Mit "Kaspar Häuser Meer" von Felicia Zeller zeigt das Mainfranken Theater in Würzburg auf der Probebühne ein hochaktuelles Stück Gegenwartstheater – in einer sehenswerten Inszenierung. Zuschauerinnen und Zuschauer bekommen Einblicke in eine Behörde, in das Jugendamt einer x-beliebigen Stadt.
Bühnen- und Kostümbildnerin Jenny Schleif lässt die Probebühne weitgehend kahl und leer. Auf einem großen Tisch in der Mitte sind mehrere Schichten Orangen aufgetürmt, dahinter schirmen drei durchsichtige Plastikvorhänge die rückwärtige Ausgangstür ab. Belebende Elemente sind einzig die vier ergonomischen Dreh-Hocker, auf denen sich die drei Darstellerinnen sitzend durch den Raum bewegen – mal gleitend, mal rollend, mal im Schneckentempo in Reihe kriechend, mal angespannt rasend. Ein Stuhl bleibt leer. Der Kollege Björn ist krankgeschrieben – Burnout.
Überlastung und Etat-Kürzung: Akten stapeln sich auf der Bühne
Barbara (Isabella Szendzielorz), Silvia (Nina Mohr) und Anika (Daria Lik) sind Sozialarbeiterinnen. Ihre Arbeit ist belastend, die einzelnen Fälle teilweise schwerwiegend, die Zahl der zu bearbeitenden Akten zu groß, die Zeit immer zu knapp, permanente Überlastung die Regel. Dabei ist die Jahres-Statistik auch schon wieder fällig. Und für den "alten Hasen" Björn kommt kein Ersatz, weil Abteilungsleiter Schnecke-Müller der Etat gekürzt wurde.

Stattdessen werden Björns Akten hereingerollt, sechzig Kartons auf zwei Paletten und einem Rollwagen, die auf das ohnehin am Limit arbeitende Trio aufgeteilt werden. Fälle, die schlecht oder lückenhaft dokumentiert sind, extrem schwierige Sachverhalte wie Kindes-Verwahrlosung oder Verdacht auf körperliche Misshandlung oder gar sexuellen Missbrauch. Kein Wunder, dass die Anspannung immer größer wird, der Druck im Kessel steigt und gleichzeitig die Arbeitsstrukturen immer mehr zerbröseln.

Felicia Zeller erzählt keinen konkreten Einzelfall und hat auch kein realistisches Dokumentartheaterstück geschrieben. Stattdessen überhöht sie die schreckliche Wirklichkeit mit künstlicher Sprache, die mit unvollständigen Sätzen, permanenten Wiederholungen, amtsdeutschen Bürofloskeln und Einsprengseln aus den einfachen Sprachmilieus der Klienten arbeitet. Das entlockt dem Geschehen immer wieder groteske, ja geradezu bizarre Züge.
Anspruchsvolle Texte mit Bravour gemeistert
Regisseur Joachim Gottfried Goller verdeutlicht in seiner ersten Regiearbeit für das Mainfranken Theater diese Künstlichkeit durch laute Musik-Clips in den Szenenwechseln, durch etliche slapstickhafte Bewegungselemente und das wirkmächtige Bild, das die einstürzenden Akten-Kartons hinterlassen. Isabella Szendzielorz, Nina Mohr und Daria Lik meistern die sprecherisch höchst anspruchsvollen Texte mit Bravour, glänzen auch in den zahlreichen chorischen Passagen und geben darüber hinaus den drei Sozialarbeiterinnen bei aller Künstlichkeit jeweils eigene Charaktere. Stürmischer Applaus in der bis auf den letzten Platz besetzten Probebühne und viel Gesprächsstoff – nicht nur für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter.
Nächste Vorstellungen: 31. Januar, 8. Februar, 10. März.