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Helmstadt: Käferplage im Landkreis Würzburg: Tausende Tiere schocken Landwirt

Helmstadt

Käferplage im Landkreis Würzburg: Tausende Tiere schocken Landwirt

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    Der konventionelle Bauer Klaus Fiederling aus Helmstadt ist, wie er selbst sagt "ökologisch angehaucht". Auf einem seiner Felder baut er Sojabohnen gemeinsam mit Leindotter an.
    Der konventionelle Bauer Klaus Fiederling aus Helmstadt ist, wie er selbst sagt "ökologisch angehaucht". Auf einem seiner Felder baut er Sojabohnen gemeinsam mit Leindotter an. Foto: Foto: Thomas Obermeier

    Nie und nimmer. In 30 Jahren war ihm so etwas noch nicht passiert. Als der Landwirt Klaus Fiederling aus Helmstadt (Lkr. Würzburg) seinen frisch geernteten Weizen im Würzburger Hafensilo abladen wollte, hieß es plötzlich: Stopp, in der Ernte sind Käfer! Doch keine zehn oder 20, sondern Tausende. "Das Getreide hat gelebt!" Noch immer ungläubig berichtet Klaus Fiederling von dem Schock an einem Samstagvormittag im Sommer dieses Jahres. Der Erfassungshändler berief sich auf die "Einheitsbedingungen des Deutschen Getreidehandels", nach denen die Ware weder lebendes noch totes Tier enthalten dürfe. Und verweigerte die Annahme.

    Gefahr für unterfränkischen Zuckerrübenanbau?

    Doch ist es überhaupt möglich, einen Getreideschädling vom Acker weg zu ernten? Den studierten Agrarwirt beschlichen Zweifel. Dem Käfer fehlten die Mundwerkzeuge, um das Getreide anzubohren. Also doch kein Vorratsschädling? Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf: Handelte es sich etwa um den Derbrüssler, der in Österreich an die 10 000 Hektar Zuckerrübenfläche komplett vernichtet hatte? Oder um den Spitzsteißigen Rübenrüssler, der bereits vereinzelt auf Zuckerrübenfeldern in Südbayern aufgetaucht war?

    Der Bauer informierte die Südzucker AG. Zwei Experten aus dem Ochsenfurter Werk fuhren raus. Einer von ihnen, Ernst Merz, ebenfalls gelernter Landwirt und Leiter der Rohstoffabteilung Rübe, berichtet, wie sie den Käfer sofort zur Analyse an zwei Institute schickten. Am nächsten Morgen dann die Entwarnung: Es handele sich um einen Blattrandkäfer. Zum Glück für die Rübenbauern. Denn den gefürchteten Derbrüssler hätte man, wenn überhaupt, nur schwer in den Griff bekommen. Derbrüssler kannte man früher nur aus Südspanien, Südfrankreich und Italien, erklärt Ernst Merz. Vor 15 Jahren wurde der Käfer zum ersten Mal nördlich der Alpen entdeckt. Der Klimawandel und vor allem die milden Winter begünstigen die Ausbreitung des Schädlings in nördliche Anbaugebiete.

    Käfer kam in die Mikrowelle

    Für die Rübenbauern bestand also keine Gefahr. Fiederling aber steckte mittendrin im Schlamassel. "Ich hatte noch 150 Tonnen Getreide erntereif auf dem Acker stehen. Das wurde ja qualitativ nicht besser." Jeder Tag bedeutete ein neues Risiko für den Vollerwerbslandwirt. Auch logistisch gesehen stieß er an seine Grenzen. Normalerweise muss er zu Spitzenzeiten jeden Tag dreschen, das Getreide zu den Händlern bringen, die Hänger neu beladen. Jetzt standen die vollen Hänger auf dem Hof. Und von den Nachbarn geliehene noch dazu. "Wir konnten uns hier im Hof nicht mehr umdrehen vor lauter Hänger." Und vor allem: "Wohin mit dem ganzen Getreide?"

    Durch die Mikroskopkamera fotografiert: Blattrandkäfer mit einem Getreidekorn als Größenvergleich.
    Durch die Mikroskopkamera fotografiert: Blattrandkäfer mit einem Getreidekorn als Größenvergleich. Foto: Foto: Thomas Obermeier

    Da packte den Landwirt der Ehrgeiz. Er wollte mehr über den Käfer wissen, der seine ganze Ernte in Gefahr brachte. Um das winzige, fünf bis acht Millimeter große, zappelnde und blitzschnell krabbelnde Tier zu fotografieren, griff er zu einem Trick: Anstatt ihn auf eine Nadel zu spießen und damit den Körper des Insekts zu zerstören, machte er eines der Tausend Tierchen in der Mikrowelle bewegungsunfähig, um es anschließend mit einer Mikroskopkamera aufzunehmen.

    Das Bild schickte er an Käferexperten in ganz Deutschland. Es stellte sich heraus, dass es sich um zwei Arten, den Blattrandkäfer und den Steinkleekäfer handelte. Vermutlich hatten sich die Schädlinge in den angrenzenden ökologisch bewirtschafteten Kleefeldern explosionsartig vermehrt und waren dann auf der Suche nach neuen Nahrungsquellen im Getreidefeld von Fiederling gelandet. Fraßspuren am Klee deuteten darauf hin. 

    Nach zehn Tagen war der Spuk vorbei. Der Käfer fand im geernteten Getreide nichts Fressbares. Er pulverisierte sich buchstäblich: Flügel, Beine, Mandibel brachen weg. Der Rest des Tieres bestand aus Wasser. Klaus Fiederling durfte seinen Weizen beim Händler abladen. Ende gut, alles gut?

    Der Landwirt ist sich sicher: Die Gefahr dieser Käfer wird unterschätzt. Denn früher war eine ökologisch bewirtschaftete Fläche meist von konventionellen Flächen umgeben. Damals habe der Schutz der konventionellen Flächen, auf denen Pflanzenschutzmittel verwendet werden dürfen, die Bioflächen in gewissem Umfang mitgeschützt. Jetzt kehre sich das Verhältnis um. 

    Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Würzburg bestätigt: In Helmstadt (Lkr. Würzburg) werden etwa 32 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet. Das sind bereits mehr als die im Volksbegehren Artenvielfalt geforderten 30 Prozent bis zum Jahr 2030. Im ganzen Landkreis Würzburg sind es etwa zehn bis elf Prozent.

    Von Öko umzingelt?

    Ein konventioneller Ackerbauer also, der sich von Öko umzingelt sieht? Ganz im Gegenteil, sagt Klaus Fiederling, der sich als "ökologisch angehaucht" beschreibt. Sein Sohn studiert Ökolandbau. Er selbst experimentiert mit Sojabohnen und Leindotter auf einem Feld, weil sich dort Holzbienen und seltene Schmetterlingsarten ausbreiten und fährt auch schon mal nachts ohne Licht mit dem Mähdrescher  übers Feld, um möglichst wenige Insekten zu vernichten. Er sagt: "Mich wurmt das Schwarz-Weiß-Denken. Es geht um das Zusammenspiel von öko und konventionell  im Klimawandel. Der Käfer stellt das ganze System des Ökoanbaus in Frage." Denn die Käferlarven zerstören die Wurzelknöllchen der für Öko-Landwirte so wichtigen Leguminosen, die den Boden auf natürliche Weise düngen.

    Neue Schädlinge im Klimawandel

    Ullrich Benker vom Institut für Pflanzenschutz an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft sieht den Fall gelassen. Ökobauern trügen generell ein höheres Risiko, dafür brächten ihre Produkte höhere Preise. Wenn sich die natürlichen Fressfeinde der Schädlinge wie Laufkäfer, Vögel oder Spinnen wieder vermehren, werde sich hoffentlich auch ein natürliches Gleichgewicht einpendeln. Allerdings seien Bauern nie vor Ernteschäden gefeit.

    Dass die Risiken der Bauern steigen, bestätigt Hermann Kolesch, Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau. Er sagt: "Wir bekommen immer mehr Schädlinge, die, einmal hier eingeschleppt, optimale Lebensbedingungen vorfinden". Er bezieht sich dabei auf die steigenden Temperaturen in Unterfranken. Trockenstress, neue Pflanzenkrankheiten, Schadinsekten: "Seit 20 Jahren machen wir fast jedes Jahr eine neue Erfahrung im Klimawandel. Wir müssen immer wieder neu reagieren, dazulernen und die Bewirtschaftung anpassen."

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