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WÜRZBURG: Sozialpsychiatrischer Dienst: Wo niemand abgestempelt wird

WÜRZBURG

Sozialpsychiatrischer Dienst: Wo niemand abgestempelt wird

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    Michael Boha liebt die Hündin Lotta, die Bürgerhelferin Doris Ludolf immer zu ihren Einsätzen mitbringt.
    Michael Boha liebt die Hündin Lotta, die Bürgerhelferin Doris Ludolf immer zu ihren Einsätzen mitbringt. Foto: Foto: Pat Christ

    Arbeiten kann Michael Boha seit vier Jahren nicht mehr. Damals starb der Vater des 54-Jährigen, was Boha in eine tiefe Krise riss. Seither muss er mit einer Angststörung fertig werden. „Das zu akzeptieren war nicht leicht“, sagt der gelernte Metzger. Nur allmählich gewöhnte er sich an sein neues Leben mit seelischer Krankheit. Eine große Hilfe sind ihm die offenen Angebote des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) des Erthal-Sozialwerks: „Ich komme jeden Tag hierher.“

    Ein Leben ohne den SpDi könnte sich Boha heute nicht mehr vorstellen. Wie sollte er Tag für Tag 24 Stunden herumbringen? Beim Sozialpsychiatrischen Dienst findet er an jedem Werktag Menschen, mit denen er reden oder mit denen er etwas unternehmen kann. Die meisten haben ebenfalls eine seelische Krankheit. Besonders wertvoll ist das Angebot für Boha jedoch wegen der Bürgerhelfer. Die sind keine Profis was psychische Erkrankungen anbelangt, sondern ganz „normale“ Menschen, die Lust auf ein ehrenamtliches Engagement haben.

    Keine Berührungsängste haben

    Traudl Schmitt ist eine von ihnen. Die 73-Jährige kam vor elf Jahren über das Aktivbüro auf die Idee, Bürgerhelferin für seelisch kranke Menschen zu werden. „Ich hatte damals noch keinerlei Kontakt zu Betroffenen“, sagt sie. Weder in ihrer Familie noch im Freundeskreis oder in der Nachbarschaft litten Menschen an Angsterkrankungen, Depressionen oder Schizophrenie. Doch Traudl Schmitt kennt keine Berührungsängste. Sie half ein paar Mal bei den Gruppenangeboten mit und entdeckte, dass es ihr liegt, Bürgerhelferin zu sein.

    „Traudl hat unglaublich viel Gespür für uns Besucher“, schwärmt Michael Latsch, der das offene Angebot seit zwei Jahren wahrnimmt. Der junge Mann leidet an einer Psychose. Die Krankheit brach während seines Studiums aus: „Ich hatte dennoch immer Kontakt mit Menschen, die gesund sind.“ In einer Studenten-WG fühlte er sich voll akzeptiert. Dann musste er plötzlich einen weiteren schweren Schub verkraften. Krankheitsbedingt kam es zum Abbruch vieler Beziehungen: „Man fühlt sich in diesen Phasen wie vom anderen Stern.“

    Offene Gruppenangebote

    Die offenen Gruppenangebote beim SpDi bringen Latsch eine Menge: „Das hier ist für mich ein Übungsfeld, denn man lernt, mit völlig verschiedenen Menschen umzugehen.“ Die Atmosphäre wirkt auf ihn regelrecht heilsam. „Vor allem wird hier niemand abgestempelt“, betont er.

    Doris Ludolf suchte nach ihrer Ausbildung als psychotherapeutische Heilpraktikerin ein Feld, in dem sie sich ehrenamtlich engagieren konnte. Durch die Würzburger Ehrenamtsbörse kam sie auf die Idee, Bürgerhelferin zu werden. Wie es sich anfühlt, tief in einer Krise zu stecken, weiß die verwitwete 49-Jährige aus eigener Erfahrung.

    Gruppe als Familienersatz

    Seit zwei Jahren engagiert sich Ludolf als Bürgerhelferin. Geht sie in die Gruppe, bringt sie meist ihre Mischlingshündin Lotta mit. Die ist inzwischen eine dicke Freundin von Michael Boha. Die Einsätze beim SpDi machen Doris Ludolf rundum Spaß. Vor allem von den Ausflügen, die mittwochs und sonntags unternommen werden, profitiert sie: „Ich bin aus dem Rheinland zugezogen und lerne dadurch jetzt die Gegend hier kennen.“

    Brigitte, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, bezeichnet die Gruppe, die sich werktäglich in der Juliuspromenade trifft, als ihre „Familie“. Die gelernte Bankkauffrau erkrankte bereits mit 13 Jahren: „Schon als Kind hatte ich Ängste und war oft niedergeschlagen.“ Ihren Beruf konnte sie nicht lange ausüben. Freunde zu gewinnen, fiel ihr schon immer schwer.

    Jeder darf so sein, wie er ist

    Lange war ihre Mutter Brigittes beste Freundin. Als die starb, stürzte die 61-Jährige in eine schwere Krise, die einen Klinikaufenthalt nötig machte. Die durch den Tod der Mutter bedingte Isolation war für sie schwer zu ertragen: „Ich lief durch die Stadt, sah die vielen Menschen und fragte mich, wen es denn gäbe, mit dem ich reden könnte.“ Dann sei sie wieder alleine nach Hause gegangen. Verwandten hatte sie irgendwann erzählt, wie es um sie steht: „Die schauten mich an, als würde ich vom Mars kommen.“

    Auch Brigitte geht täglich in den „KommRum“ genannten Treff des SpDi. Sie schätzt es, dass jeder hier so sein darf, wie er gerade ist. Wer will, kann reden. Wer einfach nur schweigend dasitzen möchte, kann das ebenfalls ungestört tun. Auch ist niemand gezwungen, eine bestimmte Zeit zu bleiben. „Wenn mir alles zu viel wird, gehe ich einfach“, sagt Michael Boha.

    Bürgerhelfer gesucht!

    Für Klaus Miller, der den Sozialpsychiatrischen Dienst des Erthal-Sozialwerks leitet, sind Bürgerhelfer essenziell für die Arbeit mit psychisch Erkrankten. Manchmal seien sie die einzigen Menschen ohne seelische Beeinträchtigung, zu denen ein intensiverer Kontakt besteht. Die Bürgerhelfer sind einfach da. Sie bringen ihre Ideen ein. Und begleiten die SpDi-Klienten unaufdringlich auf ihrem Weg.

    In Kürze wird eine langjährige Ehrenamtliche aus dem Dienst ausscheiden. Eine andere Bürgerhelferin beendete nach vielen Jahren im vergangenen Jahr den Dienst. „Deshalb suchen wir Verstärkung“, so Miller. Berufliche Vorkenntnisse sind nicht nötig. Wichtig seien Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, sich auf manchmal „schräge“ Persönlichkeiten einzulassen.

    Wer Interesse an dem Ehrenamt hat, wird zu einem Informationsgespräch eingeladen. Danach ist es möglich, einige Male in der Gruppe zu hospitieren. Kontakt unter Tel.Tel. 0931/55 445 oder spdi.wuerzburg@erthal-sozialwerk.de.

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