Gefühlt schon immer hängen in Gerichtssälen Kreuze. Warum eigentlich – sind doch Staat und Kirche hierzulande offiziell getrennt? Eine Frage, die durch den Kreuzerlass der bayerischen Staatsregierung an Brisanz gewonnen hat. Einfache Antworten gibt es nicht. Oder doch? Darüber diskutierten beim zweiten Würzburger Kellergespräch, veranstaltet von dieser Redaktion und den Juristen-Alumni der Universität, Experten aus Justiz und Religionen. 120 Zuhörer kamen, viele beteiligten sich an der Diskussion.
Für den Würzburger Staatsrechtler Professor Horst Dreier ist die Sache eindeutig: Religiöse Symbole haben seiner Ansicht nach in Gerichtssälen nichts verloren. Das Grundgesetz verlange vom Staat „weltanschauliche Neutralität“. Diese aber sei nicht gegeben, wenn Behörden wie Gerichte durch das Aufhängen von Kreuzen dokumentierten, sie identifizierten sich mit einer Religion mehr als mit einer anderen. In seinem Buch „Staat ohne Gott“ fordert Dreier, der sich als evangelischen Christen bezeichnet, religiöse Symbole aus Gerichten zu verbannen. Den Kreuzerlass von Markus Söder hält der Jurist für „verfassungsrechtlich auf Sand gebaut“. Daran ändere auch nichts, wenn der Ministerpräsident das christliche Symbol zum „Zeichen der Identität Bayerns“ erkläre.
Altbischof: Kreuz kann Hilfe sein
Albischof Friedhelm Hofmann sieht das erwartungsgemäß anders. Das frühere Oberhaupt der Katholiken im Bistum Würzburg, stellt nicht in Zweifel, dass Richter und Schöffen im Namen des Volkes urteilen und sich dabei – ohne Rücksicht auf die Religionszugehörigkeit der Prozessbeteiligen – allein auf Recht und Gesetz berufen müssen. Für Hofmann steht das Kreuz im Gerichtssaal als „Symbol einer Werteordnung“, die auf christlich-jüdischen Wurzeln basiert. An die Geschichte und das Leiden Jesu Christi erinnert zu werden, könne für einen Angeklagten vor Gericht „sogar eine Hilfe sein“.
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, argumentiert differenziert. Die Notwendigkeit, ein christliches Symbol aufzuhängen, um an die Werteordnung zu erinnern, könne er nicht erkennen. Ein kleines Kreuz im Eingangsbereich eines Gerichtsgebäudes störe ihn gleichwohl nicht. Ein „sehr großes Kreuz“ direkt hinter dem Richter stehe dem Neutralitätsgebot, wie es die Verfassung vorsehe, aber entgegen. Auch mit dem bayerischen Kreuzerlass habe er „erhebliche Probleme“, bekennt Schuster. Schließlich seien im Namen einer vermeintlich christlichen Werteordnung in der Geschichte immer wieder schlimme Verbrechen gegen die Juden begangen wurden. Hofmann will den Einwand nicht gelten lassen. Für den Missbrauch des Kreuzes durch Menschen dürfe man „nicht das Kreuz verantwortlich machen“.
Neutralität im Amt kontra individuelle Religionsfreiheit
Das Kreuz im Gerichtssaal ist das eine, aber darf ein Richter oder Staatsanwalt religiöse Symbole am Körper tragen? Schuster bedauert, dass Richter und Staatsanwälte hierzulande weder Kopftuch noch Kippa – das ist die jüdische Kopfbedeckung für Männer – tragen dürfen. Dies widerspreche doch dem Grundrecht auf freie individuelle Religionsausübung. Der Europäische Gerichtshof sieht dies anders und bestätigte den Freistaat Bayern, der muslimischen Rechtsreferendarinnen das Tragen von Kopftüchern verbietet. Für Dreier ist klar: Die Religionsneutralität müsse im Gerichtssaal ebenso gelten wie am Körper von Amtspersonen. „Zurecht“ sei schon in den 1980er Jahren Lehrern, die der Bhagwan-Bewegung nahestanden, verboten worden, in den für die Sekte typischen orangefarbenen Kleidern zu unterrichten. Frankreich, so Dreier, lebe die Trennung von Staat und Religion gar so konsequent, dass nicht nur Professoren und Lehrer kein Kopftuch oder andere religiöse Symbole tragen dürfen, sondern auch Studierende und Schüler.
Flagge statt Kreuz?
In der Diskussion mit den Moderatoren Professor Eric Hilgendorf (Alumni) und Redakteur Andreas Jungbauer schlagen einige Zuhörer vor, statt religiöser lieber staatliche Symbole in die Gerichtssäle zu hängen, die Nationalflagge, ein Foto des Bundespräsidenten oder Grundgesetz-Artikel eins: „Die Würde des Manschen ist unantastbar.“ Der Glaube sei ihr wichtig, sagt die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Heidi Wright (Karlstadt), aber er sei ihre Privatsache. Deshalb sei sie gegen Kreuze in Behörden und Parlamenten.
Andere wiederum fürchten mit dem Verschwinden von Kreuzen aus dem öffentlichen Raum einen Verfall der Werteordnung. „Sogar Gipfelkreuze wollen manche Menschen jetzt von den Bergen entfernen lassen“, empört sich ein Zuhörer, worauf er Unterstützung vom Juden Schuster erhält: „Starten Sie eine Petition dagegen, ich unterschreibe sofort.“