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WÜRZBURG: Wo fliegt denn noch ein Schmetterling?

WÜRZBURG

Wo fliegt denn noch ein Schmetterling?

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    Die Studenten müssen nur ein paar Schritte vor die Tür. Das Praktikumsgebäude der Biologen ist das letzte entlang der Straße auf dem neuen Würzburger Unicampus, dahinter kommt nur noch Wiese. Da, ein Bläuling flattert vorbei. Ein Kohlweißling tanzt in der Luft. Und noch einer. Und ein dritter. Daneben ein Kleiner Heufalter. Und zwischen Grashüpfern, Schwebfliegen, Bienen und Hummeln fliegt ein Kleegelbling anmutig von einer Blüte zur nächsten. Mirko Wölfling freut sich. „Ihre Raupe braucht Kleearten“, sagt der Diplombiologe. Und schmunzelt: „Zum Glück hat die Uni kein Geld, um hier zu mähen.“

    Wo wild was wächst, gibt es Leben

    Nur wo wild waDenn nur, weil hinter dem Kursgebäude wachsen darf, was wachsen will, können die Biologiestudenten in Würzburg lebendig sehen, was sie gerade studieren: Schmetterlinge. Viele Falterarten brauchen bestimmte Blüten, viele Arten fressen Gras – „aber eben nicht den Glatthafer von der Fettwiese und nicht das schöne Rasengras“, sagt Master-Biologin Britta Uhl. Noch ein Kleegelbling.

    Der Tag ist trocken und warm, viele Tagfalter sind unterwegs. Und Britta Uhl, Mirko Wölfling und Kursleiter Dr. Robert Hock können die Studenten nicht nur am Präpariertisch, sondern im Feld einführen in die spannende Welt der Lepidopterologie.

    Nur fünf Prozent aller Falter sind Tagfalter

    3700 Schmetterlingsarten gibt es in Deutschland. Davon sind nur rund 180, fünf Prozent also, die oft farbenprächtigen Tagfalter. Die große Mehrzahl an Kleinschmetterlingen und Nachtfaltern ist in der Dunkelheit unterwegs. Wenn sie denn noch unterwegs ist. In Bayern ist bei fast allen Arten seit der Jahrtausendwende der Bestand zurückgegangen, zum Teil dramatisch. Ökologen der TU München veröffentlichten mit der Zoologischen Staatssammlung München im vergangenen Jahr eine Erhebung, die den steten Schwund an Schmetterlingsarten drastisch belegt. In Bayern waren demnach seit Mitte des 18. Jahrhunderts etwa 3250 Arten nachgewiesen worden. Mehr als 400 Arten sind laut Schmetterlingskatalog inzwischen nicht mehr zu finden.

    Massiver Rückgang bei den Arten

    Den Regensburger Gelbling, auch Orangeroter Heufalter genannt, sucht man vergebens, den Kleinen Waldportier auch. Berghexe und Streifenbläuling sind akut vom Aussterben bedroht. Wo früher vielfältige Faltergemeinschaften lebten, dominieren jetzt nur nun wenige Lebensraum-Generalisten. Gerade hat die Europäische Umweltagentur gemeldet, die Zahl der Wiesen-Schmetterlinge in Europa nehme besorgniserregend ab: Zwischen 1990 und 2011 seien von 17 beobachteten Arten acht zurückgegangen.

    Wenn ein paar Ulmenzipfelfalter, Hauhechel-Bläulinge oder Perlmutterfalter weniger durch die Gegend tänzeln – na und? Was soll's? Könnten Vögel antworten, würden sie protestieren. Für sie ist die Artenvielfalt bei Insekten eine Existenzfrage. Für Mirko Wölfling ist es eine Grundsatzfrage. Der 37-Jährige stammt aus Niederwerrn, beobachtet, studiert, erforscht Schmetterlinge hier und anderswo seit mehr als 20 Jahren. Und er macht sich große Sorgen. „Das Artensterben ist ein Spiegel unserer Gesellschaft“, sagt Wölfling. „Schmetterlinge sind Leit-Arten im Ökosystem. Ihr Rückgang ist ein Indikator dafür, dass irgendwo etwas schiefläuft.“

    Kräutergärten fehlen, Brennesseln auch

    Beispiel Schwalbenschwanz. „Der war früher in Kräutergärten omnipräsent“, sagt Britta Uhl. Weil er gern an Fenchel oder Möhre sitzt, galt der kleine Falter gar als Gartenschädling. „Inzwischen sieht man selbst den Kohlweißling nur noch selten.“ Beispiel Trauermantel. „Es ist Jahre her, dass ich den letzten hier registriert habe“, sagt Mirko Wölfling.

    Der Trauermantel mag feuchtkühle Wälder, er sei ein „Klimaverlierer“, sagt der Wissenschaftler. Aber es ist nicht nur der Klimawandel, der den anmutigen Insekten, die die wundersame Metamorphose von der unscheinbaren Raupe zum zarten Flügelwesen durchmachen, zusetzt. Selbst das Tagpfauenauge, der populärste heimische Falter und eigentlich ziemlich genügsam, habe es schwer, meint Uhl. „Es ist glücklich, wenn es Brennnesseln hat. Aber wo werden heute noch Randstreifen stehengelassen?“

    Hauptproblem: Flächenfraß

    Privatdozent Robert Hock, Studienkoordinator für Biologie an der Uni Würzburg und Schmetterlingsspezialist, zählt viele Gründe auf für das Verschwinden der Schmetterlinge: Spritzmittel, intensive Bewirtschaftung, das Düngen der Wiesen. Stickstoff ist für Schmetterlinge Gift, weil er Gras kräftig wachsen lässt und durch die Überdüngung die Futterpflanzen der Raupen verdrängt werden. Das Feld wird früher und öfter gemäht – die Blühpflanzen schaffen es gar nicht bis zur Samenreife. Und Pestizide wurden früher erst bei akuter Gefahr gespritzt, heute wird das Saatgut von vornherein mit giftigen Stoffen präpariert.

    Der Hauptgrund für den Schwund vieler Arten aber, sagt Hock, ist der Flächenfraß, der massive Landverbrauch: „70 Prozent der offenen Landflächen sind verschwunden, Brachen und Wiesen fehlen, Grünland wird zu Ackerflächen oder gleich zu Bauland.“ Selbst der Wald ist zur Wirtschaftsfläche geworden. Zur sterilen Forstplantage – ohne Unterwuchs zwischen den Bäumen, ohne Lücken und offene Flächen, ohne Gras und Blumen für die Falter.

    „Wenn man früher im Sommer mit dem Auto unterwegs war, war die Windschutzscheibe doch nach jeder Fahrt verschmiert und verklebt“, sagt Hock. „Und heute? Fast sauber“, sagt Uhl. Wie Wölfling arbeitet und forscht die 27-jährige Biologin inzwischen an der Universität Wien. Beim Kurs in Würzburg erlebt sie, wie das Wissen um die Artenvielfalt schwindet. „Wenn man die Studenten heute nach den gängigsten Tagfaltern fragt, erkennen sie von 15 gerade noch zwei.“ An Schmetterlingsschwärme können sich nur noch Ältere erinnern. Und dass früher die Motten dutzendfach um eine Laterne tanzten, ist in Vergessenheit geraten. Und dass Schmetterlinge Schmetterlinge heißen, weil sie beim Butterschlagen angelockt wurden und gerne am Rahm und Schmand – im ostmitteldeutschen Schmetten genannt – naschten? „Bildung“, sagt Wölfling nur, „fängt zu Hause an.“

    Am trockenheißen Mittwoch macht sich der Schmetterlingskurs – mit Ausnahmeregelung der Regierung von Unterfranken – auf zur Exkursion in den Landkreis Main-Spessart, zu den Kalkmagerrasen im Naturschutzgebiet rund um die Homburg. Am Abend zählen die Wissenschaftler auf: ein Schwalbenschwanz, viele Kaisermäntel, Feurige Perlmutterfalter, Schachbrettfalter, Silbergrüne Bläulinge, Mauerfuchs und Landkärtchen . . . Sie kommen auf 28 beobachtete Arten. Ein guter Tag. Ein guter Standort. Noch.

    Wozu braucht es Schmetterlinge?

    „Die Frage ist: Wozu brauchen wir Diversität?“, sagt Mirko Wölfling. Und antwortet selbst mit einer grundlegenderen Frage: „Wie wollen wir leben? Letztlich geht es um unser Verhalten, unsere Lebensqualität, um die Frage der Prioritäten.“ Der Insektenspezialist aus Niederwerrn forscht seit vielen Jahren bei Ravenna im Nationalpark „Pineta san Vitale“. Luftverschmutzung, Pestizideinsatz auf den Obstplantagen und Agrarwüsten im Umfeld, Versalzung der Böden, Klimawandel – ein Drittel der Falterarten, die über museale Sammlungen bekannt und konserviert sind, kann der Forscher heute in den Eichen- und Kieferwäldern nicht mehr finden.

    Die Frage, was jeder Einzelne tun kann, können die Wissenschaftler leicht beantworten. Mit Gegenfragen: „Warum Thuja? Warum bunte Exoten im Garten?“, sagt Britta Uhl. „Da frisst nichts dran, da saugt nichts dran.“ Schmetterlinge freuen sich über einheimische Blütenpflanzen im Garten, über eingetopfte Kräuter auf dem Balkon. Über ein kleines Stück Wildnis in der Ecke. Über mehr Natur vor der Terrasse statt englischem Rasen oder japanischem Ziergras mit Beton. Das Große Ochsenauge mag die violetten Blüten von Kratzdisteln, Thymian und Sommerflieder. Die Schwalbenschwanz-Raupe knabbert gerne an Dill und Fenchel. Das Schachbrett saugt an Flockenblumen.

    „Ein bisschen Wildnis zulassen. Und bitte nicht zu oft mähen“, sagt Wölfling beim Beobachtungsspaziergang hinter dem Praktikumsbau. Er hat noch was vor an diesem Tag: eine Leuchtanlage aufstellen. Um mit den Studenten Nachtfalter zu untersuchen.

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