Ohne Dachziegel und mit leeren Fenstern blickt „der Onkel“ in der Frankfurter Straße traurig in die Zukunft – seine Tage sind gezählt. Dabei haben die über 150 Jahre alten Mauern nahezu die gesamte Geschichte ihres Stadtteils miterlebt – vom Grün- und Gartenland zum Kasernen- und Arbeiterquartier bis hin zum modernen Stadtviertel. Mit der Traditionsgaststätte verliert die Zellerau eines ihrer ältesten und liebenswertesten Bauwerke.
Denn 1863, als der Landwirt Johann Roth die Pläne zu einem Wohnhaus mit Scheune einreichte, gab es auf der ganzen Strecke von der Hufbeschlagschule bis zur Bürgerbräu und der Villa des Tabakindustriellen Leofried Adelmann allenfalls ein paar Schuppen und Gartenhäuschen. Die Route nach Oberzell wurde von den Fuhrwerken nach Frankfurt benutzt, sofern man die Ware nicht auf Mainschiffen treidelte. Neben Gärten lag hier, außerhalb der Stadtmauern, auch ein kleiner Militärfriedhof.
Bereits das Adressbuch von 1865 verzeichnet das Gebäude an der „Straße nach Zell rechts“ als Gastwirtschaft „Zur Vogelsburg“ des „Garküchners“ Georg Brünner. Der Name stammte ursprünglich von der benachbarten, viel älteren Heckenwirtschaft „Södersburg“, die man bald nach ihrem Besitzer Lorenz Vogel umtaufte Hier konnten sich Wanderer stärken, denen der Weg bis zum Zeller Tor zu weit wurde, oder die, in umgekehrter Richtung unterwegs, bereits nach dem steilen Anstieg der Zeller Straße eine erste Erquickung brauchten. Von Brünners Witwe an den „Restaurateur“ Adam Drescher verkauft, gelangte das Lokal später in den Besitz von Michael Scheuermann.
Als 1896 Andreas Lang das Anwesen erwarb, nahm Scheuermann den Namen „Zur Vogelsburg“ mit in die Frankfurter Straße 21 – ins damalige Wohnhaus des Schriftstellers Leonhard Frank. Aufmerksame Frank-Leser erinnern sich aus dem „Ochsenfurter Männerquartett“ an die reiche Tante von „Hans Lax“ aus Amerika, die in der „Vogelsburg“ untergebracht wird. Gastwirt Lang nannte das Lokal nunmehr „Zum Onkel Lang“ oder kurz „Zum Onkel“. So liest man es auf einer kolorierten Postkarte um die Jahrhundertwende.
Wechselnde Adresse
Ebenso oft wie die Besitzer wechselten auch die Adressangaben: Aus der „Straße nach Zell“ wurde die „Zeller Landstraße“ und in den 1880ern die „Frankfurter Straße“, bis die Nationalsozialisten daraus vorübergehend die „Eppstraße“ machten – zu Ehren des Freikorpsführers und ehemaligen Leutnants der Würzburger „Neuner“. Zu den großen Kasernen, Gärtnereien und Brauereien kam bald erste Wohnbebauung: Die Straßennamen orientierten sich anfangs an Schauplätzen des deutsch-französischen Krieges, berühmten Feldherrn und Mitgliedern der Königsfamilie wie der Prinzessin Adelgunde. Doch auch der Erste Weltkrieg hinterließ seine Spuren: 1929 entstanden gegenüber vom „Onkel“ die „Ypern-“ (heute Fröhlichstraße) und die „Langemarck-Straße“ (heute Scherenbergstraße) als Erinnerung an zwei blutige Schlachten der Westfront.
So füllte sich nach und nach das Areal rund um das einst allein stehende Gebäude. 1885 wurde das Gebiet an die Kanalisation angeschlossen, 1899 an die Wasserleitung, und seit Juni 1900 führte hier sogar die neue Straßenbahnlinie von der Wörthstraße bis nach Oberzell vorbei. Zu den 1921 genehmigten Notwohnungen auf dem Grundstück des „Onkel“ kamen später eine systematische Nutzung durch Wohnungsbaugenossenschaften und – nach dem Zweiten Weltkrieg – zeitweilig Barackensiedlungen aus Holzbauten.
Das Gartenlokal erfreute sich bei den Zellerauern stets großer Beliebtheit – und nicht nur bei diesen. Auch die stets hungrigen Würzburger Musensöhne schätzten die Atmosphäre und die preiswerte Küche. Einer von ihnen, der spätere HNO-Arzt Wolf-Otto Schmidt, der 1952 hier oft einkehrte, hat der Gastwirtschaft in seinen Studienerinnerungen ein kleines Denkmal gesetzt: „Die Zellerau war für uns Studenten gar nicht schlecht, denn gleich um die Ecke fand sich nur wenige Meter von unseren Wohnungen entfernt das Gartenlokal „Zum Onkel“. Der Wirt war uns wohlgesonnen. Der größte Vorteil war, dass es immer noch ein aus der älteren Studentenliteratur her bekanntes schwarzes Brett gab, an dem man „in der Kreide stehen“ konnte, wenn das Bare wieder einmal knapp und der Wechsel ausgeblieben war.“ Die Preise waren erschwinglich: „Ein Paprika-Schnitzel kostete 1.60 D-Mark. In meinem Stammlokal „Zum Onkel“ war es das teuerste Gericht auf der Karte, das ich mir einmal in der Woche leisten konnte.“
Dank umsichtiger Löschmaßnahmen des damaligen Besitzers hatte das Häuschen die verheerenden Luftangriffe auf die Zellerau Mitte und Ende März 1945 unbeschadet überstanden. Selbst Schauplatz vieler Wahlveranstaltungen, Bürgerversammlungen, aber auch kultureller Treffen, kam für das Zellerauer Urgestein jetzt die Gründung einer Initiative zur Rettung des „Onkels“ trotz 800 gesammelter Unterschriften zu spät. Da sich der Betrieb für das letzte Wirtsehepaar nicht mehr rechnete, wird das Gebäude 15 Wohneinheiten weichen müssen.