Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Würzburg
Icon Pfeil nach unten
Stadt Würzburg
Icon Pfeil nach unten

Würzburg: Schmerzt Lernentwicklungsgespräch mehr als die 4 im Zeugnis?

Würzburg

Schmerzt Lernentwicklungsgespräch mehr als die 4 im Zeugnis?

    • |
    • |
    Halbjahreszeugnisse gehören in vielen bayerischen Grundschulen der Vergangenheit an. Seit dem Schuljahr 2014/15 sind sie in den ersten drei Jahrgängen zunehmend durch Lernentwicklungsgespräche ersetzt worden.
    Halbjahreszeugnisse gehören in vielen bayerischen Grundschulen der Vergangenheit an. Seit dem Schuljahr 2014/15 sind sie in den ersten drei Jahrgängen zunehmend durch Lernentwicklungsgespräche ersetzt worden. Foto: Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Am Freitag ist Zeugnistag für rund eine Million bayerischer Schüler. Allerdings bekommen nicht alle Kinder ein Papier in die Hand: An den meisten bayerischen Grundschulen gibt es in den ersten drei Jahrgängen zum Halbjahr kein schriftliches Zeugnis mehr. Stattdessen führen die Grundschullehrer mit den Kindern im Beisein ihrer Eltern  ein rund 30-minütiges Lernentwicklungsgespräch. Diese Art der Bewertung hat Bayerns Kultusministerium im Schuljahr 2014/15 angeboten; fast alle Schulen im Freistaat machen davon Gebrauch. Dies zeige schon deutlich dass diese Bewertungsform geschätzt würde, sagt Claudia Vollmar, stellvertretende Leiterin des staatlichen Schulamts Würzburg. Denn die Schulverantwortlichen hätten sich genauso gut dazu entschließen können, die Halbjahreszeugnisse beizubehalten. "Aber wir haben von den Schulen bezüglich der Lernentwicklungsgespräche eigentlich nur positive Rückmeldungen erhalten", sagt Vollmar. 

    "Wenn eine Lehrkraft unsensibel vorgeht, kann sie viel kaputt machen"

    Johannes Jung, Professor für Grundschulpädagogik an der Uni Würzburg

    Professor Johannes Jung lehrt und forscht am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik der Universität Würzburg. 
    Professor Johannes Jung lehrt und forscht am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik der Universität Würzburg.  Foto: Foto: Gunnar Bartsch

    Doch jetzt übt der Würzburger Professor Johannes Jung an den Lernentwicklungsgesprächen Kritik. Jung ist seit 2017 außerplanmäßiger Professor für Grundschulpädagogik an der Universität Würzburg;  er beschäftigt sich seit Längerem mit der Gerechtigkeit von Noten. Grundsätzlich befürwortet Jung laut Uni-Pressestelle Gespräche - sie seien verglichen mit einer reinen Ziffernnote ausführlicher und differenzierter. Gleichzeitig sieht Jung eine "Problematik" bei schwierigen Fällen. Denn dann machten sich Interessenskonflikte bemerkbar. Zwar säßen alle Beteiligten quasi gleichberechtigt am Tisch; eine Eins-zu-Eins-Partnerschaft zwischen Eltern und Schule existiere in Wirklichkeit jedoch nicht. Und wenn dann eine Lehrkraft unsensibel vorgehe, könne sie beim Kind in kurzer Zeit viel kaputt machen. "Da ist es vielleicht weniger schmerzhaft, wenn im Zeugnis einfach die Note 4 steht", erklärt der Professor.  

    Lehrer schätzen Gespräche, weil sie gemeinsam mit Kindern Ziele formulieren können

    Unterfränkische Lehrer wundern sich über diese Aussage. Ganz sicher seien Lernentwicklungsgespräche nicht schmerzhaft - sonst wäre es ja pädagogisch gar nicht zu verantworten, sie zu führen, meint Sabine Oschmann-Hockgeiger, die die Sinnberg-Grundschule in Bad Kissingen leitet. Erstens seien Lehrer vor der Einführung der Lernentwicklungsgespräche in Geprächsführung intensiv geschult worden; zweitens würden diese Gespräche gründlich vorbereitet. "Der Lehrer bekommt einen Bewertungsbogen und das Kind bekommt auch einen. Beide füllen ihn vorab aus", erklärt die Kissinger Schulleiterin.

    Dort, wo Lehrer und Kind in der Bewertung von Leistungen übereinstimmten, werde gar nicht viel geredet. Sondern dort, wo Lehrer und Kind sich uneins seien. "Übrigens schätzen sich Kinder oft schlechter ein als sie sind", sagt Oschmann-Hockgeiger. Sie betont, das im Lernentwicklungsgespräch nicht "mit dem Holzhammer" auf Defiziten der Sechs- oder Siebenjährigen herumgehackt werde. Stattdessen würden bei Nachholbedarf  Ziele formuliert, die etwa so lauten können: "Ich will jeden Tag zehn Minuten Lesen üben" oder "Ich achte mehr auf das Einhalten von Linien". 

    "Was uns ganz wichtig ist, ist der wertschätzende Umgang mit dem Kind"

    Monika Spörlein, Konrektorin an der Grundschule Haßfurt

    Auch Monika Spörlein, Konrektorin an der Grundschule in Haßfurt, kann Jungs Kritik nicht nachvollziehen. "Was uns ganz wichtig ist, ist der wertschätzende Umgang mit dem Kind", sagt sie. Weshalb die Lehrkraft dem Kind beim Lernentwicklungsgespräch zunächst aufzeige, was es alles geschafft habe, was es alles schon könne. Aber wie handeln bei einem Kind mit überwiegend mangelhaften Leistungen? "Auch dieses Kind kann irgendetwas gut", sagt Spörlein. Sie sieht in dem Umstand, dass das Kind kein Urteil bekomme, sondern ein Ziel, einen großen Vorteil gegenüber den früheren Halbjahreszeugnissen. 

    Wenn Eltern kein Deutsch sprechen, funktionieren Lernentwicklungsgespräche nicht

    Laut Claudia Vollmar, der Vizechefin des Staatlichen Schulamts Würzburg, sind Lernentwicklungsgespräche so beliebt, dass sie wahrscheinlich auch an Mittelschulen eingeführt werden; derzeit liefen Pilotprojekte. Doch einige Schulen gibt es, auch in Würzburg, die weiterhin aufs Zeugnis setzen. Warum?

    "Wir haben so viele ausländische Kinder und Eltern, die Deutsch nicht verstehen. Um Lernentwicklungsgespräche zu führen, müssten wir für viele Sprachen Übersetzer finden. Da ist das Zeugnis die bessere Wahl", heißt es aus einer Würzburger Schule.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden