Weihnachten ist eine Zeit der Traditionen, viele davon verstehst du nicht wirklich, sondern wiederholst sie einfach. Als ich klein war, wurde in der Ukraine Weihnachten nach einem anderen Kirchenkalender als in Deutschland gefeiert, am 7. Januar. Auf dem Tisch mussten immer 7 Gerichte stehen, und darauf wurde immer sehr genau geachtet.
Das zentrale Gericht war immer und ist Kutja – eine Art Dessertbrei. Man musste Buchweizen in Wasser einweichen und dann sehr lange kochen. Draußen wechselten die Jahreszeiten, aber der hartnäckige Weizen blieb fest. Dazu wurde immer Mohn hinzugefügt. Meine Großmutter hat ihn immer mit Zucker in einer riesigen Mohnmühle fast zu Pulver verarbeitet – oh, wie lecker das war! Manchmal gelangte mehr Mohn in unseren Mund als in die Kutja. Auch Nüsse, Rosinen und Honig waren obligatorisch. Es wurden auch Pirojki mit verschiedenen Füllungen gebacken.
Das Bild wurde durch den Geruch von Tannenbaum und Mandarinen ergänzt. In Deutschland kann man das ganze Jahr über Mandarinen in beliebiger Menge kaufen, in meiner Kindheit war es jedoch ein Wunderfrucht, die nur im Winter auftauchte. Manchmal waren sie so kalt, weil sie direkt auf der Straße verkauft wurden, dass sie, wenn man sie ins Haus brachte, zuerst auf der Heizung aufgewärmt werden mussten. Übrigens, in diesem Jahr wird die Ukraine zum ersten Mal seit 1918 Weihnachten am 25. Dezember mit ganz Europa feiern, das ist für uns sehr symbolisch.
Aber zurück zu den Traditionen: Es gab immer spezielle Filme im Fernsehen, die man nur zu den Weihnachtsfeiertagen sehen konnte. Zum Beispiel der wundervolle Film "Der Abend in der Nähe von Dikanka". In der Kindheit hast du es als ein wunderschönes Märchen betrachtet – schönes Märchen, wunderbare Kostüme… Aber du hast nie einen tiefen Sinn darin gesehen. Erst jetzt, als Erwachsener, verstehst du, wie schrecklich das ist.
Zum Beispiel gibt es eine Szene, in der ein Kosak nach Sankt Petersburg geht, um die gleichen Stiefelchen wie die Zarin zu bekommen, weil sein geliebtes Mädchen solche unbedingt wollte. Er gerät in eine Delegation von Kosaken, die zur Zarin gehen. Aus der Sicht eines Kindes eine interessante Geschichte, lustig. Aus der Sicht eines Erwachsenen – eine schreckliche Situation. Die Kosaken bitten die Zarin, sie nicht zu vernichten. Dazu muss man wissen: Im April 1775 entwickelte der kaiserliche Favorit Potemkin einen Plan zur Liquidation der Saporoger Sitsch (ein Gemeinwesen der Kosaken). Und nachdem man das einmal gesehen und verstanden hat, kann man diesen Film nicht mehr mit anderen, kindlichen Augen sehen.
Weihnachten ist die Zeit der Besinnung auf die wichtigen Dinge im Leben. Aber in der Ukraine ist es auch eine Zeit des Krieges, der Tod und Zerstörung bringt. Viele Kinder werden dort Weihnachten ohne Eltern verbringen, weil diese in den Schützengräben sitzen, in Kälte und Schlamm, ständigen Bombardierungen ausgesetzt sind – und uns in Europa ermöglichen, Weihnachten glücklich zu feiern. Wir alle müssen dafür unendlich dankbar sein.
Anastasia Schmid ist Vorsitzende des "Mrija"-Vereins zur Unterstützung der Ukraine.
In der Kolumne "Würzburger Adventskalender" schreiben Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.