Im nächsten Jahr feiert das Theater am Neunerplatz sein 30-jähriges Bestehen. Dann wird sicher der ein oder andere Gratulant ein Geschenk mitbringen. Aber ein Theater beschenkt sich in einem solchen Fall natürlich auch gerne selbst und zwar mit einer ganz besonderen, nicht alltäglichen Produktion. Theaterleiter Sven Höhnke und Regisseur Erhard Drexler haben für das runde Jubiläum einen besonders dicken Fisch an Land gezogen: Ab 23. Januar gibt es auf der Neunerplatz-Bühne „Woyzeck“, das berühmte Stück von Georg Büchner, und zwar in der nicht minder bekannten Fassung als „Art Musical“ von Tom Waits und Robert Wilson.
Warum dies für eine kleine Bühne gar nicht so selbstverständlich ist, darüber haben wir mit Regisseur und Theaterleiter gesprochen.
Georg Büchner hat den Woyzeck-Stoff 1836 niedergeschrieben, doch nach seinem frühen Tod 1837 (er wurde lediglich 23 Jahre alt) blieb das Werk als Fragment liegen. Später wurde es in unterschiedlichen Fassungen aufgeführt, da es keine verbindliche Anordnung der einzelnen Szenen gab. Woyzeck wurde zum Literatur- und Bühnenklassiker. 2000 fand in Kopenhagen die Uraufführung als „Art Musical“ des amerikanischen Star-Regisseurs Robert Wilson statt, für das der amerikanische Kultsänger Tom Waits und seine Frau Kathleen Brennan die Songs geschrieben hatten.
„Wir sind mit einem fünfstelligen Betrag in Vorleistung gegangen.“
Sven Höhnke Theaterleiter
Die Wilson-Waits-Fassung eroberte mit überwältigendem Erfolg schnell die Bühnen vieler nationaler und internationaler Theater und erlebt gerade wieder ein Revival. Viele große Häuser in Deutschland haben den „Woyzeck“ aktuell im Repertoire. Das erschwert es für eine kleine Bühne, die Aufführungsrechte zu erhalten. Denn große Bühnen zahlen mehr dafür als eine kleine.
Doch nach einem Besuch des Waits-Wilson-„Woyzeck“ in Mannheim waren Drexler und Höhnke so begeistert, dass sie die Idee, dieses Stück am Neunerplatz aufzuführen, nicht mehr los ließ. Dabei war ihnen sofort klar „Großes Recht ist großes Geld“ wie Erhard Drexler erzählt. Also wandte man sich den Rechteverwalter, den Verlag für Bühne, Film und Funk, Felix Bloch Erben, von dem der Neunerplatz vorher bereits die Rechte für die „Dreigroschenoper“ und die „Comedian Harmonists“ bekommen hatte. Nach langen Verhandlungen lag schließlich der Vertrag auf dem Tisch. In dem sechsseitigen Papier sind zahlreiche Details festgelegt, die dem Theater nicht allzu viel Spielraum übrig lassen. Da steht dann beispielsweise, dass nur ganz bestimmte Textbücher verwendet werden dürfen, die natürlich auch bezahlt werden müssen. Nach Ende der Aufführungen müssen sie dann wieder – mit allen darin während der Proben notierten Anmerkungen – zurückgesandt werden.
Weiter heißt es, dass das Theater die Aufführungen „angemessen vorzubereiten“ hat und dass Änderungen des Texten und des Titels „ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages zu unterlassen sind“.
„An diese Vorgaben hält man sich strikt“, sagt Drexler, „denn wer da einmal was falsch macht, der ist für immer draußen“. Tricksereien sind auch gar nicht sinnvoll, denn in einem anderen Paragraphen behält sich der Verlag das Recht vor, Proben zu besuchen und nachzusehen, dass alles mit rechten Dingen zugeht.
Es geht in der Vereinbarung aber nicht nur um Text und Aufführung. Medienberichte über die Aufführung sowie Programmhefte und Plakate müssen beim Verlag eingereicht werden. Keinesfalls dürfen die englischen Songtexte von Tom Waits ins Deutsche übersetzt werden. Nicht für die Bühnenproduktion, aber auch nicht für Theaterbesucher.
Geregelt ist auch, dass auf Plakaten die Namen von Tom Waits, Robert Wilson und Kathleen Brennan gleich groß erscheinen müssen und „es ist zu keiner Zeit gestattet ist, Texte des Werkes oder dessen Titel in irgendeiner Form zu Merchandising-Zwecken zu nutzen etwa auf Kleidungsstücken, Hüten, Bechern, Postern oder sonstigen Souvenirartikel“.
Das alles aber hat Drexler und Höhnke nicht davon abhalten können, sich an die „Woyzeck“-Inszenierung zu wagen, auch nicht, „dass wir mit einem fünfstelligen Betrag in Vorleistung gegangen sind“, so Höhnke.
„Der Woyzeck-Stoff bietet Ansatzpunkte für gleich mehrere Unterrichtsfächer.“
Erhard Drexler Regisseur
Insgesamt 17 Vorstellungen sind geplant, um die Summe wieder einzuspielen. Dabei setzt Erhard Drexler, im richtigen Leben Berufsschullehrer an der Josef-Greising-Schule, auf seine Kollegen und deren Schüler. Denn der „Woyzeck“-Stoff biete Ansatzpunkte für gleich mehrere Unterrichtsfächer wie Deutsch, Geschichte und Sozialkunde, Ethik/Religion sowie Musik.
Inzwischen haben die Proben für die aufwändige Inszenierung begonnen, für die am Neunerplatz eigens eine Drehbühne installiert wird. Erhard Drexler arbeitet mit den 13 Schauspielern, während er musikalische Leiter Tobias Debold mit den fünf Musikern die Songs einübt. Die kann man sich übrigens vorab schon auf der 2002 erschienenen Tom-Waits-CD Blood Money“ anhören, in deren Booklet immerhin die englischen Texte abgedruckt sind.
Apropos Tom Waits. Dazu heißt es in dem Aufführungsvertrag: „Die Bühne ist verpflichtet, dem Urheber auf Verlangen zwei gute Plätze zu jeder Aufführung unentgeltlich zur Verfügung zu stellen“. Und an anderer Stelle steht: „Es darf zu keiner Zeit der Eindruck erweckt werden, dass Tom Waits an einer Aufführung teilnimmt“. Und wenn er aber kommt? Die Karten für ihn lägen dann jedenfalls bereit.
Die Premiere findet am Freitag, 23. Januar, um 20 Uhr statt. Weitere Aufführungen jeweils Donnerstag bis Sonntag bis zum 15. Februar, jeweils um 20 Uhr. Kartenvorbestellungen unter Tel. 41 54 43. Info: www.neunerplatz.de