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ESTENFELD: Kartause befreit von Badewannen und Gipsplatten

ESTENFELD

Kartause befreit von Badewannen und Gipsplatten

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    Uwe Abert mit einem Stück Gipsplatte, die zu den neuzeitlichen Decken- und Wandverputze gehörte. Sie alle mussten wie die Fußböden entfernt werden, damit die Vermesser den tatsächlichen historischen Bestand messen können.
    Uwe Abert mit einem Stück Gipsplatte, die zu den neuzeitlichen Decken- und Wandverputze gehörte. Sie alle mussten wie die Fußböden entfernt werden, damit die Vermesser den tatsächlichen historischen Bestand messen können. Foto: Foto: Guido Chuleck

    Die Wucht der Hammerschläge, mit der er die Badewanne bearbeitet, hallt über den Hof und weit in den Ort hinein. Immer wieder schlägt er zu, bis sich erste zaghafte Risse zeigen, dann das erste Stück herausbricht. Der Rest ist für den 80-jährigen Werner Albert reine Formsache, noch ein halbes Dutzend weiterer Schläge mit dem Vorschlaghammer und die Wanne, die vier gestandene Mannsbilder aus dem Gebäude tragen mussten, ist Geschichte.

    Hier wird aber kein neues Bad eingerichtet, sondern zwei Wohnhäuser der Kartause Estenfeld werden kräftig entrümpelt. Werner Albert ist einer von 21 Freiwilligen, die am ersten Samstag im August von halb neun in der Früh bis spätnachmittags die beiden Wohnhäuser von neuzeitlichen Einbauten befreiten. Sprich: sie reißen Holzdecken herab, um die historische Stuckdecke freizulegen, sie stemmen Gipsplatten von den Wänden, um das Mauerwerk freizulegen und sie befreien den Holzfußboden vom jahrzehntelang festgetretenen PVC-Belag.

    Und immer wieder ertönt ein Ruf: „Der Michael soll sich das hier mal anschauen.“ Dann eilt Michael Hauck herbei, begutachtet einen mittelalterlichen Fensterrahmen („Aufbewahren“), bewundert mittelalterliche Türen („Auch aufbewahren“) und lässt einen verrosteten Schlüsselbund sicherstellen.

    Am Ende des Tages werden die Helfer gut 50 Kubikmeter Holz, fünf Kubikmeter Gipsplatten und ebenso viel gemischten Müll aus den Häusern getragen haben.

    So auch Atina Hübner, Lehrerin an einer Berufsfachschule in Würzburg und an diesem Samstag die einzige Frau bei dieser Arbeit. „Als ich gesehen habe, dass hier nur Männer sind, wollte ich gleich wieder gehen“, sagt die Estenfelderin mit dem griechischen Vornamen, „aber dann bin ich doch geblieben, und es macht total viel Spaß.

    Mittendrin ist auch der ehemalige Koch und jetzige Rentner Werner Köhler, der auch alles das macht, was ihm aufgetragen wird. „Ich sehe, wo was zu tun und dann packe ich an“, sagt Köhler, Vorsitzender der AWO Estenfeld. Und er macht sich auch für die übrigen Arbeiter nützlich: Er und der dritte Bürgermeister Gerhard Knorz bereiten bei der AWO Kaffee für die Mannschaft zu.

    Dann ist Pause und der ganze Trupp labt sich an der von der Gemeinde gespendeten Brotzeit. „Das haben sich die Leute auch verdient, die haben reingehauen wie die Verrückten“, sagt Bauhofchef Jürgen Fottner, der teils privat, teils dienstlich mit dabei ist. Sehr viel habe er nicht dirigieren müssen, sagt er: „Da sind ehemalige Arbeiter vom Bau dabei, die wissen auch ohne Anleitung, was zu tun ist und wer nicht vom Fach ist, wird eingewiesen.“

    Sinn und Zweck dieser Räumaktion, der noch einige weitere im August folgen werden, ist die Vorbereitungsarbeit für die Vermesser und die Bestandsanalyse, erklärt Michael Hauck, Projektleiter und als ehemaliger Dombaumeister von Köln bestens betraut mit mittelalterlichen Bauten. „Was wir hier haben, sind Gebäude, die ihrem Zweck und Anspruch als Wirtschaftszentrum des alten Estenfeld voll und ganz entsprechen: eine sehr hohe, ja fast schon höfisch zu nennende Ausstattung. Außerdem hatte hier auch seit 1362 der Schultheiß, also der Ortsvorsteher und einem heutigen Bürgermeister vergleichbar, seinen Amtssitz“, fährt Hauck fort, und neben ihm wächst der zweite Bürgermeister Joachim Sadler strahlend ein paar Zentimeter.

    Allein die Tatsache, dass in „einem Dorf wie Estenfeld“ (Zitat Hauck) ein derartiges Schmuckstück sei, bringt den Fachmann zum Staunen. Und endlich sei auch der Hof mit dem Areal von gut 14000 Quadratmetern wieder „eine Einheit, die nach über 200 Jahren der Trennung wieder eins ist“. 1803 war der Hof im Zug der Säkularisation auf zwei Besitzer verteilt, jetzt ist sie wieder im Besitz der Gemeinde.

    Ideen für die Zukunft der Kartause gibt es mehr als genug. Etwa die Idee von Hauck als Kulturzentrum oder die von Sadler eines Verwaltungs- und Kulturzentrums. Vielleicht, so geisterte eine weitere Idee über die Baustelle, ließe sich auch ein Museum mitsamt Café einrichten. Oder eine der Scheunen eigne sich als Veranstaltungsraum. Den Innenhof konnte sich einer der Helfer auch als Kulisse für ein Freilichttheater vorstellen.

    Möglich wäre auch ein Schau-Brennen, sagt Joachim Iwanowitsch, Vorsitzender des Freundeskreises der Kartause, deren Mitglieder die Hälfte der freiwilligen Entrümpler stellt. „Hier hatten die Estenfelder ihren Schnaps brennen lassen, weil nicht jeder eine Brennblase und auch nicht das Brennrecht besaß“, sagt Iwanowitsch. Eine Brennblase sei noch vorhanden, sagt er, „die würden wir herrichten lassen und ein Schau-Brennen veranstalten, so es die Gemeinde erlauben würde“.

    Auch kann er sich gut ein Museum vorstellen, mit all dem Mobiliar, das aus den beiden Häusern geräumt worden ist. Die letzte Entscheidung trifft der Gemeinderat.

    Und jetzt können sich auch die Vermesser ans Werk machen, denn die Wohnhäuser sind vollkommen entrümpelt. Waren zunächst alle Samstage im August vorgesehen, reichten vier Stunden in denen neben vielen Freiwilligen auch einige Gemeinderäte und zwei junge Feuerwehrleute schufteten, um alles rauszuholen, was die historische Substanz überlagerte. Alles, was jetzt noch zu erledigen wäre, „das ist Aufgabe der berufsmäßigen Restauratoren und dann von den Vermessern“, sagt Gerhard Knorz.

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