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WÜRZBURG: Zeit zum Reden und Erinnern

WÜRZBURG

Zeit zum Reden und Erinnern

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    Mit der kuschligen Stoffmieze bringt Betreuungsassistentin Cornelia Dürr demenzkranke Senioren zum Erzählen.
    Mit der kuschligen Stoffmieze bringt Betreuungsassistentin Cornelia Dürr demenzkranke Senioren zum Erzählen. Foto: Foto: Pat Christ

    An ihre Katze kann sie sich noch bestens erinnern, sagt die Seniorin. Die war grau und weiß gescheckt. Mieze hieß sie: „Wenn Mutter nicht hinschaute, nahm ich sie mit ins Bett.“ Lange ist das her. Etwa 75 Jahre. Damals lebte die Bewohnerin des Würzburger Matthias-Claudius-Heims noch in Hinterpommern. Wie das Dorf hieß, weiß sie nicht mehr. „Inzwischen hat es einen polnischen Namen“, berichtet sie in der Erzählgruppe von Betreuungsassistentin Cornelia Dürr. „Haustiere“ lautet das Thema der Erzählrunde an diesem Freitagmorgen. Vor Cornelia Dürr liegen Bücher mit Fotos von Pferden und Hunden. Um sie herum sitzen sieben Frauen und zwei Männer. Die meisten im Rollstuhl. Alle leiden an einer Demenz. Bei den einen ist sie schwerer ausgeprägt. Bei anderen, wie der gebürtigen Pommerin, würde ein Außenstehender im ersten Moment gar nichts von Verwirrtheitszuständen merken.

    Cornelia Dürr begann vor acht Jahren als eine der ersten Betreuungsassistentinnen im Matthias-Claudius-Heim zu arbeiten. An vier Tagen in der Woche kümmert sie sich vor allem einzeln um demenziell veränderte Menschen. Dazwischen trommelt sie aber auch immer mal wieder spontan mehrere Bewohner zu einer Gruppenaktivität zusammen: „Das tue ich, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.“

    Besonders beliebt in Dürrs Erzählrunden sind Themen, die Erinnerungen an früher wecken. So entspinnen sich beim Thema „Haustiere“ sofort lebhafte Gespräche. Fast jeder am Tisch, stellt sich heraus, hat früher einmal eine Katze, einen Hund oder ein anderes Haustier besessen. „Wir hatten neben unserer uralten Katze eine Kuh, Hühner und Kaninchen“, berichtet die Dame aus Hinterpommern.

    Nicht alle Bewohner sind imstande, an der Gruppe teilzunehmen. Manche Schwerstpflegebedürftigen können ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Nach Ende der Erzählgruppe begibt sich Cornelia Dürr zu einer betagten Dame, die auf dem Rücken in ihrem Bett liegt. „Guten Morgen!“, grüßt sie herzlich. Die Seniorin hat die Augen geschlossen, sie dreht nicht einmal den Kopf. Nichts deutet darauf hin, dass sie Cornelia Dürr erkennt: „Ich glaube es eigentlich schon, weiß es aber nicht sicher.

    “ Vorsichtig nimmt Dürr die Finger der Bewohnerin und reibt sie mit Lotion ein. Noch immer sind die Augen der Frau geschlossen. Das ist an manchen Tagen anders: „Da schaut sie mich an.“ Cornelia Dürr ist eine von sechs Betreuungsassistentinnen, die sich um 76 demenziell veränderte Bewohner des Matthias-Claudius-Heims kümmern. Seit 2009 gibt es diese speziellen Kräfte für Pflegeheime. Das Berufsbild wurde damals geschaffen, um dem zusätzlichen Betreuungsaufwand von Bewohnern mit Demenz gerecht zu werden. In Fortbildungskursen erlernen Betreuungsassistenten in spe ihr Handwerkszeug. Der Basiskurs umfasst 100 Stunden. Nach einem Praktikum sind noch einmal 60 Stunden in einem Aufbaukurs zu absolvieren.

    Oft entscheiden sich Frauen, die einst beruflich überhaupt nichts mit Pflege zu tun hatten, Betreuungsassistentin zu werden. Cornelia Dürr zum Beispiel war Einzelhandelskauffrau. Sie stieg aus dem Beruf aus, um ihre drei Kinder großzuziehen. Nach der Erziehungszeit wollte sie nicht wieder zurück in den Einzelhandel: „Mein Beruf hatte mir zwar Spaß gemacht, doch ich war einfach zu lange draußen.

    “ Sie begann, sich gegen eine Aufwandsentschädigung um alte Menschen im Matthias-Claudius-Heim zu kümmern. Auf diese Weise erfuhr sie von der neuen Möglichkeit, sich zur Betreuungsassistentin ausbilden zu lassen. Während sich Cornelia Dürr auf Station 1 von unvergesslichen Erlebnissen mit Haustieren berichten lässt, kegelt ihre Kollegin Petra Gerhard mit Bewohnern der beschützenden Station. Es geht hoch her. Fallen alle neun Kegel um, applaudieren die Senioren begeistert. Elf Männer und Frauen sitzen im Kreis, auf einem rollbaren Schränkchen in der Mitte ist die Tischkegelbahn aufgebaut. Der Spaß steht in dieser Gruppe im Vordergrund. Petra Gerhard vergisst bei aller „Action“ nicht, das Gehirn der Senioren zu stimulieren. „Welche Farbe ist denn das?“, fragt sie zum Beispiel, als sie einem der Senioren einen grünen Ball reicht.

    Für die examinierten Pflegekräfte des Heims sind die Betreuungsassistentinnen eine große Bereicherung. Sie hätten nicht die Muße, sich, wie Cornelia Dürr, länger ans Bett einer kranken Seniorin zu stellen und ihr einfühlsam die Finger einzucremen. Oder, wie Petra Gerhard, eine habe Stunde lang zu kegeln. Christian Meyer-Spelbrink von der Heimleitung fände es schön, wenn er noch mehr Betreuungsassistentinnen einstellen dürfte. Derzeit wird eine Betreuungsassistentin für 20 Bewohner genehmigt. Ein besserer Schlüssel käme den Senioren seines Heims sehr zugute, meint er: „Denn Zuwendung kann man nie zu viel bekommen.“

    Bayerische Demenzstrategie: Forschung, Projekte und Konzepte Nach Schätzungen leben in Bayern derzeit mehr als 230 000 Menschen mit einer Demenz – bis zum Jahr 2032 werden es voraussichtlich rund 340 000 sein. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml will die Versorgung demenzkranker Menschen im Alltag verbessern. „Menschen mit Demenz verlieren nach und nach die Fähigkeit, mit ihren Mitmenschen zu kommunizieren. Das ist für Angehörige sehr schmerzlich und auch für Pflegekräfte schwierig. Deshalb ist es wichtig, Wege aus dieser Kommunikationsfalle zu finden.“ Dazu gehört auch das Forschungsprojekt „Inklusion durch Kommunikation“ (InKom) der Hochschule für angewandte Wissenschaften München, das vom bayerischen Gesundheitsministerium gefördert wird. Auf Grundlage des sogenannten „Farbdialogs“ können Angehörige und Pflegekräfte über das Malen und durch Bilder mit demenzkranken Menschen kommunizieren. Diese Form des Miteinanders erhöhe die Lebensqualität der Menschen mit Demenz und reduziert die psychische Belastung von Angehörigen und Fachkräften. Das Forschungsprojekt wurde im Rahmen der ressortübergreifenden Bayerischen Demenzstrategie vom bayerischen Gesundheitsministerium gefördert. Eines der zehn Handlungsfelder der im Jahr 2013 ins Leben gerufenen Bayerischen Demenzstrategie ist die Grundlagen- und Versorgungsforschung. Im Rahmen der Versorgungsforschung werden innovative Konzepte erprobt, mit deren Hilfe die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Demenz optimiert werden kann. Die Wanderausstellung „Was geht. Was bleibt. Leben mit Demenz“richtet sich vor allem an Menschen, die mit dem Thema Demenz noch nicht vertraut sind. Ziel ist es, den Besuchern über Alltagsgegenstände und Texte die Lebenswirklichkeit der an Demenz erkrankten Menschen nahezubringen. Die Ausstellung kann kostenfrei ausgeliehen werden. Ausstellungsorte sind beispielsweise Landratsämter, Krankenhäuser und Seniorenheime. Bis Ende 2018 ist die Ausstellung bereits ausgebucht, die Termine gibt es unter www.stmgp. bayern.de/ministerium/veranstaltungen/. Buchtipp: „Vatter baut ab – Eine Geschichte von Demenz und Liebe“ (Gütersloher Verlagshaus ISBN 978-3-579-07060-5). Autor Bernd Eichmann erzählt in diesem Buch anrührend und heiter von zwei Jahren Pflegealltag mit seinem an Alzheimer erkrankten Vater. Es geht um Pflege und Nähe, um Sorge und Verzicht, Vertrauen, Freundschaft und Liebe. Es ist eine Reise in eine zunehmend bizarre Welt, mit einem vorlauten Teddy, wehrhaften Wiesenkräutern, unsichtbaren Hummeln und Dämonen im Morgengrauen. Bernd Eichmann, gelernter Redakteur, arbeitet freiberuflich für Agenturen, Wochenpresse und Rundfunk. Über sein Buch sagt er: „Noch näher kann man dem Leben und der Liebe nicht kommen.“ Mel

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