Das Haus St. Lioba entstand 1950. Anfangs wohnten 115 Mädchen und junge Frauen hier. Heute sind es nur noch rund die Hälfte. Im Februar 1951 begann der erste Grundlehrgang für Hauswirtschaft, den seither viele Mädchen durchlaufen haben. 1982 musste eine wichtige Entscheidung getroffen werden: Will die Einrichtung Berufsfachschule werden oder künftig nur noch einen einjährigen Lehrgang ohne Berufsabschluss anbieten? Weitere Optionen ließ das damals neue Berufsbildungsgesetz nicht zu. St. Lioba entschied sich für den Lehrgang ohne Abschluss. Den absolvieren sozial benachteiligte junge Frauen, die Zeit zur Berufsorientierung benötigen.
Mit der Vision, einmal Pferdepflegerin zu werden, begann Romina Thiergärtner den Grundlehrgang vor einem Jahr. Sie gehört zu den letzten Schülerinnen, die den Kurs besuchen. Er wird zum Schuljahresende eingestellt, da die Zahl der Schülerinnen kontinuierlich zurückging. Zuletzt absolvierten gerade einmal 20 Mädchen den Lehrgang. Viele Gründe sind dafür ausschlaggebend, so Angelika Blenk vom Trägerverein „In Via – Katholische Mädchensozialarbeit“. Da ist zum Beispiel die bundesweite Politik der Arbeitsagentur. Der zufolge sind jene Lehrgänge am besten, die am wenigsten kosten. Weil der Hauswirtschaftskurs von St. Lioba pädagogisch anspruchsvoll ist, kostet er „zu viel“. Weshalb weniger Mädchen von der Agentur geschickt werden.
Für Romina war es ein riesiges Glück, ins Haus St. Lioba zu kommen, erzählt ihre Mutter Claudia Thiergärtner: „Sie ist hier aufgeblüht.“ Sofort fand das ruhige und stille Mädchen Anschluss. Auch der Kurs war für sie toll: „Hier habe ich zum Beispiel richtig putzen gelernt.“
Einzigartige Gemeinschaftserfahrungen machten die 20 Mädchen aus dem letzten Grundlehrgang. In Kürze müssen sie ihre Zimmer räumen. Die Frauen, die ab September 2008 in das Haus St. Lioba ziehen, kommen nur noch zum „Jugendwohnen“ her, so Einrichtungsleiterin Caroline Manderbach. Neben Berufsschülerinnen Sabrina Ackermann und Claudia Grohmannn gibt es bereits 15 junge Frauen, die in der Zeit ihrer Ausbildung dauerhaft das Angebot „Jugendwohnen“ nutzen. Graciela Romero gehört dazu. Die 17 Jahre alte Honduranerin, deren Eltern in Kleinheubach wohnen, besucht die Würzburger Berufsfachschule für Fremdsprachen.
Graciela schätzt es, dass das Haus anders als reine Wohnheime, den Bewohnerinnen Zuneigung, Zeit und Freundschaft schenkt. Immer ist jemand da, den man fragen kann. Das mag auch die 17 Jahre alte Anna-Kathrin Götz, die aus Neustadt an der Saale nach Würzburg kam, weil es im Röntgengymnasium eine Übergangsklasse für Realschüler gibt, die aufs Gymnasium wechseln wollen.
Am Ende einer Epoche, die mit dem Einstellen des Grundlehrgangs Hauswirtschaft einher geht, will die Einrichtung am Berliner Ring nun mit ihrem Zukunftskonzept Maßstäbe in Sachen Jugendwohnen setzen. Den im Haus tätigen Pädagoginnen ist es wichtig, Mädchen und jungen Frauen beim nicht einfachen Übergang zwischen Schule und Beruf, zwischen Jugendzeit und Erwachsenenalter zu unterstützen, so Schulleiterin Manderbach. Das ist nötiger denn je. Jugendliche müssen heute sehr flexibel sein. Und Lehrstellen und Berufsschulen akzeptieren, die weit von ihrem Heimatort entfernt sind. Viele haben Angst vor diesem Schritt. Diese Angst wird ihnen in St. Lioba genommen.