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Würzburg: Keine Spur von Überheblichkeit: Wunibald Müllers sehr persönliche Erinnerungen an Papst Benedikt XVI.

Würzburg

Keine Spur von Überheblichkeit: Wunibald Müllers sehr persönliche Erinnerungen an Papst Benedikt XVI.

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    Wunibald Müller, 72, ist katholischer Theologe, Psychotherapeut und Autor. Er hat 25 Jahre lang, bis 2016, das Recollectio-Haus in Münsterschwarzach geleitet, das kirchlichen Mitarbeitern in Lebenskrisen hilft. Müller hat die Verfasser der Missbrauchsstudie der deutschen Bischöfe beraten und  hat sich mehrfach für dafür ausgesprochen, homosexuelle Priester offen anzuerkennen und den Zölibat aufzuheben. 
    Wunibald Müller, 72, ist katholischer Theologe, Psychotherapeut und Autor. Er hat 25 Jahre lang, bis 2016, das Recollectio-Haus in Münsterschwarzach geleitet, das kirchlichen Mitarbeitern in Lebenskrisen hilft. Müller hat die Verfasser der Missbrauchsstudie der deutschen Bischöfe beraten und  hat sich mehrfach für dafür ausgesprochen, homosexuelle Priester offen anzuerkennen und den Zölibat aufzuheben.  Foto: Patty Varasano

    Als "knallhart", aber auch als "charmant" und immer als "integer" hat der 72jährige Würzburger Theologe, Psychotherapeut und Autor Wunibald Müller den verstorbenen Papst Benedikt XVI. erlebt. Müller hat Benedikt mehrfach getroffen, bei einer Konferenz im Vatikan, bei einem Aufenthalt in Israel. Am Todestag Benedikts hat Müller seine sehr persönlichen Erinnerungen an den bayerischen Papst aufgeschrieben:

    Wunibald Müllers persönliche Erinnerungen an Papst Benedikt:

    "Joseph Ratzinger konnte hart sein. Man durfte sich nicht täuschen lassen von seinem leisen und freundlichen Auftreten. Das hat zum Beispiel der Befreiungstheologe Leonardo Boff erfahren, der in der Zeit, als Joseph Ratzinger Präfekt der Glaubenskongregation war, mit einem Rede- und Lehrverbot belegt wurde. Es war auch Joseph Ratzinger, der verhinderte, dass der liberale Theologe Baptist Metz Professor in München wurde. Ich selbst habe ihn als knallhart erlebt, als er Korrekturen an meiner Doktorarbeit über Homosexualität verlangte und mich dadurch in eine schwierige Situation brachte. Damals kam er mir wie der Großinquisitor vor, den Dostojewski in seinem Roman "Die Brüder Karamasow“ beschreibt.

    Über das Blümchen, das Ratzinger jahrelang aufbewahrte

    Als ich einige Jahre später dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger anlässlich einer internationalen Konferenz über den Missbrauch in der Kirche im Vatikan begegnete, begrüßte er mich mit den Worten: "Wir treffen uns ja zum ersten Mal. Ich habe alle ihre Bücher gelesen." Ich antwortete, dass er sicher nicht alle Bücher gelesen habe, aber ganz bestimmte und wir uns vor vielen Jahren schon einmal in Israel begegnet sind. Damals hatte ich beobachtet, wie er vor der Kirche in Kana einem Jungen ein Blümchen abkaufte und sich dieses Blümchen an seinem Jackenaufschlag angesteckte. "Sie haben recht“, meinte er. "Ich habe dieses Blümchen über viele Jahre in meinem Brevier aufbewahrt." Das Eis zwischen uns war in diesem Moment gebrochen und wir konnten uns beim anschließenden Abendessen gut miteinander unterhalten.

    Das gehört auch zu Joseph Ratzinger: eine charmante Seite. Auch war ihm jede Form von Überheblichkeit fremd. Ich weiß von Fällen, bei denen er sich für die Belange einzelner Personen persönlich eingesetzt hat. Ich denke an einen Priester, dessen Laisierungsverfahren sich ewig lange hinzog. Joseph Ratzinger empfing ihn in seiner Privatwohnung und kümmerte sich darum, dass das Verfahren abgeschlossen wurde.

    Ratzinger als "ängstlicher Mensch", für den das Ansehen der Kirche immens wichtig war

    Für mich war bei allen unterschiedlichen Positionen Joseph Ratzinger immer ein integrer Mann, darum bemüht, sich so zu verhalten, dass er sein Tun vor sich, den anderen und Gott verantworten konnte. An ihm gefiel mir, dass er ein großer Intellektueller, zugleich aber auch ein tiefgläubiger Mensch war, der jeden Tag die heilige Messe feierte und den Rosenkranz betete.

    Joseph Ratzinger war ein ängstlicher Mensch, für den das Ansehen der Kirche und der Wunsch, die Reinheit der Lehre zu bewahren, an erster Stelle standen. Genau das aber hat am Ende dazu geführt, dass die menschliche Seite und Wirklichkeit, der "human factor", zu wenig bedacht wurde. Man denke an die Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche, deren Leid zunächst nicht wirklich gesehen wurde. Oder an die Situation von Frauen und Männern, deren Beziehungen gescheitert sind, und an die Personen, die heute unter dem Begriff LGBTAQ+ erfasst werden, denen die ihnen gemäße Weise, sich zu lieben, nicht zugestanden wurde.

    Dadurch hat die Kirche sich selbst einen großen Schaden zugefügt und einen großen Vertrauensverlust erlitten. Daran hat auch Joseph Ratzinger seinen Anteil, wenn er auch, was die Opfer sexualisierter Gewalt betrifft, dazu gelernt hat und nicht länger zuerst das Ansehen der Kirche, sondern die Opfer sexualisierter Gewalt und ihr Wohlergehen im Blick hatte.

    Ratzinger als Interviewpartner, der mit "Bruder Joseph" angesprochen werden wollte

    Joseph Ratzinger hat einmal in einem Interview gemeint, man könne ihn gerne auch mit "Bruder Joseph" ansprechen, was ja auch grundsätzlich möglich sein sollte, wenn man im liturgischen Kontext von den Schwestern und Brüdern spricht. Ich glaube, er hat das auch so gemeint. Auch weil er sich im Tiefsten tatsächlich als Bruder verstand und für ihn seine manchmal auch harte Vorgehensweise damit in Einklang zu bringen war.

    Dazu gäbe es vieles zusagen. Viele hätten gerne in seinem Verhalten diese brüderliche Seite, die Liebe des Bruders gespürt. Ich kann für mich nur sagen, dass ich bei allen Unterschieden und Kontroversen, am Ende seines Lebensweges ihm gegenüber, für ihn als Person und sein Lebenswerk, eine große Wertschätzung empfinde, auch weil für ihn gilt, was für alle gilt: Ein Mensch ist er. Er ist aus keinem anderen Holze gemacht wie wir alle.

    Er ist ein Bruder."

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