Als Werner Pamler 1997 in Pension ging, da war Marcel Bauer noch nicht mal in der Grundschule. Trotzdem haben die Männer etwas gemeinsam: Pamler war, Bauer ist, Polizeibeamter. Beide in Würzburg, beide im Streifendienst. In den Jahrzehnten, die zwischen Pamlers und Bauers aktiver Zeit vergangen sind, hat sich in ihrem Beruf Vieles verändert. Auch und gerade, was Gewalt gegen Polizeibeamte betrifft.
Christian Schulz, Vorsitzender der Kreisgruppe Würzburg der Gewerkschaft der Polizei, hat das Treffen der Angehörigen zweier unterschiedlicher Polizistengenerationen mit der Presse organisiert. Außer Werner Pamler und Marcel Bauer sind noch Jürgen Franz und Ines Lerch dabei. Für Schulz ist die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte ein ernstes und inzwischen leider auch ein Dauerthema. Dass diese Gewalt tatsächlich zugenommen hat, zeigen nicht nur die Zahlen. Das wird auch klar, wenn die vier Polizisten aus ihrem Berufsalltag erzählen.
Früher hatte man Respekt vor Polizisten
„Früher war das alles anders“, sagt Jürgen Franz. Er ist 80 Jahre alt und begann seine Laufbahn 1955 mit der Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei in Rebdorf bei Eichstätt. Was er heute aus den Medien über Angriffe auf seine Berufskollegen erfährt, macht ihn einigermaßen fassungslos. Seine persönlichen Erfahrungen waren ganz anders. „Negativbeispiele sind mir nicht erinnerlich. Weder, dass mir noch meinen Kollegen etwas passiert wäre“, sagt er.
Man sei sich damals überhaupt anders gegenübergetreten als heute. Werner Pamler, ebenfalls 80 Jahre alt, bestätigt das. Die Uniform, die er im Dienst trug, sei ein Garant dafür gewesen, dass die Leute ihm respektvoll begegneten. „Heute ist die Uniform für viele eher ein rotes Tuch“, glaubt er. Warum das so ist, warum so schnell gepöbelt und manchmal auch geschlagen wird, das kann sich von den fünf Polizisten keiner so recht erklären.
Verwarnungen wurden akzeptiert
Als Werner Pamler und Jürgen Franz ihren Dienst versahen, da waren mögliche Angriffe für die Beamten nicht einmal ein entfernter Gedanke. „Man ging gerne zum Dienst“, erzählt Pamler. „Wenn wir Leute verwarnten, dann akzeptierten sie das.“ Manchmal wurden lärmende Studenten zur Zahlung von zwei Mark verdonnert, und hin und wieder hätten sie natürlich darüber geschimpft, erinnert sich der 80-Jährige. Das sei es dann aber auch gewesen. „Ein einziges Mal habe ich eine Anzeige wegen Beleidigung geschrieben.“
Seine Dienstwaffe hat Jürgen Franz nur einmal in seinem Leben gezogen: vorsichtshalber, bei einem Einbruch im Bahnhof in den 1960er Jahren. Ines Lerch hingegen musste schon öfter zur Dienstwaffe greifen. Die 31-jährige Polizeihauptmeisterin begann 2007 ihre Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei in Würzburg. Sie gehörte einer Einsatzhundertschaft an, die auch außerhalb Bayerns bei größeren Veranstaltungen, etwa Demonstrationen, für Sicherheit sorgen musste.
Alltägliche Situationen können zur Gefahr werden
Angst hat Ines Lerch im Dienst nicht. Vorsicht aber ist geboten, und zwar in jeder Situation. „Stuttgart 21 oder Castortransporte, da weiß man, was kommt“, sagt sie. „Das sind planbare Einsätze.“ Aber auch alltägliche Situationen können gefährlich werden, wenn sie urplötzlich aus dem Ruder laufen. Dieses Risiko haben Polizisten stets im Hinterkopf und müssen es auch haben. „Wenn ich wo einschreiten muss, schaue ich mit einem Auge immer nach hinten“, sagt Ines Lerch.
Denn es kommt durchaus vor, dass Unbeteiligte sich einmischen und dabei auch tätlich werden. Eine Kollegin von Ines Lerch wurde im Einsatz schwer verletzt. „Man wird als Polizist genau beobachtet“, erzählt die 31-Jährige. „Unsere Maßnahmen werden sehr schnell in Frage gestellt.“ Ist das korrekt, was die Beamten da machen? Oder schießen sie vielleicht übers Ziel hinaus? Privatpersonen wollen alles dokumentieren und filmen Polizeieinsätze mit dem Handy.
Bürger setzten sich heute zur Wehr
Auch Marcel Bauer hat den Eindruck, dass die Bürger sich genau informieren über das, was sie sich vom Staat gefallen lassen müssen und was nicht. Und sobald sie den Eindruck gewönnen, dass sie nicht korrekt behandelt würden, setzten sie sich teils massiv zur Wehr. Dann könne es vorkommen, dass aus einer simplen Identitätsfeststellung ein brenzliger Einsatz werde, ergänzt Christian Schulz.
Die Polizei trägt solche Erfahrungen zusammen, um die Beamten darauf vorbereiten zu können. Spezielle Einsatztrainings, bei denen auch taktische Gesprächsführung gelehrt wird, sind für die Polizistengeneration von Ines Lerch und Marcel Bauer Teil der Aus- und Weiterbildung. Als Werner Pamler und Jürgen Franz im Dienst waren, da gab es solche Trainings noch nicht. Man absolvierte seine Ausbildung, und danach, sagt Pamler, lernte man alles Weitere bei der täglichen Arbeit.
Auch die Ausrüstung zum Schutz der Beamten ist in den vergangenen Jahren recht umfangreich geworden. Ines Lerch und Marcel Bauer müssen ordentlich was mit sich herumschleppen: Neben der Schusswaffe gehört Pfefferspray zur Ausrüstung, ebenso wie Handfesseln und eine Überziehschutzweste, die, so Lerch, „normale Munition“ vom Körper abhalten soll. Dazu kommt ein Einsatzstock, der aber weniger als Schlagwaffe, sondern eher zur Abwehr gedacht ist. Und im Streifenwagen fahren für besondere Einsätze ein Helm sowie eine zweite, massive Schutzweste mit.
Umfangreiche Polizeiausrüstung nötig
Die Ausrüstung hat nicht umsonst diesen Umfang angenommen: „Die Einsatzbelastung ist hoch“, erzählt Marcel Bauer. Sprich: Die Polizei wird unentwegt irgendwohin gerufen. Für Christian Schulz ist klar, woran das liegt: Fast jeder Mensch hat Telefon und Handy und macht davon auch rege Gebrauch. Ganz anders als früher. Dass die Polizei zu Familienstreitigkeiten gerufen worden wäre, sei zu seiner Zeit kaum vorgekommen, erinnert sich der 80-jährige Jürgen Franz. Wahrscheinlich sei damals für die Betroffenen der Aufwand einfach zu hoch gewesen: Wer telefonieren wollte, musste die Wohnung verlassen und sich eine Telefonzelle suchen.
Mit der hohen Belastung ist aber nicht allein die Häufigkeit der Einsätze gemeint, sondern auch deren Konfliktpotenzial. Hier sieht Marcel Bauer einen deutlichen Unterschied zwischen Stadt und Land. Bei Einsätzen im Landkreis Würzburg seien die Bürger freundlicher gegenüber Polizisten, sagt der Polizeiobermeister. „Da hört man auch mal: Danke, dass Sie da sind.“ In der Stadt bemerkt er einen raueren Umgangston, was seiner Ansicht nach aber auch daran liegt, dass es dort den Hauptbahnhof und mehrere Diskotheken gibt – alles Orte, an denen Menschen öfter mal aneinander geraten.
Rauer Umgangston
Rauer ist der Umgangston auch überall dort, wo Alkohol konsumiert wird. Alkohol und Drogen: Ganz häufig stehen sie in direktem Zusammenhang mit Übergriffen oder Pöbeleien gegen Polizeibeamte. Insbesondere Jugendliche fallen Marcel Bauer in diesem Zusammenhang auf. Mit seinen 26 Jahren selbst alles andere als alt, beobachtet er, dass die Urheber grober Unverschämtheiten immer jünger werden. „Früher waren es die 16- bis 17-Jährigen, die besonders respektlos waren; heute sind es schon 13- oder 14-Jährige“, sagt er.
Vielen Kindern werde zu Hause nicht mehr beigebracht, wie man sich andern gegenüber zu verhalten habe, glaubt er. Und bei erschreckend vielen von ihnen würden Drogen gefunden. Die Statistik unterstützt Bauers Beobachtungen. „Der Anteil der Jugendlichen unter den Tatverdächtigen ist von 2015 auf 2016 um 29 Prozent gestiegen“, sagt Christian Schulz.
Trotz allem noch ein Traumberuf?
Mit dicker Schutzausrüstung unterwegs sein und die Unverschämtheiten von Kindern einstecken: Macht so ein Job Spaß? Die Antwort der beiden jungen Polizeibeamten kommt ohne Zögern: Ja, die Arbeit macht Spaß. Marcel Bauer hat seinen Traumjob gefunden. „Die Mehrzahl der Dienste verläuft positiv“, sagt er. Gerade auf dem Land, wo die Schusswaffe eigentlich nur im Zusammenhang mit Wildunfällen zum Einsatz kommt.
Für Ines Lerch ist bei allem Ärger klar, dass nicht sie persönlich beleidigt werden soll, sondern die Uniform. Das sieht auch Christian Schulz so: „Wir vertreten den Staat.“ Trotzdem: Wenn Jürgen Franz seinen jungen Kollegen zuhört, dann kommt er ins Grübeln. „Ich habe 42 Jahre lang die Uniform getragen und machte den Beruf gern“, sagt er. „Aber ich weiß nicht, ob ich es heute noch mal machen würde.“ Ganz ähnlich äußert sich Werner Pamler: „Heute würde ich mir das überlegen.“
Gewalt gegen Polizeibeamte Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) werden Polizisten immer häufiger beleidigt, bespuckt, bedroht, geschlagen oder in lebensbedrohliche Situationen gebracht. Das Gewaltniveau bei diesen Angriffen sei „teils extrem“. Polizeigewerkschaften kommen zu einem ähnlichen Urteil. „Wir sehen eine Verrohung; wir sehen zunehmende Respektlosigkeit“, sagt etwa Thomas Bentele, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). In Unterfranken weist die Statistik für das Jahr 2016 insgesamt 642 Fälle im Bereich „Gewalt gegen Polizeibeamte“ aus; ein Rückgang im Vergleich zum Jahr 2015 (695 Fälle), aber ein Anstieg zu früheren Zahlen (2012: 591 Fälle). Laut Polizeisprecher Michael Zimmer wurden 2016 insgesamt 1461 Polizeibeamte geschädigt, die daraus resultierenden Dienstausfalltage belaufen sich auf 376. In rund 60 Prozent der Fälle standen die Beschuldigten unter Alkohol- und/oder Betäubungsmitteleinfluss. Hauptdeliktfelder waren Beleidigung (248 Fälle), Körperverletzung (214 Fälle) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (101 Fälle).