Der frühere Parteivorsitzende und Außenminister Sigmar Gabriel ist verschnupft. "Nicht politisch", betonte er beim Neujahrsempfang der SPD in Würzburg. Eine Erkältung hat ihn erwischt. Das war auch der Grund, warum er erst am Montagabend die schriftlich übermittelten Fragen dieser Redaktion beantworten konnte. Zusammen mit dem ehemaligen Parteichef Martin Schulz und der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles sucht Gabriel derzeit nach Wegen aus der Krise. Welche Ideen hat er?
Frage: Viele Genossen wünschen sich, dass Sie wieder an der Parteispitze mitmischen.
Haben Sie dazu überhaupt noch Lust?
Sigmar Gabriel: Ich habe früher nichts von solchen Personalspekulationen gehalten, als ich noch SPD-Vorsitzender war. Und dabei ist es geblieben.
Wie sehen Sie zurzeit Ihre Rolle in der SPD?
Gabriel: Ich bin Abgeordneter des Deutschen Bundestages und habe meinen Wahlkreis mit rund 44 Prozent direkt gewonnen. Das ist meine Rolle. Ansonsten versuche ich meiner Partei zu helfen, wo ich kann und wo meine Hilfe gewünscht ist.
Früher sind Sie als Außenminister viel gereist. Jetzt sind Sie quer durch die Republik unterwegs - von Neujahrsempfang zu Neujahrsempfang. Ist das eine Aufgabe, die Sie erfüllt?
Gabriel: Ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die nach einer Orientierung suchen. Die Welt scheint ja aus den Fugen geraten zu sein. Und das ist wohl der Grund, warum mich so viele Einladungen zu Veranstaltungen erreichen. Ich finde es wichtig, mit den Menschen zu reden. Und übrigens merkt man in diesen Veranstaltungen auch, ob die Menschen mich noch verstehen.
Die SPD steht bundesweit gerade bei etwa 15 Prozent, in Bayern geht es der Partei noch schlechter.
Worauf führen Sie das zurück?
Gabriel: Es gibt viele frühere SPD-Wähler, die den Eindruck haben, dass ihr Alltag in der SPD nicht mehr wichtig genommen wird. Die SPD beschäftigt sich oft mit Themen, die für bestimmte Gruppen in der Gesellschaft wichtig sind, vergisst dabei aber, sich um die großen Zusammenhänge zu kümmern. Das muss sich ändern. Menschen wollen Orientierung, Halt und Zuversicht. Oft sind wir und auch die anderen Parteien zuviel mit dem Heute und dem Gestern beschäftigt. Und zu wenig mit den Herausforderungen der Zukunft. Wie schaffen wir Arbeit, Wohlstand und soziale Sicherheit morgen? Wie können wir Europäer uns in einer Welt voller Autokraten selbst behaupten? Wie verhindern wir ein neues atomares Wettrüsten in Europa? Das sind aus meiner Sicht die Fragen, um die wir uns kümmern müssen.
Und wie kann die SPD wieder zu ihrer gewohnten Stärke zurückkehren?
Gabriel: Es gibt dazu kein Bilderbuch-Rezept. Meine Erfahrung als Wahlkreisabgeordneter zeigt mir jedenfalls, dass man Menschen erreichen und überzeugen kann, SPD zu wählen. Man muss sich aber kümmern, den Menschen zuhören und nicht immer schon alles vorher wissen. Es wäre ganz gut, wenn innerhalb der SPD nicht immer die am lautesten sprechen würden, die die schlechtesten Wahlergebnisse zu Hause einfahren. Es gibt hervorragende SPD-Kommunal- und Landespolitiker, die mit großartigen Ergebnissen gewählt werden. Ich wünsche mir, dass sie in der SPD mal den Ton angeben und nicht immer die mit neun oder zwölf Prozent Wähleranteil. Sich am Alltag der Menschen zu orientieren, nicht immer nur Minderheiten-Themen besetzen und Vorschläge für die Zukunft unseres Landes machen: das schafft neues Vertrauen.