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WÜRZBURG: Theodor Berchem: Wie Sprache Gemeinsamkeit schafft

WÜRZBURG

Theodor Berchem: Wie Sprache Gemeinsamkeit schafft

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    Theodor Berchem: Wie Sprache Gemeinsamkeit schafft
    Theodor Berchem: Wie Sprache Gemeinsamkeit schafft

    Er spricht mehr als 15 Sprachen und hat noch nicht genug. Das nächste Ziel: Sein Koreanisch verbessern. Im Interview spricht Theodor Berchem, ehemaliger Präsident der Uni Würzburg und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) über die Bedeutung von Fremdsprachen. Der 80-Jährige verrät, wie er sich vor mehr 60 Jahren die erste Sprache in Eigenregie beibrachte, warum Sprachkurse heute wichtiger denn je sind und weshalb die Vorstellung einer einheitlichen Weltsprache völlig absurd ist.

    Frage: Goethe schrieb einmal „Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nicht von seiner eigenen“ – kennen sie als Sprachwissenschaftler das Deutsche besonders gut?

    Theodor Berchem: Goethe meint, dass man viel schneller erkennt, was das Deutsche ausmacht, welche Besonderheiten die Muttersprache hat, wenn man sich mit anderen Sprachen beschäftigt.

    Für Sie sind fremde Sprachen vertrautes Terrain. Sie sprechen 15 Sprachen . . .

    Berchem: Ich zähle sie nicht. Französisch zum Beispiel spreche ich wie meine Muttersprache.

    Warum?

    Berchem: Erstens bin ich Romanist, ich habe ein paar Semester in Frankreich studiert und dort Examina gemacht. Zweitens bin ich seit vielen Jahren mit einer Französin verheiratet und auch unsere vier Töchter haben wir zweisprachig erzogen.

    Welche Sprache sprechen Sie am wenigsten?

    Berchem: Slawische Sprachen sind sehr kompliziert. Lesen kann ich alle und wenn ich als DAAD-Präsident ein Treffen in Moskau hatte, konnte ich auch eine Rede auf Russisch halten – aber leider nicht frei. In der Schule habe ich die alten Sprachen gelernt: Griechisch, Lateinisch und ein wenig Hebräisch, natürlich auch Englisch. Ein historischer Sprachwissenschaftler erlernt nicht nur die Sprache von heute, sondern deren ganze Entwicklung.

    Ist es leichter, eine neue Sprache zu lernen, wenn man bereits einige beherrscht?

    Berchem: Ja. Ich war einmal mit einer Delegation in China unterwegs. Natürlich habe ich mir vorher ein bisschen das Chinesische angeschaut. Während der Reise ist dann Außenstehenden aufgefallen, dass ich häufiger mit der Dolmetscherin zusammensaß. Als wir dann offiziell Abschied nahmen, hielt ich die Rede auf Chinesisch. Ich wurde gefragt, ob ich Chinesisch studiert habe. Meine Antwort: „Ja, die letzten 14 Tage.“

    Kann man eine Fremdsprache jederzeit lernen?

    Berchem: Es ist kaum möglich, als Erwachsener eine Fremdsprache so gut zu lernen, wie die Muttersprache. Nach der Pubertät geht es mehr über den Kopf und weniger über den Instinkt.

    Ist Sprachen lernen eine Frage des Talents oder des Paukens?

    Berchem: Beides. Es gibt besondere Talente. Sie lernen zwar schneller, aber ohne Arbeit geht es auch bei ihnen nicht. Ich bin im Jahr 1952 zum ersten Mal mit einer Pfadfindergruppe nach Spanien gereist. Zuvor habe ich mir selbst Spanisch beigebracht. Auch vor unserer Abiturfahrt, die nach Italien führte, eignete ich mir die Sprache an und spielte dann den Dolmetscher für die Klasse.

    Wie haben Sie sich das beigebracht? Heute ist das Lernen von Sprachen dank Apps und Audio-Lernprogrammen ja recht einfach, aber damals vor mehr als 60 Jahren?

    Berchem: Ich habe mir erst einmal eine Grammatik gekauft und die so schnell wie möglich durchgearbeitet: Danach habe ich versucht an Texte in der Sprache zu kommen und diese zu lesen.

    Wann wurde zum ersten Mal Ihr Interesse an fremden, an anderen Sprachen geweckt?

    Berchem: Da meine Familie während des 2. Weltkrieges ausgebombt wurde, reisten wir in meiner Kindheit viel umher. Ich erinnere mich noch sehr genau, dass mich schon damals interessiert hat, wie die Menschen in den Dörfern, in denen wir gelandet sind, gesprochen haben. Welche Begriffe gab es für Worte wie Pferd oder Wagen? Damals war ich noch keine zehn Jahre alt. Ich erinnere mich auch sehr genau daran, dass ich das Platt der Einheimischen schnell sprechen wollte, damit ich nicht auffiel.

    Welche Rolle spielt es, die Sprache zu können, um dazuzugehören und sich heimisch zu fühlen?

    Berchem: Das ist ganz essenziell. Man kann sich nicht zu Hause fühlen, wenn man die Sprache nicht kann.

    Ein Satz, der im Hinblick auf die aktuelle Flüchtlingssituation Bedeutung bekommt. Es wird immer wieder diskutiert, ab wann Asylsuchende Anspruch auf Deutschkurse haben.

    Berchem: Das ist ein schwieriges Kapitel. Aber ich lasse mich zu der Aussage verleiten, dass es Integration nicht geben kann, ohne dass der Mensch die Landessprache spricht. Sie können keinen Syrer oder Türken integrieren, der die Sprache nicht kann. Er ist dann immer ein Fremdkörper – nicht nur für die Menschen in seinem Umfeld, sondern auch er selbst muss sich fremd fühlen.

    Was meinen Sie damit?

    Berchem: Derjenige kann ja gar nicht mit seiner deutschen Außenwelt kommunizieren. Er weiß nicht, was um ihn herum los ist. Er kann nicht heimisch werden ohne Sprache.

    Muss das Lernen der Sprache vor diesem Hintergrund noch mehr forciert werden?

    Berchem: Entsprechende Kurse sollten von Anfang an angeboten werden. Aber das hängt natürlich auch von den weiteren Schicksalen dieser Menschen ab. Feststeht: Wenn sie hierbleiben können oder wollen, müssen sie sich ein wenig deutsche Kultur und vor allem Sprache aneignen, sonst wird das nichts mit der Integration.

    Sind Fremdsprachen fremde Sprachen?

    Berchem: Allenfalls, wenn ich beginne, sie zu lernen. Dann wird man allmählich mit ihr vertrauter. Doch so richtig vertraut damit wird man erst, wenn man beginnt, sich in die Kultur des anderen Landes hineinzubegeben. Durch die Sprache allein kann man ein Land nicht kennenlernen. Man muss die Geschichte kennen, die Geografie, man muss etwas über die Literatur, über die Kultur des Landes wissen.

    Wie eng hängen Sprache und Identität eines Landes zusammen?

    Berchem: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass eine Sprache charakterbildend ist. Es gibt allerdings eine gewisse Verwandtschaft zwischen Denken und Sprache. Die alten Griechen etwa hatten eine Sprache, die sich durch eine große Vielfalt von Wortzusammensetzungen auszeichnete. Dies hat sich mit Sicherheit auf das griechische Denken, auf die griechische Philosophie ausgewirkt. Ähnliche Möglichkeiten der Wortbildung hat das Deutsche. Es kommt also nicht von ungefähr, dass auch die deutsche Philosophie Weltruf hat.

    Und gegenwärtig? Geben Länder wie Dänemark oder Schweden einen Teil ihrer Identität auf, wenn dort etwa an Universitäten nicht in der Landessprache, sondern auf Englisch gelehrt wird?

    Berchem: Schweden und Dänemark, aber auch die Niederlande sind relativ kleine Nationen. Zugleich sind sie sehr weltoffen. Da müssen sie sich einer Weltsprache bedienen, sonst gibt es keine Kommunikation. Beim Deutschen ist die Situation etwas anders.

    Inwiefern?

    Berchem: Es gibt immerhin 100 Millionen deutsche Muttersprachler innerhalb der Europäischen Union. Somit ist Deutsch in der EU die Sprache mit den meisten Sprechern.

    Zugleich ist Englisch die wichtigere Sprache.

    Berchem: Durch den Einfluss Amerikas wurde Englisch zur Weltsprache. Obwohl das bei der internationalen Kommunikation eine ganze Reihe von Vorteilen hat, sollten wir nicht alle Englisch reden. Ich bin der Meinung, die Vielfalt der Sprachen ist ein Gottesgeschenk. So viele Sprachen es gibt, so viele Weltansichten gibt es auch. Jede Sprache hat andere Vorstellungen. Zwar sollte heutzutage jeder – egal in welchem Land – Englisch lernen, doch die Muttersprache muss ebenfalls gepflegt und sollte nicht aufgegeben werden. Der DAAD hat daher etwa 500 Deutschlektoren in der ganzen Welt, um deutsche Sprache und deutsche Kultur zu verbreiten. Das Goethe-Institut mindestens genauso viele. Wir bemühen uns, deutsche Sprache und deutsche Kultur in der Welt heimisch zu machen. Dann stößt es mir unangenehm auf, wenn ich sehe, dass man hier in Deutschland unnötigerweise Englisch spricht. Es gibt eine ganze Reihe von Begriffen aus dem Englischen, die man gut übernehmen kann.

    Es sind jene Begriffe, die nicht nur ein Wort, sondern ein ganzes Phänomen beschreiben. Der Begriff Festival ist ein Beispiel hierfür. Aber es gibt auch viele Anglizismen, die einfach nicht sein müssen.

    Allerdings gewinnt das Deutsche wieder an Bedeutung, etwa in der Musik. Ist dieser Wandel Ausdruck eines veränderten Selbstverständnisses der Deutschen?

    Berchem: Wenn Musiker auf Deutsch singen, zeugt das von Selbstbewusstsein. Wollte man in der Vergangenheit auch über die Landesgrenzen hinaus erfolgreich sein, ging das nur auf Englisch. Heute wird deutsche Musik auch im Ausland gehört. Das belegt einen gewissen Gesinnungswandel auch in der übrigen Welt.

    Auch ein neues Selbstbewusstsein der Deutschen vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte?

    Berchem: So weit würde ich nicht gehen. Mit dem Nationalstolz ist es so eine Sache. Der ist in der Vergangenheit häufig missbraucht worden und so etwas darf nicht wieder vorkommen. Stolz zu sein, zu diesem alten Kulturvolk zu gehören, das halte ich für selbstverständlich. Ich muss mich nicht schämen, Deutscher zu sein. Aber ich schäme mich für das, was in den Jahren des Nazi-Reiches passiert ist.

    Deutschland hat versucht, seine jüngere Vergangenheit aufzuarbeiten. Das mag alles zu spät sein, vieles wurde verpasst und einiges scheint ungenügend bearbeitet worden zu sein, aber immerhin wurde es gemacht und die Deutschen stellen sich der eigenen Vergangenheit.

    Schafft Sprache Gemeinsamkeit?

    Berchem: Oh ja. Und irgendwie auch ein Heimatgefühl. Was mich zum Beispiel immer sehr berührt, ist, wenn KZ-Entkommene, die lange in Amerika gelebt haben, im deutschen Fernsehen oder Rundfunk auftreten und sich immer noch des Deutschen bedienen. Das gehört zu deren Identität.

    Trotz der Grausamkeit, die sie erfahren mussten?

    Berchem: Natürlich. Es gibt auch die Fälle, in denen sich die Menschen, obwohl sie der deutschen Sprache mächtig sind, weigern sie zu benutzen. Dafür kann man auch Verständnis haben. Aber für die meisten ist das Deutsche ein Teil ihrer Identität. Es wäre ganz schlimm, wenn die Nazis es auch noch geschafft hätten, ihnen diesen Teil der Identität zu nehmen.

    Sie sagen, Sprache schafft Gemeinsamkeit. Die Welt wächst immer mehr zusammen, die Wirtschaft wird globaler, die Menschen reisen mehr. Wäre es nicht leichter, wenn es dann auch eine globale Sprache gäbe?

    Berchem: Das ist ein Urtraum der Menschheit. Auch in der Bibel ist er schon thematisiert, etwa mit dem Turmbau zu Babel. Die Vorstellung, man könnte eine Sprache auf der ganzen Welt implantieren, ist absurd. Das geht nicht, selbst wenn jetzt festgelegt werden würde, dass auf der ganzen Welt ab morgen Englisch gesprochen werden muss. Es würden sich in kurzer Zeit zahlreiche Unterarten des Englischen bilden. Schon jetzt unterscheidet sich beispielsweise das Englische in den USA oder Australien von dem in Großbritannien. Diese Entwicklung ist in der Sprache angelegt. Wenn nicht ständig eine oberste Sprachbehörde eingreift, dann wandelt sich Sprache immer. Aber ich sage noch einmal: Meiner Meinung nach ist die Vielfalt der Sprachen ein Gottesgeschenk.

    Theodor Berchem

    Der Sprachwissenschaftler, der am 22. Mai 1935 nahe Bonn geboren wurde, lehrte seit dem Jahr 1967 als Professor für Romanische Philologie an der Universität Würzburg. Von 1975 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2003 war er Präsident der Universität. Zudem war Berchem 20 Jahre lang Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Berchem hat 14 Ehrendoktorwürden sowie zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Seit 2008 ist er Mitglied des Stiftungsrates der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Daneben ist er Vorsitzender des Alumni-Vereins der Uni Würzburg. Text: sas

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