Wie lässt sich aus einer banalen Geschichte, in der ein Ehepaar die junge Geliebte eines kürzlich von seiner Frau getrennten Freundes kennenlernt, eine unterhaltsame Komödie machen? Dem französischen Schriftsteller und Regisseur Florian Zeller gelingt das in seinem 2016 uraufgeführten Stück "Die Kehrseite der Medaille" mittels Griff in die Mottenkiste für Stilmittel des Theaters: das Beiseitesprechen.
Auf diese Weise erhalten Zuschauer Einblicke in die Gefühle und Gedanken einer Bühnenfigur, nicht aber deren Mitspieler. Daraus und aus der Diskrepanz zwischen Denken und Aussagen der Zeller’schen Geschöpfe entsteht emotionaler Sprengstoff – und in der trefflich besetzten Inszenierung von Martina Esser für das Theater Chambinzky humorvolle, klamaukfreie Unterhaltung.
In dem Stück spielen Thorsten Rock und Monique Marten die langjährigen Eheleute Daniel und Isabelle. Das ungleiche Paar ihnen gegenüber geben Wernher von Schrader als frisch verliebter Middle Ager Patrick und Silvia Schreiner als dessen junge Freundin Emma.
Vor allem Daniel versucht sich als Siegertyp zu gerieren. Was wirklich in seinem Kopf vorgeht, wird gleich zu Beginn des Stücks durch Hinwenden zum Publikum klar. Das erkennt seine (und jede weiteren) Denkvorgänge am sofortigen Einfrieren der Bewegungen der anderen Bühnen-Anwesenden – was alle vier präzise schaffen. Am häufigsten darf Daniel sein wahres Ich offenlegen. Seine Innenschau zeigt: Er steht seinen Mann im Beruf und im schicken Pariser Zuhause (Bühnenbild/-aufbau: Andres Zehnder und Lennart Jäger) unter dem Pantoffel seiner intelligenten Ehefrau. Ihr muss der "Vollpfosten" seine (unfreiwillig) ausgesprochene Essenseinladung für Patrick und dessen "Tussi" beichten. Doch nach anfänglichem Ärger und besorgt, sie könnte ebenso ausgewechselt werden wie ihre Freundin, von der sich Patrick getrennt hat, lenkt Isabelle ein.
Das "ungezwungene" Kennenlernen wird zum Abend mühsamer Gespräche und neuer Erkenntnisse – über Ehe, (überlebte) Freundschaft, den Charakter des Gegenüber. Wahrnehmungen, die freilich keiner preisgibt. Schon gar nicht Daniel. Hatte er zuvor Emma noch "als größten Fehler" Patricks bezeichnet, kann er sich jetzt kaum halten vor Neid auf seinen angeberischen Freund und dessen junge "Sauerstoffdusche", die des Hausherrn sexuelle Fantasie sprießen lässt. Als nach heuchlerisch freundlicher Verabschiedung des jungen Glücks das Ehepaar den Abend Revue passieren lässt, wird klar: Isabelle liest in ihrem Mann wie in einem offenen Buch. Möglich, dass es da so manchem im Publikum dämmert…
"Die Kehrseite der Medaille" läuft bis 28. Mai im Großen Saal des Theater Chambinzky. Info und Karten auf www.chambinzky.com
