„Die Spannung dieser Reise liegt irgendwo zwischen dem Abenteuer und der Entspannung auf der Insel.“
Burkhard Schmidt Reiseleiter und Psychologe
Vor wenigen Stunden, mitten in der Nacht, kam Burkhard Schmidt erst zurück. Es sollte eigentlich seine letzte Floßfahrt in der Tara-Schlucht werden. „Schon alleine wegen meines Alters“, sagt der 77-Jährige mit einem leichten Zittern in der Stimme. Die ernste Mine weicht aber schnell einem Grinsen. Denn festlegen will er sich nicht: „Vielleicht mache ich noch ein, zwei Fahrten mit guten Bekannten – Sonderfahrten sozusagen.“ Zu unrealistisch wirkt ein endgültiger Schlussstrich.
Völkerverständigung
Seit 50 Jahren organisiert der Höchberger Floßfahrten in der tiefsten Schlucht Europas im bosnisch-montenegrinischen Grenzgebiet. Etwa 1500 Menschen aus Unterfranken und ganz Deutschland hat er in dieser Zeit über die Tara, Montenegros längsten Fluss, begleitet. Was ihn dabei antreibt: Völkerverständigung und der Umweltschutz.
Die Tara-Schlucht, deren Wand sich an der tiefsten Stelle beinahe 1300 Meter über den Fluss erhebt, ist zu großen Teilen unbewohnt und vielerorts nur vom Wasser her zu erreichen. Für Burkhard Schmidt ist die Floßfahrt in dieser Schlucht auf vielfältige Weise ein besonderes Abenteuer: „Es ist natürlich körperlich schon eine Herausforderung, man wird auch durchaus mal nass.“ Das eigentliche Abenteuer sei aber das „Abenteuer der Begegnung“ wie Schmidt es nennt.
Balkanreise
Er hat sich damals in den Balkan verliebt, auf einer Jugoslawien Rundreise in einem kleinen VW-Bus. „Das Reisebüro Klinger hat mich als Busfahrer engagiert, da hatte ich gerade zwei Wochen meinen Führerschein.“ Er sei begeistert gewesen, wie sehr sich innerhalb eines Landes Musik und Kultur so sehr von Ort zu Ort wandeln. „Dass es so etwas überhaupt geben kann, ein Land mit so vielen Unterschieden, das war für mich damals unvorstellbar.“
Aber eigentlich, sagt er, habe er die Tara auf der Landkarte kennengelernt. „So ein langer Fluss – da muss doch was mit Flößen möglich sein“, habe er sich damals gedacht. „Mit meiner Frau war ich dann unten, wir haben uns lange durchgefragt, bei Tourismusbüros und Holzfirmen.“ Jedoch mit mäßigem Erfolg.
„Mit einem Mann habe ich dann schließlich etwas vereinbart, einfach per Händedruck“, sagt Schmidt und muss Lachen. „Einen Vertrag hat es nicht gegeben – in Deutschland habe ich aber so getan, als wäre alles in trockenen Tüchern und habe die Floßfahrt angepriesen.“ Das war im Jahr 1967 – und das Experiment ist geglückt. „Bis auf die furchtbaren Kriegsjahre“, sagt Schmidt, habe seitdem jährlich mindestens eine Tara-Floßfahrt stattgefunden.
Psychologe und Psychotherapeut
Reiseleiter ist Schmidt aber lediglich nebenher. Der heute 77-Jährige hat als Psychologe und Psychotherapeut an der Uni gearbeitet. So ist es kein Zufall, dass in seinen Erzählungen immer wieder Formulierungen aus diesem Berufsfeld auftauchen. Auch seine Vorliebe für den Balkan weiß er zu deuten: „Wahrscheinlich liegt es daran, dass meine beiden Eltern sehr unterschiedlich waren.
“ Schmidts Vater sei immer voraus gelaufen, seine Mutter hinterher. „Ich bin immer zwischen beiden hin und her gelaufen.“ Für Schmidt ein Bild, das seine Beziehung zur Tara-Region gut beschreibt.
„Die Floßfahrt hat auch so was Verbindendes“, sagt Schmidt, zurückgelehnt auf einem Stuhl, den Blick gen Boden gerichtet, grübelnd. „Man kann als Gruppe dort in eine komplett andere Welt eintauchen – und diese Zeit muss man sich nehmen.“ Es sei richtige Arbeit, das Floß durch die Schlucht zu lenken. „Jedoch erreicht man am Schluss eine Insel, eine verdiente Trauminsel“, schwärmt Schmidt. „Die Spannung dieser Reise liegt irgendwo zwischen dem Abenteuer und der Entspannung auf der Insel.“
Pionierarbeit
Als Schmidt damals anfing, Menschen auf Holzstämmen über die Tara zu führen, war das Pionierarbeit. „Alte Flößer wussten zwar noch von Floßfahrten auf der Tara Ende des 19. Jahrhunderts, aber wir waren die ersten, die das touristisch gemacht haben.“ Heute sei die Region natürlich beliebt bei Schlauchbootfahrern und Abenteuerurlaubern.
Mit diesen reinen Abenteuerurlaubern kann Schmidt jedoch wenig anfangen: „Einige lassen sich dort in die Schlucht bringen, rauschen drei Stunden mit dem Schlauchboot die Tara hinunter und werden dann wieder zum Hotel gefahren.“ Seine Gruppen verbringen vier Tage in der Schlucht. „Früher waren wir einfach mit Zelten dort, heute gibt es immerhin kleine Camps.“
Das schweißt zusammen. Und macht in gewisser Weise auch abhängig von den Flößern. Diese stammen alle aus der Tara-Region. „Sie sind alle zu richtigen Freunden geworden“, sagt Schmidt.
Naturschutz
Diese privaten Beziehungen dürften mit ein Grund für das große Engagement sein, mit dem sich Schmidt nicht nur in der Tara-Region einen Namen gemacht hat. Auch in Deutschland – vor allem in Unterfranken durch Berichte in der Main-Post – machte der Höchberger auf den Naturschutz in der Tara-Schlucht aufmerksam. Denn die Zukunft der Schlucht stand in den vergangenen 50 Jahren mehr als einmal auf dem Spiel. So waren Stauseen geplant oder ein Industriewerk. Sogar der Bau eines riesigen Freizeitparks in der Schlucht sei diskutiert worden. Burkhard Schmidt hat mit Unterschriftenaktionen, Reportagen und Vorträgen dagegen angekämpft. Erfolgreich.
„Die Tara ist für mich wie ein Kind“, sagt Schmidt. „Es ist gut, dass mich die Leute nicht zu sehr daran erinnert haben, dass es wohl meine vorerst letzte Floßfahrt gewesen ist – der Abschied fällt schon schwer genug.“ Aber: Ganz glauben will man ihm diesen Abschied nicht.