Emilie von Gleichen-Rußwurm sah ihrem Vater sehr ähnlich. Als sie 1872 starb, schrieb Ernst Ziel in einer Art Nachruf: „In diesem ruhig und tief blickenden Auge lebt etwas vom milden Ernste Schiller’s, während der gekniffene Mund und das markirte Kinn Zeugniß dafür ablegen, daß die ausharrende Energie des Vaters nicht zu den geringsten Vermächtnissen gehörte, welche er der Tochter hinterließ (…). Emilie lebte nur in ihrem Vater; denn der Gedanke der Propaganda für die geistige Saat, die er ausgestreut, war der Gedanke ihres Lebens.“
Edeltraud Linkesch hat sich schon viel mit Schillers jüngster Tochter beschäftigt. Dass diese aber mit ihrem Sohn und ihrem Mann in Würzburg lebte – in dem Haus, in dem das Ursulinenkloster beheimatet ist und in dem damals die Einhorn-Apotheke untergebracht war –, überraschte auch sie. „Als ich das herausgefunden habe, war ich wirklich begeistert“, sagt die Würzburgerin. „Sie hat ihren Vater und dessen dichterisches Werk sehr verehrt und sich auch intensiv um die Aufarbeitung gekümmert.“
Emilie lernte ihren berühmten Vater nicht mehr bewusst kennen
Allein: Wirklich kennengelernt hat Emilie ihren Vater nicht, denn als sie nicht einmal ein Jahr alt war, starb Friedrich Schiller. Mutter Charlotte zog Emilie und ihre drei älteren Geschwister, die damals 6, 9 und 12 Jahre alt waren, in Weimar alleine auf. Ernst Ziel schreibt dazu: „Als Emilie in’s Leben trat – es war am 25. Juli 1804 in Jena – waren die Tage Schiller’s bereits gezählt, und als er für immer die Augen schloß, hatte sie den zehnten Monat noch nicht zurückgelegt. So konnte das Bild des verewigten Vaters kraft eigener Anschauung nicht in ihr leben, aber mit hingebender Pietät pflegte die zartsinnige Mutter, Charlotte von Schiller, in dem Kinde das Andenken Schiller’s. Sie, die in dem Geiste des großen Gatten so ganz aufgegangen war, erzog die Tochter unter den unmittelbaren Nachwirkungen seines Schaffens und im Sinne der von ihm gehegten und verfochtenen Ideale.“

Doch am 9. Juli 1826 starb auch Charlotte von Schiller. „Emilie zog zu ihrer Tante Karoline von Wolzogen“, berichtet Edeltraud Linkesch. „Ihre Tante war sehr liebevoll und hochgebildet und der jungen Emilie eine große Stütze in der schweren Zeit.“ Anschließend weilte die junge Frau im Winter 1827/1828 in Berlin und war teilweise bei Wilhelm von Humboldt, teilweise beim Geheimen Rat Rußwurm zu Gast. Hier lernte Emilie Schiller „die große Welt und das vornehme Leben der Salons“ kennen, wie Ziel schreibt, vor allem aber begegnete ihr die Liebe – in Gestalt des bayerischen Kammerherrn Adalbert von Gleichen-Rußwurm. „Im darauffolgenden Sommer heiratete das Paar und sie wurden sehr glücklich“, führt Edeltraud Linkesch Emilies Biographie weiter aus.
Schiller hatte Emilies späteren Mann übers Taufbecken gehalten
Schiller selig hätte sich sicherlich über die Verbindung gefreut, denn den Auserwählten seiner Tochter hatte er 25 Jahre zuvor über das Taufbecken gehalten: Adalbert von Gleichen-Rußwurm war Schillers Patenkind. An die Eltern des Täuflings hatte der Dichter damals geschrieben: „Mein Herz ist Ihnen Beiden mit der redlichsten Freundschaft ergeben; urtheilen Sie daraus, wie innig es mich gefreuet, daß Sie mich durch ein neues und so liebes Band an sich knüpfen wollen! Möchte ich es erleben, Ihrem Sohne einmal etwas zu sein und den Namen seines Pathen wirklich zu verdienen!“
Ziel ist sich sicher: „Wie glücklich wäre Schiller gewesen im Anschauen der mit allen inneren und äußeren Gütern des Lebens gesegneten Ehe seiner Tochter und seines Pathenkindes!“ Das Paar, erzählt Edeltraud Linkesch, habe auf Schloss Greifenstein bei Bonnland gelebt. „Doch im Winter war es in dem romantischen Renaissanceschloss unerträglich kalt. Deshalb verbrachte die Familie die Wintermonate erst in Meiningen, dann in Würzburg.“ Zwei Kinder hatte Emilie von Gleichen- Rußwurm inzwischen zur Welt gebracht, ihre 1833 geborene Tochter aber wieder verloren. „Das war für sie natürlich ein unglaublicher Schmerz“, kommentiert Edeltraud Linkesch. Und Ziel schreibt: „Hohe Mutterfreude wurde ihr dagegen zu Theil, als ihr der 25. October 1839 einen Sohn schenkte, den noch heute lebenden talentvollen Maler Heinrich Ludwig von Gleichen.“
Beim Besuch in Würzburg starb Emilies Schwester Caroline
Ludwig war zwölf, als die Familie nach Würzburg kam. „Von hier aus hatte er es auch nicht weit zum Gymnasium“, sagt Edeltraud Linkesch. Der Schiller-Enkel besuchte das ehemalige Alte Gymnasium, das heutige Wirsberg-Gymnasium. In Würzburg musste Emilie eine leidvolle Erfahrung machen: Ihre Schwester Caroline starb, als sie gerade zu einem Besuch bei ihr weilte. Und es blieb nicht bei dem einen Schicksalsschlag: „Hart traf sie ferner das Geschick, als 1865 die Gattin ihres damals erst seit sechs Jahren vermählten Sohnes, Elisabeth, geborene Freiin von Thienen-Adlerflycht, im Wochenbette starb“, schreibt Ziel.
In den Folgejahren bis zu ihrem Tod pflegte sie ihr Enkelkind aufopferungsvoll und nahm die Mutterrolle ein. Emilie von Gleichen- Rußwurm starb nach fünftägigem Leiden an einer Lungenentzündung. Mit ihr ging das letzte Kind Schillers dahin. Ziel schreibt 1874: „Das unmittelbare Blut des großen Mannes wandelt nicht mehr unter uns […]. Unsterblich aber sind die sich ewig erneuernden Ernten, die aus dem Samen seines geistigen Schaffens aufgehen; denn diesen hat der Fittig der Cultur über alle Welt ausgestreut, und das Tiefste und Zarteste, was wir empfinden, das Schönste und Erhabenste, was wir denken, das Edelste und Mannhafteste, was wir thun – es hängt, oft uns unbewußt, zusammen mit unserm Schiller. In diesem Sinne ist er unser Aller Erzieher und Vater geworden; in diesem Sinne sind wir Alle seine Schüler, seine Söhne.“
Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.