Bad Kissingen
Samstag, 19. Juli 2008: Lisa Hofmann kniet im Startblock auf der blauen Laufbahn des Berliner Olympiastadions – und ist nicht nervös. Überraschend. Denn Hofmann über Hofmann hört sich so an: „Das ist echt schlimm. Vor den Rennen denke ich immer nur, 'lass es rum sein'. So aufgeregt bin ich.“ Heute ist sie nicht aufgeregt. Die 16-Jährige vom TSV Bad Kissingen weiß ihren Freund im Stadion. „Seit sie ihn hat, ist sie stabiler geworden“, sagt Reinhold Nürnberger, ihr Trainer und meint damit nicht unbedingt einen kräftiger gewordenen Körperbau. Lisa Hofmann ist gertenschlank, grazil gar. Und heute überhaupt nicht aufgeregt. Dann der Startschuss. 400 Meter, zehn Hürden und exakt 60,70 Sekunden später ist sie deutsche B-Jugend-Meisterin, dank unterbotener Quali-Norm Nationalkader-Mitglied und einfach nur überglücklich.
„Die Ausdauer ist mein Talent“
Lisa Hofmann, unterfränkische Leichtathletik-Hoffnung
Im Mai hätte sie nicht mal im Traum an solch ein Erfolg geglaubt. Eben erst vom Roller gefallen, hinderte sie eine saftige Hüftprellung am Training. „Ich konnte keinen einzigen Aufbauwettkampf absolvieren“, sagt Hofmann. Vielleicht sorgte auch genau das für die nötige Lockerheit im vielleicht wichtigsten Wettkampf ihrer noch jungen Laufbahn. Die hatte in der Klasse Schülerinnen W 12 begonnen – ein Jahr nach einem beim Fangen spielen gebrochenen Arm. Den ersten richtigen Wettkampf, dann in der W 13 über 800 Meter, gewann sie gleich. „Die Ausdauer ist mein Talent, das ist bis heute so. Nur für die Sprintkraft muss ich hart trainieren, dass die Oberschenkel dick werden.“
Titelsammlung
Nun, dick wäre übertrieben. Aber es steckt was drin. Denn es folgen Titel zuhauf auf Kreis-, Bezirks- und Landesmeisterschaften; im Sprint wie auf der Mittelstrecke. Mit dem ersten B-Jugend-Jahr 2007 – ein Jahr nach einem Bänderriss nach einer Trainings-Blödelei – kommen die 400 Meter Hürden ins Programm und damit die heutige Paradedisziplin. Zwar läuft Lisa Hofmann die flachen 400 Meter nahezu genauso erfolgreich, mag sie aber nicht recht leiden: „Da heißt es nur schnell und durchpowern. Sauanstrengend. Über die Hürden geht es dosierter, da hat man von Hürde zu Hürde kleine Zielchen vor sich, das ist mir viel, viel lieber“, entspricht sie nicht ganz den Trainer-Wünschen, der sein Talent gerne in beiden Wettbewerben über die Stadionrunde ganz vorn sehen würde in Zukunft.
Traumberuf Polizistin
Ja, die Zukunft. Sie soll für die Elftklässlerin der Schweinfurter Fachoberschule noch eine Weile sportlich gefärbt sein. Nach der zwölften Klasse will sie Polizistin werden. Mehr als bei einem anderen Arbeitgeber könnte Hofmann da ihren Sport ausüben. Immerhin liegt ihr Trainingspensum bei fünf Einheiten die Woche. Minimum. Alle drei Wochen kommen Bayernkader-Lehrgänge dazu, künftig noch viermal im Jahr solche der Nationalmannschaft. Für die sie im August beim Vergleichskampf Polen – Deutschland („Wahnsinn, die Startkommandos und alles auf polnisch, aufregend!“) bereits ihren ersten Einsatz hatte. Selbstverständlich fast schon im Superjahr 2008: Lisa Hofmann gewann.
Stolzer Papa
Keine Frage, dass Papa Reinhold Hofmann mächtig stolz ist auf seine Tochter. Hat sie doch sein Talent geerbt. „Papa war mal Zweiter der bayerischen Meisterschaft im Hindernislauf, da ist mir schon was in die Wiege gelegt worden“, sagt die Fast-17-Jährige (17.Dezember), über ihren Vater, der ihr auch die Leichtathletik schmackhaft gemacht und sie zum Bad Kissinger Turnsportverein gebracht hatte, dem sie auch künftig die Treue halten will („bei den großen Vereinen bekommt man zwar seine Ausrüstung bezahlt, aber trainieren kann ich hier genauso gut“). Davor turnte sie ein bisschen („wie alle Mädchen halt“) und war bei der Wasserwacht.
Fußball?
Ballsportarten etwa hatten es ihr noch nie sonderlich angetan. Selbst ihrem Freund Florian Erhard, Fußball-Torwart in der U 19 des FC 05 Schweinfurt, schaut sie weniger aus Interesse denn Liebe zu. „Warum soll ich zwei Stunden opfern und da rum stehen?“, fragt Lisa Hofmann – und hat eine prima Lösung gefunden: Sie geht bei Heimspielen manchmal mit, aber mit Sportsachen, trainiert nebenan im Stadion und guckt dann noch ein Viertelstündchen Fußball. Viel lieber freilich wirft sie beim ausgiebigen Stadtbummel Blicke in die Schaufenster, chattet gerne im Internet oder klampft auf ihrer Gitarre herum. „Chillen eben!“
Allzu viel wird es nach absolvierter Hallensaison („nette Abwechslung ohne große Ziele“) 2009 mit dem „Chillen“ aber kaum werden. Der Coach spricht von internationalen Meisterschaften, Lisa Hofmann zumindest zögerlich von einer eventuellen Europameisterschafts-Teilnahme. „Aber ob das schon nächstes Jahr klappt? Ich bin da im ersten A-Jugend-Jahr und der 90er-Jahrgang ist in Deutschland saustark. Es könnte eher eine Übergangs-Saison werden.“
Erst mal zur EM
2010 will sie aber bei einer EM im Startblock kauern, aufgeregt sein und „einfach nur schnell laufen“. Ach ja, und da gäbe es ja auch noch die Olympischen Spiele 2012, 2016 oder gar 2020. „Da bin ich doch schon beim Zuschauen aufgeregt. Wenn ich da mal dabei wäre und im Fernsehen, abgefahren!“ Lisa Hofmann ist herrlich frisch und unbekümmert – jetzt bloß nichts mehr brechen und für dickere Oberschenkel sorgen, dann klappt's auch mit Olympia. Wetten, dass . . .