Viola aus der Juliuspromenade besitzt vielleicht keine eigene Bohrmaschine. Ellen aus der Elefantengasse sucht vielleicht jemanden, der mit ihr joggen geht. Jedenfalls wollen die beiden mehr Kontakt mit ihren direkten Nachbarn. Sie haben deswegen Zettel verteilen lassen: „Liebe Nachbarn“, steht darauf, „wir würden uns freuen, mehr mit euch in Kontakt zu treten.“ Jedoch geht es ihnen nicht nur um nette Gespräche zwischen Tür und Angel. Die Zettel sind Einladungen zu einer Nachbarschaftsplattform im Internet.
Ein Start-Up aus Berlin
Ähnliche Zettel wurden in den vergangenen Wochen in ganz Würzburg verteilt. Dahinter steckt ein Start-Up aus Berlin: nebenan.de. Die Idee: Ein bisschen Dorfleben in der Stadt, die Anonymität überwinden, eine Art Facebook ausschließlich für das eigene Stadtviertel. In den USA funktionieren solche Plattformen schon seit längerem und auch in Deutschland setzt sich das Konzept in immer mehr Städten durch.
Die Sanderau ist sehr aktiv
So habe es auch in Würzburg schon lange erste Anmeldungen gegeben, erklärt die Mitgründerin des Berliner Start-Ups Ina Brunk. „Richtig gestartet ist es dort aber erst im Oktober.“ Mittlerweile gibt es in Würzburg zwölf Nachbarschaftsgruppen. Eine Nachbarschaft bekommt auf dem Portal erst dann eine eigene Gruppe, wenn sich mindestens zehn Leute angemeldet haben. „Besonders aktiv sind die Nachbarschaften etwa in der Sanderau, in Heidingsfeld oder im Frauenland“, sagt Brunk.
Aber worum genau geht es dabei? „Wir wollen ein Werkzeug liefern, das es Nachbarn ermöglicht, leichter in Kontakt zu kommen“, sagt Brunk. Denn wer weiß schon, wer da im Haus gegenüber wohnt? Wo soll man klingeln, wenn man dringend eine Tasse Mehl braucht? Das findet Ina Brunk schade: „Die soziale Gemeinschaft in der direkten Umgebung ist in den vergangenen Jahren etwas ins Hintertreffen geraten – vor allem in den Städten aber auch im ländlichen Bereich.“
Ab 100 Nachbarn wird es lebendig
Brunks Kollege Christian Vollmann hat die Anonymität der Großstadt am eigenen Leib erfahren, als er in Berlin umgezogen ist: Er ist schließlich ganz klassisch und analog klingeln gegangen, hat sich bei seinen Nachbarn vorgestellt und ist nach der ersten Skepsis oft auf positive Reaktionen gestoßen. Daraufhin hat er ein kleines digitales Netzwerk nur für seine Straße aufgebaut – schnell waren über 100 Nachbarn dabei. Ein Zeichen für ihn, dass in der Idee ein großes Potenzial schlummert.
Im Sommer 2015 hat der Berliner Gründer, der sich schon mit anderen Start-Ups einen Namen gemacht hat, seine Idee mit nebenan.de in die Tat umgesetzt. Und er hat damit offensichtlich einen Nerv getroffen: In ganz Deutschland gebe es mittlerweile rund 2000 aktive Nachbarschaften auf der Plattform. „Wir sprechen von einer aktiven Nachbarschaft, wenn sich mindestens 100 Nachbarn daran beteiligen“, sagt Brunk. „Dann fängt die Gruppe richtig an zu leben und man findet auch sicher schnell jemanden, wenn man beispielsweise eine Bohrmaschine braucht oder wenn man nicht alleine joggen gehen möchte.“
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Teil einer solchen digitalen Nachbarschaft zu werden. Wichtig ist den Gründern dabei: Erlaubt sind nur Klarnamen. Und natürlich muss derjenige auch wirklich in der betreffenden Straße wohnen. Das kontrolliert das Team mit Kopien von Briefköpfen oder Personalausweisen, mit Postkarten, auf denen sich ein Passwort befindet oder aber mit den in Würzburg verteilten Zetteln. Auch darauf steht ein Code, der jeweils nur für ein bestimmtes Viertel gilt.
Lokales Finanzierungsmodell
Die einzelnen Nachbarschaftsgruppen auf der Plattform seien „so bunt wie die echte Nachbarschaft“, sagt Ina Brunk. „Auch ältere Leute scheuen sich nicht davor.“ Denn interessant ist, dass zwei speziell Gruppen besonders aktiv auf nebenan.de sind: Familien mit jungen Kindern und Menschen ab 55 Jahren. „Das sind Leute, für die das Lokale auch relevant ist“, sagt Brunk. Die digitale Plattform sei dabei oft nur ein Impuls, dass man sich öfter trifft.
Ein lokales Modell soll die Plattform in Zukunft auch finanziell am Laufen halten. Denn bisher hält sich das Start-Up mit Geldern von Privatinvestoren und einer Beteiligung des Burda-Verlags über Wasser. „Wir wollen auf keinen Fall irgendwann einen großen Amazon-Werbebanner auf der Seite haben“, sagt Brunk. „Lieber würden wir langfristig gerne alle Akteure einer Nachbarschaft einbinden, also auch Gewerbe und kulturelle Einrichtungen.“ Diese könnten auf der Plattform dann Werbung schalten. Das Interesse sei da, sagt Brunk, alle Fähigkeiten einer Nachbarschaft zu bündeln.
Für die Ideen hat das Team von nebenan.de 2016 den „Land der Ideen“-Preis der Bundesregierung bekommen. Der Preis ging an verschiedene innovative Projekte, die sich mit dem Thema Nachbarschaft und Gemeinschaft auseinandersetzen.
Diese Innovation hält langsam auch in Würzburg Einzug. Inwiefern es Viola aus der Juliuspromenade und Ellen aus der Elefantengasse geglückt ist, ihre Nachbarn zu motivieren, lässt sich schwer sagen. Möglicherweise rückt Würzburg momentan auch digital etwas näher zusammen. Und die beiden können sich einfacher zum Joggen verabreden oder Bohrmaschinen leihen.