Die 14-jährige Hannah ist sehbehindert. Sie sitzt schon auf der Treppe des Schwimmbads der Blindeninstitutsstiftung schon halb im Wasser und sieht eingepackt in Tarierweste und mit Pressluftflasche ziemlich aufgeplustert aus. Tauchlehrer Thomas Fuchs hat ihr soeben nicht nur die Ausrüstung erklärt, sondern auch die wichtigsten Verständigungszeichen beigebracht. Damit die Tauchmaske nicht beschlägt, spucken nun beide hinein. „Ab jetzt gilt die Tauchersprache“, sagt er zu seiner etwas aufgeregten Schülerin. Dann geht es ein Stockwerk tiefer ins erfrischende Nass.
Auf dem Boden des Beckens kniend gewöhnt sich Hannah erst einmal an das für sie fremde Element. Der Tauchlehrer ist dicht bei ihr, hält sie an Oberarm und Schulter fest und beobachtet seinen Schützling genau. Nach einer Weile bildet er mit Zeigefinger und Daumen einer Hand einen Kreis und fragt sie auf diese Weise, wie es der 14-jährigen Schülerin der Graf-zu-Bentheim-Schule der Blindeninstitutsstiftung geht. Sie antwortet mit dem gleichen Zeichen: das bedeutet, dass mit ihr alles in Ordnung ist. Wenn sie mit der flachen Hand hin und her gewackelt hätte, wäre ein Problem vorhanden gewesen, und der Trip ins Wasser hätte sofort beendet werden müssen.
Jetzt stößt sich die Schülerin von der Treppe ab und gleitet in horizontaler Lage vorwärts. Thomas Fuchs schwimmt etwas über ihr, hält sich am Verbindungsstück zwischen Flasche und Atemregler seiner Begleiterin fest und drückt sie ein bisschen nach unten. Weil Hannah keinen Bleigurt trägt, hat sie aufgrund der Ausrüstung Auftrieb und würde immer an die Oberfläche kommen.
Das Mädchen macht keine Schwimmbewegungen, sondern lässt sich vom Tauchlehrer durchs Becken schieben. Mehrmals zeigt Hannah an, dass sie keine Schwierigkeiten hat. Nach einer Runde lässt Thomas Fuchs sie los, nun darf sie sich allein im Wasser tummeln. Nur selten sinkt sie auf den Boden und muss sich daraufhin wieder abstoßen. Meist schwebt sie, inzwischen steigen die Luftblasen in regelmäßigen Abständen nach oben.
„Das war super“, sagt Hannah nach dem Auftauchen und dem Herausnehmen des Atemreglers aus dem Mund. Laut Tauchcomputer ihres Lehrers war sie in 1,4 Meter Tiefe für fünf Minuten unterwegs gewesen. „Der Tauchgang verlief einwandfrei“, lobt Fuchs seine Schülerin und hilft ihr beim Ablegen der schweren Ausrüstung. Anschließend kommt der nächste Jugendliche an die Reihe.
„Das schönste Gefühl war es, unter Wasser zu schweben“, fügt Hannah begeistert zu. „Am Anfang bin ich schon ein bisschen aufgeregt gewesen“, das lag vor allem an ihrer Unsicherheit, ob sie von der schweren Pressluftflasche sehr nach unten gedrückt wird. „Die ersten Momente waren etwas komisch, dann habe ich mich aber wohl gefühlt.“ Sie merkte deutlich, dass „das Gewicht der Ausrüstung im Wasser viel leichter war“.
Ihren Freundinnen wird Hannah von ihrem schönen Erlebnis erzählen, wie es ist, „so lang unter der Wasseroberfläche zu atmen und zu schwimmen“. „Sie sollen das auch versuchen“, rät sie. Sie will ihre Eltern im nächsten Urlaub fragen, ob sie auch einmal bei einem Schnupperkurs im Meer tauchen darf – obwohl sie vor herumschwimmenden Fischen etwas Angst hätte.
„Es ist klasse, unter der Wasseroberfläche atmen zu können.“
Patrick (16), Schüler der Graf-zu-Bentheim–Schule
Die Idee fürs Schnuppertauchen hatte Christiane Fuchs-Ebeling, seit fünf Jahren Lehrerin in Elsenfeld (Lkr. Miltenberg), einer Außenstelle der Graf-zu-Bentheim-Schule der Blindeninstitutsstiftung Würzburg. Sie unterrichtet die Schüler mit Beeinträchtigungen auch im Schwimmen. „Vieles ist im Wasser leichter“, erklärt sie. Die Schulleitung sei sofort mit im Boot gewesen, als sie das Thema aufs Tapet brachte.
Die tauchende Pädagogin verfügt über die Ausbildung zur Behindertentauchbegleiterin, ihr Ehemann ist Tauchlehrer und hat vor wenigen Monaten die Qualifizierung zum Behindertentauchlehrer erfolgreich absolviert. „Es geht um das Genießen der Schwerelosigkeit“, nennt sie den wichtigsten Grund für das erstmalige Angebot des Schnuppertauchens für die Jugendlichen.
Thomas Fuchs, der als Systemadministrator beschäftigt ist, hat eigens für das Schnuppertauchen mit den Schülern einen Tag Urlaub genommen. Insgesamt acht Pressluftflaschen – alle mit 200 Bar Druck gefüllt – mehrere Masken, Flossen, Neoprenanzüge, Tarierwesten und Atemregler haben er und seine Frau mitgebracht.
„Die Resonanz auf dieses kostenlose Angebot ist sehr positiv“, insgesamt sind 16 Kinder und Jugendliche zwischen acht und 16 Jahren angemeldet. „Wenn es ihnen gefällt und noch mehr Nachfrage besteht, gibt es mit uns bestimmt eine Fortsetzung“, meint der Tauchlehrer. Er hebt hervor, dass das Tauchen vor allem bei Menschen mit Querschnittslähmung als Therapie und auch erfolgreich zur Behandlung von Spastiken eingesetzt wird.
Im Schwimmbad der Blindeninstitutsstiftung denkt heute aber niemand an gute Behandlungsmethoden. „Es ist lustig, das Blubbern der Luftblasen zu hören“, freut sich Emilia. Wasser zieht die 13-Jährige magisch an; zweimal pro Woche schwimmt sie in dem etwa 15 Meter langen Becken bis zu 20 Bahnen, daheim im Pool im Garten zieht sie ihre Tauchmaske auf und steckt ihren Kopf ins Wasser.
„Es ist klasse, unter der Wasseroberfläche atmen zu können“, fasst der 16-jährige Patrick seine Eindrücke zusammen, während er mit seinen Kameraden Domenik und Philipp am Beckenrand sitzt und die an die Wasseroberfläche aufsteigenden Luftblasen beobachtet.