„Gesetzt ward ich in dieses Loch / wegen des Studenten Bernhard Koch. / Ich schlug ihn leicht nur übers Aug. / Er zeigt mich an beim Amtsgericht. / Doch nicht genug, denn darauf auch / lief er zu dem Senat, der – . / So kam es, dass der eine Hieb / mir teurer kam als es mir lieb.“
Mit diesen leicht holprigen Versen verewigte sich im Dezember anno 1883 der Medizinstudent H. Schmidt an einer Wand des ehemaligen Karzers im dritten Stock der Alten Universität. „Der eine Hieb“ hatte nämlich Schmidt nicht nur eine Geldbuße in Höhe von 15 Mark, sondern auch „der Tage acht“ Haft im Karzer eingebracht. Die Ausstellung „Von Siegel, Szepter und Talar zur Corporate Identity“, die derzeit im Martin-von-Wagner-Museum der Universität zu sehen ist, zeigt nun erstmals eine bisher unbekannte Ansicht des ehemaligen „Gefängnisses“ in der Alten Universität.
Was heute undenkbar ist, war bis Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts gängige Praxis: Die Hochschule besaß die Disziplinargewalt über die Uni-Angehörigen und konnte deswegen Studenten wegen kleinerer Vergehen wie Schlägereien oder nächtlicher Ruhestörung im Karzer für einige Tage oder auch eine Woche inhaftieren.
Der Würzburger Karzer ist zwar – anders als etwa in Heidelberg – längst verschwunden. Aber seine Inschriften sind in einer Dokumentation überliefert, die Albrecht Rabus, Kustos der akademischen Sammlungen, im August 1894 vor Ort aufgenommen hatte.
Und dank Rabus‘ Akribie kann auch die Ausstellung „Von Siegel, Szepter und Talar zur Corporate Identity“ in der Residenz mit der kleinen Sensation aufwarten: Den Besucher erwartet hier eine bisher unbekannte, am 7. August 1894 entstandene Innenansicht des Karzers.
Den Aufenthalt im mit Gedichten, Unterschriften und Karikaturen reich „geschmückten“ Karzer empfand Gelegenheitsreimer Schmidt nicht als Spaß. Vielmehr machte er seinem Ärger über das „unkollegiale“ Verhalten des „Wichts“ Luft: „Ein Wunsch beseelt dabei mal jeden, / dass er niemals mit solch ? / zusammen stößt, der zwar Student / sich nennt, doch keine Rücksicht kennt, / die sonst mal üblich bei Studenten.“ So der „fromme Wunsch“ am Ende des Gedichts.
Der weniger „fromme“ Student Hermann Kraushold verewigte an einer anderen Wand sogar seine „Karzervita“ der Jahre 1859 bis 1862: „19. November-14. Dezember 1862, logierte wegen Duell während dieser Zeit im Gasthaus zur academischen Freiheit. Ferner 11.-25. Juni 1859 in Jena wegen Durchprügeln eines Nachtwächters. 7.-10. Januar 1860 zu Halle wegen lieblichen Gesangs. 14.-16. Juni 1860 zu Jena wegen Fenster eingeworfen, verdächtig, überhaupt verdächtig. 2.-4. Februar 1861 zu Halle wegen lieblichen Nachtgesangs. 22.-27. März 1861 zu Leipzig wegen beabsichtigten Todtschlages. 15.-19. Februar 1862 zu Würzburg wegen Verbrechen der Widersetzung an dem Polizeisoldaten Hoe.“
Auch wenn sich der Komfort des mit zwei Betten, ein paar Stühlen, Wasch- und Schreibtisch und Kanonenofen ziemlich spartanisch ausgestatteten „Kerkers“ in Grenzen hielt – manche Studenten genossen, anders als Schmidt 1883, den Aufenthalt im „Gasthaus zur academischen Freiheit“.
An dessen Wand hatte sich zuvor, anno 1879, ein anderer „Häftling“ weit weniger wehleidig verewigt: „So sitze ich im Carcer hier / Und thue mir mächtig bene / bei gutem Wein und bairisch Bier / und denke: „Das ist scheene“. “ Während der Alkohol problemlos seinen Weg in den Karzer fand, mussten die gelegentlich namentlich verewigten, möglicherweise nur gewünschten Liebschaften der Studenten wie „Gretchen Pirzer“, „Leni Weller“ und eine nachnamenlose „Marie“ sicher draußen bleiben.
Der feuchtfröhliche Zeitvertreib erforderte ab und an nicht nur ein solides Bett, sondern auch eine Toilette. Und so konnte man im Vorraum „in der Nähe des Leibstuhles“ lesen: „Was hier gemacht, wird jeder wissen: Hier wird alltäglich ausge- , / was man des Tags vorher verzehrt. / Gottlob, dass es nicht umgekehrt , / dass wir nicht heute f.essen müssen / was wir des Tags vorher gesch. . . .“ Auch diese derben Verse gehören zur 600-jährigen Geschichte der in jüngster Zeit besonders traditionsbewussten Universität.
Die Schau „Von Siegel, Szepter und Talar zur Corporate Identity. Das Erscheinungsbild der Universität Würzburg vom Mittelalter bis heute“ ist bis zum 2. Februar in der Gemäldegalerie des Martin-von-Wagner-Museums in der Residenz zu sehen, der Eintritt ist frei. Geöffnet Di–Sa von 10 bis 13.30 Uhr, außerdem am Sonntag, 20. Januar.