eines haben die Suche nach einem Vereinsvorsitz und einem neuen Pächter gemeinsam: Anwärter sind rar gesät. Wenn nicht rechtzeitig ein neuer Pächter gefunden werde, werde der Verein zunächst in Eigenregie versuchen, den Jagdhundehof zu bewirtschaften.
Mit dem Ruf der Jagdhörner kann die Prüfung beginnen
Die Herrchen und Frauchen versammeln sich mit ihren Hunden vor dem Jagdhundehof. Darunter sind Deutsch Drahthaar, Langhaar, Kurzhaar und Münsterländer. „Unser Verein macht nur Prüfungen und keine Zucht“, erklärt der Vereinsvorsitzende die Rassenvielfalt. Einige Mitglieder signalisieren mit dem Ruf ihrer Jagdhörner den Aufbruch zum Prüfungsort in Mainstockheim. Ein kleines Mädchen mit einer pflaumenfarbenen Jacke fällt zwischen den grün gekleideten Vereinsmitglieder besonders auf.
Sie läuft von einem Hund zum anderen. Bis ein kleiner Münsterländer-Welpe aus einem Auto hüpft. „Semper!“, ruft sie fröhlich. Das Mädchen begrüßt Semper und streichelt ihn. Ihre blonden Locken wirbeln umher. Ayleen Schubert ist die dritte Generation der Pächterfamilie. Sie ist auf dem Jagdhundehof aufgewachsen. Dort ist die Achtjährige zu Hause – zumindest noch bis zum Frühjahr.
1980 verpachtete der Jagdgebrauchshundeverein den Hof an das Ehepaar Schubert, das in Eigenregie die Hundepension und einen Dorfladen betreibt. Als die Töchter Kerstin und Cornelia alt genug waren, halfen auch sie stets mit. Der Hundehof wurde zu einem Familienprojekt. „Natürlich ist das mit viel Arbeit verbunden, die macht aber Spaß“, meint Kerstin Schubert. Pünktlich nach der Schule hieß es für Kerstin und Cornelia: alte Klamotten an und raus in die Natur. „Sobald wir zur Tür reinkamen, war das Erste, was unsere Mutter gefragt hat: 'Was habt ihr jetzt wieder angestellt?'“ Mit leuchtenden Augen lassen die Frauen Erlebtes Revue passieren. „Es ist auch eher selten, dass man einen Fuchs an der Leine spazieren führen darf. Hier hatten wir die Möglichkeit dazu.“ Kaum hat Cornelia Schubert den Satz beendet, beginnen die Schwestern herzlich zu lachen.
Der Abschied vom Hundehof fällt Familie Schubert schwer
Dann wird ihnen wieder bewusst, dass diese Zeit bald Vergangenheit sein wird. Es wird still im Gastraum des Vereinsheims. „Jetzt, wo das Ende naht, reden wir viel über Kindheitserinnerungen.“ Kerstin Schubert drückt ihre Tochter Ayleen an sich. Wegen eines schweren Schicksalsschlags in der Familie müssen sie das Pachtverhältnis beenden. Alle würden es sehr bedauern, den Jagdhundehof zu verlassen, sagt Cornelia Schubert: „Wir haben es hier sehr geliebt.“ Die achtjährige Ayleen schwärmt vor allem für die vielen Hunde. Sie passe gern auf die Tiere auf. Besonders ans Herz gewachsen seien ihr Wolfgang Baus Jagdterrier Roxy und seine Münsterländer-Hündin Olympia.
Auch Bau liegt viel am Jagdhundehof. „Er ist das Herz des Vereins. Das wollen wir auch erhalten.“ Einmal im Monat treffen sich die Mitglieder hier. Erfahrungen werden ausgetauscht, die Jagd besprochen, Weiterbildungen angeboten. „Das ist ein kleines Highlight jeden Monat.“ Auch andere Vereine veranstalten dort ihre Versammlungen. Der 74-Jährige beschreibt den Hundehof als „Juwel des Jagdhundewesens“.
Und in der Tat: Er ist ein Unikat. Das bestätigt auch Karl Walch vom Jagd- gebrauchshundeverband: „In dieser Form ist der Würzburger Jagdhundehof einzigartig in Deutschland.“
Anfang der 50er Jahre sollte in jedem bayerischen Regierungsbezirk ein Jagd- hundehof gegründet werden, um die Jagd zu fördern. Umgesetzt wurde der Gedanke in Niederbayern und Unterfranken. Jedoch musste der Jägerhof „Weihmichel“ in Landshut schon 1963 wieder schließen. Der Jagdhundehof in Heidingsfeld hingegen blieb bestehen. Nach wie vor ist das 6000 Quadratmeter große Gelände im Besitz des Vereins. Zu Beginn stellte der JGV einen Abrichter ein, dessen Aufgabe es war, die Hunde auszubilden und sie in Pension zu versorgen. Unter anderem lernten Dackel in einer Schliefanlage die Baujagd. Mit dem Röhrensystem wird ein Fuchsbau künstlich simuliert. Mittlerweile ist die Anlage stillgelegt. Auch stellt der Verein keinen Dresseur mehr ein.
Nicht jeder Interessent kommt als Pächter in Frage
Die Zwinger werden nach wie vor gebraucht. Genauso wie damals geben Jäger und auch andere Hundebesitzer ihre treuen Begleiter im Hundehof ab, wenn sie beispielsweise in den Urlaub fahren. Deshalb könne man nicht jeden Pächterinteressenten nehmen, erklärt Bau. Es reiche nicht die Hunde alle paar Minuten rauszulassen. Der künftige Pächter des Jagdhundehofs brauche eine Zertifizierung, die ihn berechtigt, Hunde zu beaufsichtigen – so wie es Familie Schubert derzeit noch tut. „Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich es weitergemacht“, sagt Kerstin Schubert. „Doch alleine geht das nicht.“ Mit einem weinenden Auge werde sie den Hof verlassen.
So ähnlich geht es auch Wolfgang Bau. Nach mehr als 26 Jahren gibt er seinen Vorsitz ab. Er hält kurz inne, atmet tief aus. „Es war ein großer Teil meines Lebens.“ Dennoch weiß der Tauberbischofsheimer: „Alles hat seine Zeit. Nun müssen die Jüngeren ran.“ Mitte der 1970er Jahre wurde Bau Mitglied im JGV. Seitdem ist er aus dem Verein nicht mehr wegzudenken – genauso wenig wie der Jagdhundehof. „Der Hundehof hat mich fast das halbe Leben lang begleitet.“ Und wenn es nach Bau geht, bleibt das auch weiterhin so.