Am Dienstagnachmittag meldet sich der Bankräuber von Röttingen überraschend per E-Mail in der Redaktion. Meißner reagiert prompt. Schreibt zurück. Ein kurzer Briefwechsel entsteht.
Nur mit einem hat der Räuber nicht gerechnet. Während er mit Meißner fleißig E-Mails austauscht, ist ihm die Polizei auf den Fersen. Das Internet ist doch nicht so anonym, wie manch einer glauben mag. Die Hamburger Polizei verhaftet den 19-Jährigen schließlich am Dienstagnachmittag, 45 Minuten nach der letzten Mail an Meißner, auf der Reeperbahn.
Ein Tag nach der Festnahme steht Meißners Telefon nicht mehr still. Mittlerweile hat sich bundesweit herumgesprochen, dass der Main-Post-Redakteur am Tag zuvor in einer regen E-Mail-Korrespondenz mit dem Bankräuber von Röttingen stand.
Der erste Anruf kam von einem privaten Fernsehsender. Meißner erinnert sich: „Gleich im ersten Satz haben die mich gefragt, ob ich bereit wäre, die Geschichte gegen Geld zu erzählen.“ Das trifft sein journalistisches Ehrgefühl. Er erzählt die Geschichte erst einmal nicht.
Wieder klingelt es. Ein Online-Redakteur von stern.de interessiert sich für Meißners E-Mail-Korrespondenz mit dem Räuber von Röttingen. Ein paar Stunden später ist alles auf der Internetseite des Magazins nachzulesen. „Eine E-Mail zu viel“ heißt es dort. Andere Blätter betrachten den Räuber von Röttingen als dümmsten Bankräuber Deutschlands.
Redakteur Meißner urteilt feinfühliger über seinen kurzzeitigen Brieffreund: „Der hat sich die nächsten Jahre seines Lebens gründlich versaut. Das ist schon schlimm“, sagt er. Eine besondere Beziehung zu ihm hat er aber durch den kurzen digitalen Schriftverkehr nicht aufgebaut.
Noch am Mittwochnachmittag, um 15.30 Uhr, klingelt es an der Tür der Ochsenfurter Lokalredaktion in der Oberen Boxgasse. Das erste Fernsehinterview steht an. Bis Kameramann und Redakteurin das Obergeschoss erreichen, dauert es. Meissner zupft sich schnell die Haare zurecht, steckt sein weißes Hemd in die Hose und macht noch schnell ein paar Lockerungsübungen.
Alles muss schnell gehen. Um 17.15 Uhr beginnt die Live-Sendung. Das Fernsehteam kommt ins Schwitzen. Der Druck ist groß. Meißner schlägt sich gut, verhaspelt sich kaum.
„Das ist schon komisch, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen.“
Gerhard Meissner, Reporter in Ochsenfurt
Eine Stunde später ist alles vorbei. Für das Fernsehteam wird es knapp. In 45 Minuten beginnt die Sendung. Meißner entspannt sich. „Ich fass' es nicht,“ schüttelt er mit dem Kopf.
Kurz vor Ende der Fernsehsendung „Brisant“ läuft der Beitrag dann bundesweit im Ersten. „Es hat etwas länger gedauert bis wir diese Bilder bekommen haben“, kündigt die Moderatorin nach den kurzen Nachrichten aus der Promiwelt die Räuberpistole aus Röttingen an.
Meißner sitzt derweil bei seinem Feierabendbier und sieht sich auf einem Fernseher mit grieseligem Bild und schlechten Ton. Er fühlt sich unwohl in seiner Haut. „Hoffentlich klingt das nicht allzu unbeholfen,“ sagt er sich.
Einen Tag später das gleiche Prozedere. Ein Team des ZDF reist extra aus München an. Routiniert macht sich Redakteur Meißner zurecht und tut das, was die Fernsehleute sagen. „Das ist schon komisch, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen“, sagt er und atmet kräftig durch. Nach zwei Stunden ist alles im Kasten.
Wenige Minuten später, bei Roulade und Radler, ist Meißner wieder ganz der Alte. Locker, witzig, redselig. Die Anspannung wie weggeblasen. Nur auf die Frotzelei des Wirtes, „Du könntest doch Aktenzeichen XY machen“, weiß er ausnahmsweise keine Antwort.