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WÜRZBURG: Untergegangen in Frust und Intrigen

WÜRZBURG

Untergegangen in Frust und Intrigen

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    Der Ringpark ist für viele Würzburger zu jeder Jahreszeit ein Ort der Erholung – auch für die Augen.
    Der Ringpark ist für viele Würzburger zu jeder Jahreszeit ein Ort der Erholung – auch für die Augen. Foto: ARCHIVFOTO Nils Graefe

    Öd und leer ist die Landschaft rund ums alte Würzburg, nur die Reben geben dem engen Horizont Farbe. Staubig und stickig ist es in der Stadt. 1834 besucht Hermann Fürst von Pückler, ein Schöpfer großartiger Parkanlagen, die Stadt, ist fasziniert vom Hofgarten und enttäuscht vom Drumherum: „Vorgestern kam ich in Würzburg an, dessen Umgegend mir ebenso kahl schien wie der Bergkessel schön, in dem die Stadt selbst liegt.“ Die Gärten, allen voran der prachtvolle Hofgarten, sind fürs Volk tabu. Kein Platz für ein Grün für gemeine Leute: Würzburg liegt im Talkessel wie im Gefängnis, eingesperrt von den mächtigen, im modernen Krieg aber untauglich gewordenen Mauern der Stadtbefestigung. Weg sollen die, fordern die Bürger, Licht und Luft wollen sie haben. König Maximilian II. von Bayern gibt nach langem Zögern nach. 1856 hebt er die Festungseigenschaft des rechtsmainischen Stadtgebietes auf.

    Öffentlicher Stadtpark

    Zwölf Jahre später kauft die Stadt das Glacis, eine durch das Ausheben des Festungsgrabens entstandene flache Erdanschüttung vor den bis zu 25 Meter dicken und sieben Meter hohen Mauern. Würzburgs Erster Bürgermeister Georg Zürn (1834 bis 1884) weiß, was er daraus machen will: „einen ästhetisch richtig angelegten öffentlichen Stadtpark“, der „das für Naturschönheiten empfängliche und nach solchen sich sehnende Auge möglichst befriedigen und erfreuen soll, was nur dann der Fall sein wird, wenn sich dem Auge eine reiche Anzahl abwechselnder schöner Bilder darbietet“.

    Um zu bekommen, was er will, holt er den Schweden Lindahl, der sich als Architekt des Landschaftsparks von Schloss Phillipsruhe bei Hanau einen Namen gemacht hat. Das Würzburger Glöckli, ein für seine Giftigkeit ebenso geliebtes wie verabscheutes Blatt ätzt zur Begrüßung: „Nach langen Wehen sind endlich unsere Stadtväter von dem neuen Glacisgärtner entbunden worden. Wie die hiesigen Blätter melden, ist das Kind ein gesundes und zu großen Hoffnungen berichtigendes und hat in der Taufe den namen Jean Lintal erhalten.“ Die Verballhornung von Lindahls Namen ins Französische lässt tief blicken, neun Jahre nach dem deutsch-französischen Krieg. Und prompt fragt das Glöckli, „ob es denn wirklich unmöglich war, einen Würzburger zu finden, der das Amt eines Stadtgärtners mit Geschick und Umsicht gewartet hätte. Wir wünschen nur, der neue Glacisinspektor möge den seiner Pflege anvertrauten Anlagen nicht so feindlich gesinnt sein wie sein Vorgänger und den Schwerpunkt seiner Thätigkeit nicht im Lichten der Anlagen finden.“

    Lindahl, der Schwede, ist da: Jahrgang 1843, ein Genie, ein Starrkopf, ein Ignorant und eine empfindsame Seele. Ein Junggeselle, scheinbar ohne Privatleben. Einer von den ganz Schwierigen. Einer von denen, die mit dem Hintern einreißen, was sie mit den Händen aufbauen.

    Die höchsten städtischen Gremien, das Gemeindekolleg und der Magistrat, verlangen von ihm, nicht Charakter noch Stil der Glacisanlage zu verändern. Lindahl aber hat anderes im Sinn: Im Glacis setzt er dem Rokoko des Hofgartens die Idee vom englischen Landschaftsgarten entgegen: anmutige Landschaftsbilder, mit dem frei stehenden Baum als Sinnbild für den freien Bürger.

    Schnell steht Lindahl zwischen seinem Patron Zürn, dem autoritären und kampfeslustigen Stadtoberhaupt und einer vielschichtigen Opposition, zu der Zürn- und Modernisierungsgegner ebenso gehören wie die Würzburger Gärtnerschaft. Es sei wieder ein Schwede in Würzburg, heißt es bald, der verwüste die Stadt noch schlimmer als seine Landsleute im 30-jährigen Krieg. Das katholische Fränkische Volksblatt wirft Lindahl 1885 „Devasthierungswuth“ – Verwüstungswut – vor.

    Jedes Thema ist recht, sich an Lindahl zu reiben. Am 25. März 1882 krakeelt wieder das Glöckli: „Ein Notruf aus dem Glacis!“ Um eine „undelicate Angelegenheit“ gehe es, die erörtert werden müsse. Die Glacisanlagen nämlich seien der Haupterholungs- und Aufenthaltsort für „Reconvalescenten“, die wegen ihrer angegriffenen Gesundheit noch viel öfter und dringlicher „gewisse Naturbedürfnisse“ empfänden als gesunde Leute. „Wohin soll sich nun so ein geplagter Mensch in seiner Not wenden? In den ganzen Glacisanlagen befindet sich nicht ein einziges Pissoir.“ Dann folgt die Schelle für Lindahl. Das Glöckli klagt, dass wegen gelichteten Parks ein Seitensprung bei der Damen-Frequenz in unserer Anlagen zu den Unmöglichkeiten gehört. Drei Jahre später berichtet das Volksblatt, die Stadtväter hatten das Angebot einer Frankfurter Firma angenommen, in der Ottostraße ein von Gebüsch verborgenes gusseisernes Aborthäuschen für 5000 Mark zu errichten. Es ist das Häuschen, in dem sich Lindahl 1887 umbringt.

    Ende Juni 1882 klagen Mitglieder des Gemeindekollegs, Lindahl schlage zu viele Bäume aus den Anlagen, beseitige das Buschwerk und verändere den Charakter des Glacis. Lindahl lässt sich mit seiner Antwort ein dreiviertel Jahr Zeit. Dann wehrt er die Kritik ab und teilt aus: Die Landschaftsgärtnerei sei „ein eigenes Fach, welches gelernt und geübt sein will, wie andere Zweige menschl. Tätigkeit“. Ein „Mangel an Fachbildung und Fachkenntnis“ sei „durch guten Willen allein nicht zu ersetzen“.

    Die Kollegmitglieder fühlen sich beleidigt und fordern Lindahls Entlassung, vergeblich. Im unverändert Lindahl-kritischen Volksblatt erscheint am 7. April 1883 ein erstaunlich moderater Artikel. Er zeigt auf, wie sehr Lindahl Spielball widerstreitender politische Interessen ist: Die Opposition trete zurecht gegen den autokratischen Bürgermeister an, sie „möge aber auch nicht bloß für gewisse Dinge einen Sündenbock in der Person des Stadtgärtners suchen, sondern seine Vorwürfe gleich an die richtige Adresse richten“.

    Der öffentliche und politische Druck ist groß, die gärtnerischen Probleme auch. Bei der Umgestaltung des Glacis vor dem Bahnhof kommt unter dünnem Erdreich massiver Fels zum Vorschein – keine Chance für Bäume zu wurzeln. Lindahl geht mit der Rücksichtslosigkeit eines Feldherrn vor, lässt die Flöze heraus brechen und die Lücken mit Grombühler Mutterboden füllen. Wieder erregen sich die Kritiker. Ihr Dämpfer kommt diesmal aus St. Petersburg, wo Lindahl auf der Internationalen Gartenbau-Ausstellung 1884 die Silbermedaille für sein Würzburger Projekt gewinnt.

    Im Mai 1884 stirbt Zürn, Johann Georg Steidle wird Erster Bürgermeister. Die Anfeindungen gegen Lindahl gehen weiter. Am 14. März 1885 prangert das Volksblatt Lindahls „souveräne Verachtung“ an, mit der er über die Meinung des Publikums hinweg gehe. Der Schwede erfasse überhaupt nicht den „Charakter des Glacis als Waldpark zum Schutz gegen Staub und Sonne“.

    Weil Lindahl junge Bäume für den Ringpark in Berlin erworben hat, greift das Volksblatt am 9. April 1885 wieder an: Es kritisiert, „daß der Herr Stadtgärtner seine neuen Bäumchen, die er an Stelle der von ihm in so überflüssiger Weise entfernten schön angewachsenen kräftigen Stämme setzt, von Berlin herbezieht und somit unser Würzburger Geld nach dem Norden fließt, wo doch in der Nähe gewiß auch gute Bezugsquellen vorhanden sind“. Lindahl hält dagegen: In Süddeutschland gebe es keine leistungsfähigen Baumschulen für öffentliche Parkanlagen, der Import sei unbedingt notwendig gewesen.

    Anders als Volksblatt und Glöckli findet die liberale Neue Würzburger Zeitung Gefallen an Lindahls Tun. Wie ihre Konkurrenz reagiert die Neue aber grantig auf „das geflissentliche Dunkel“, in das der Magistrat die Pläne für die Gestaltung des Sanderglacis hüllt. Und kommt am 18. März 1885 schließlich ebenfalls mit massiver Kritik an Lindahl heraus, wegen der hohen Kosten für die „Umwandlung unserer gesamten bestehenden Anlagen“.

    Allen Widerständen in Würzburg zum Trotz lehnt Lindahl eine Berufung in die Gartenstadt Erfurt ab. Er gehe nicht eher, bescheidet er, bis er den Würzburger Ringpark vollendet habe. Das Volksblatt giftet: „Unser famoser Stadtgärtner soll einen Ruf nach Erfurt zu einem Vorschlage über die Ausführung von Anlagen erhalten haben. Wenn die Erfurter doch diesen kostspieligen Herrn gleich für immer behalten würden!“

    Am 21. Juli 1886 läutet die Würzburger Presse mit harscher Kritik Lindahls Ende ein. Sie wirft ihm vor, er vernachlässige die Glacisanlagen und beklagt gravierende Versäumnisse: „Das Herz im Leibe muß jedem wehe tun, der diesen gräulichen Zustand sieht.“ Die teuren Anlagen würden „in dem wie ein Urwald sie umgebenden Unkraut ersticken“. Ein „großes Unrecht“ sei, „Gemeindevermögen in solch rücksichtsloser Weise zu Grunde gehen zu lassen“. Die Bevölkerung verlange mit Recht „die Beseitigung der Missstände, die, wie wir uns selbst überzeugten, jedem Fremden, der sich Würzburg besieht, zum Gespötte dienen.“

    Der starrsinnige, unbeugsame Gartenkünstler ist als Schlamper entlarvt: genial in seinen Entwürfen, aber hoffnungslos überfordert vom Verwaltungskleinklein. Den letzten Schlag erhält er wegen eines kleinen Sees, den er im Sanderglacis in der Nähe des Mains anlegte, gegen den Fluss abgegrenzt mit kleinen künstlichen Hügeln. Wieder gibt es Ärger im Gemeindekolleg: Lindahl habe ohne Auftrag gehandelt, der See koste weitere 23 000 Mark, der Plan sei ein teures ästhetisches Unding. Bürgermeister Steidle fällt vom Stadtgärtner ab und lässt die Arbeiten am See einstellen.

    Lindahl bricht zusammen. In einer Kur im Hochgebirge versucht er, wieder auf die Beine zu kommen. Derweil lässt Steidle den See zuschütten und die Hügel abtragen.

    Nach Würzburg zurückgekehrt, sieht Lindahl, was die Stadt aus seinem See gemacht hat: eine Rasenfläche und Kinderspielplätze. Er ist am Ende, verzweifelt, ausgezehrt vom acht Jahre langen Kampf. Er erschießt sich.

    Das Volksblatt knurrt ihm ins Grab hinterher: „Die Schöpfungen Lindahls werden eine sehr kostspielige Erinnerung für die Stadt bleiben.“ Die Würzburger Neue Zeitung allerdings erkennt den Verlust, den Würzburg erlitten hat. Und bedauert: „Leider war ihm nicht vergönnt, seinen Genius frei walten lassen zu dürfen.“

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