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FUSSBALL: Der unvermittelte Aufbruch des Ali A.

FUSSBALL

Der unvermittelte Aufbruch des Ali A.

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    Auf diesem undatierten Foto war die Welt des Ali Akbani noch in Ordnung. Unbeschwert posiert er in einer Kitzinger Grünanlage.
    Auf diesem undatierten Foto war die Welt des Ali Akbani noch in Ordnung. Unbeschwert posiert er in einer Kitzinger Grünanlage. Foto: Foto: Tobias Böhm

    Im Schatten der Nordbrücke, nur einen guten Torwartabschlag von Sportheim und Hauptspielfeld Bayern Kitzingens entfernt, liegt das Trainingsgelände des Vereins. Hier steht sie, die einsame Zypresse. Keine Attraktion wie die berühmte Lone Cypress, die mitten aus einem kargen Felsen an der Küste Kaliforniens ragt, dafür – wenn man sie denn findet – ein Symbol, gepflanzt diesen Sommer von drei Kitzinger Jungs. Sie woanders zu setzen, davon hat man ihnen abgeraten.

    In Deutschland kann man nicht überall einen Baum pflanzen. Also setzten sie ihn aufs Klubgelände – und nahmen in Kauf, dass er dort, zwischen all den heimischen Gräsern und Büschen, wie ein Fremdkörper wirkt. Die Hitze hat dem Bäumchen zugesetzt, arg mitgenommen schaut er aus – und doch soll er Erinnerung und Fanal sein: für die Verpflanzung eines jungen Mannes an einen Standort, der ihm fremd und feindlich ist, für eine Politik, die Fragen aufwirft und aus Sicht der drei Kitzinger Freunde die falschen Schlüsse zieht.

    69 Flüchtlinge mit trauriger Berühmtheit

    Dieser Baum, notdürftig gestützt von zwei Holzpfählen und einem Hanfseil, erinnert an einen ihrer ehemaligen Mitspieler. Ali Akbari ist nicht gestorben, aber ob sie ihn noch mal wiedersehen werden, ist ungewiss. Am 3. Juli wurde Ali Akbari in ein Flugzeug gesetzt und nach Afghanistan abgeschoben – als einer jener 69 Flüchtlinge, die es zu zweifelhafter Berühmtheit brachten, außer Landes gebracht  am 69. Geburtstag des Innenministers Horst Seehofer .

    Alles, was Christopher Lutsch, Jan Günther und Timo Drenkard, die drei Freunde, von Ali Akbari behielten, war die Erinnerung an einen Menschen, der anders war als das, was sie täglich in den Nachrichten und von Politikern über Flüchtlinge zu hören bekommen. Der fröhlich und nachdenklich zugleich war. Der über sein Leben sinnierte und das, was einmal werden solle aus ihm. So erzählen es zwei der drei, mit denen wir gesprochen haben.

    Ein Glücksbringer für den guten Freund

    Alles, was Ali Akbari von ihnen mit auf die Reise ins Ungewisse nahm, waren ein schwarzes Trikot, beflockt mit dem weißen Schriftzug Bayern Kitzingen, und ein Talisman, den Tobias Böhm ihm beim letzten Wiedersehen auf der Polizeiwache zusteckte – als „Glücksbringer“, wie er sagt.

    Für eine Abschiedsparty war keine Zeit geblieben. „Ich wurde an diesem Tag um die Mittagszeit von einem Freund angerufen“, erzählt Christopher Lutsch. „Er sagte: Sie haben heute Morgen um 6 Uhr Ali geholt und ins Polizeirevier gebracht. Er wird abgeschoben.“ Lutsch machte sich sofort auf den Weg in die Kitzinger Inspektion. Gut eine halbe Stunde konnte er mit Ali Akbari sprechen, Böhm etwa eine Stunde. Dass sie ihren Kumpel überhaupt noch einmal sehen und sprechen konnten, war wohl einem glücklichen Umstand geschuldet: Einer ihrer Freunde ist Polizist.

    Einer von etwa 10 000 geduldeten Afghanen

    Die Geschichte des Ali Akbari, sie ist kein Einzelfall in Deutschland. Der 23-Jährige gehörte hierzulande zu einer Gruppe von etwa 10 000 geduldeten Afghanen. Geduldet, das hieß bis vor Kurzem in der Regel: Sie werden nicht abgeschoben.

    Zu gefährlich schien dem Auswärtigen Amt die Lage in Afghanistan, wo bei einem Selbstmordanschlag im Mai 2017 auch weite Teile der deutschen Botschaft zerstört wurden. Die Bürokratie war lahmgelegt, auch das ein Grund für das Moratorium. Nur Straftäter, Gefährder und Menschen, die sich weigerten, ihre Identität preiszugeben, wurden in dieser Zeit noch abgeschoben. Ali Akbari gehörte zu keiner der drei Gruppen.

    Auswärtiges Amt gewinnt neue Erkenntnis

    Ende Mai gewann das Auswärtige Amt offenbar eine neue Einschätzung der Sicherheitslage. In einem als „Verschlusssache“ gekennzeichneten Dokument, aus dem mehrere Medien zitierten, kommen die Verfasser zur Erkenntnis, dass Afghanistan „im Bereich der Menschenrechte Fortschritte gemacht“ habe und dass sich auch die medizinische Versorgung konstant bessere. Auch die Botschaft hat ihre Arbeit nach und nach wieder aufgenommen. Seehofers Ministerium fühlt sich an den Abschiebestopp nicht mehr gebunden, obwohl auch aus Reihen der Innenministerkonferenz Bedenken kommen: Das Risiko sei weiterhin hoch.

    Nicht nur Ali Akbari trifft die verschärfte Linie der Bundesregierung – mit ihm warten an jenem Abend 68 weitere Männer in einem verglasten Raum des Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafens auf ihre Abschiebung aus Deutschland. Ankunft am nächsten Morgen in Kabul.

    Für viele ist es ein Flug ins Ungewisse, für Ali Akbari, der zuletzt in der Kitzinger Asylunterkunft im Innopark lebte, zudem ein Flug in ein unbekanntes Land.

    Nicht nur beim Deutschlernen schnell von Begriff

    Seinen Freunden hat er erzählt, er sei zwar in Afghanistan geboren, aber seine Familie lebe seit Langem im Iran. Oft habe er von diesem Moment des Kontrollverlusts gesprochen, der Angst, abgeschoben und in diesem Fall heimatlos zu werden. Immer versuchten sie, ihm die Angst zu nehmen, und es sah durchaus gut aus in den Wochen zuvor. Ali Akbari stand kurz vor seinem Abschluss auf der Sprachschule, anderthalb Monate wären es noch gewesen, erzählt Christopher Lutsch. Anfangs habe man sich auf „Brechdeutsch“ verständigt, aber Ali habe relativ schnell Deutsch gelernt, er habe rasch begriffen, worum es geht – nicht nur, was die Sprache angeht.

    Sogar einen Ausbildungsplatz hatte Ali Akbari in Aussicht – im Bauunternehmen von Hans Schardt. Der Vorsitzende Bayern Kitzingens glaubte an den jungen Afghanen, wollte ihm eine Chance geben. In der zweiten Fußballmannschaft der Kitzinger in der A-Klasse spielte Akbari als rechter oder linker Verteidiger, kein Stammspieler, aber immer da, wenn er gebraucht wurde. Nicht bloß in der Mannschaft, auch im Verein, wie seine Freunde bekräftigen.

    Konfrontiert man sie mit der Gretchenfrage dieser Tage, jener, ob Ali integriert gewesen sei, wundern sie sich zunächst über die Frage – weil das keine Frage ist für sie. „Na klar war er integriert.“

    Der bayerische Staat statuiert ein Exempel

    Und noch mehr wundern sie sich, dass einer wie Ali, der die Sprache dieses Landes spricht, der sich lernwillig zeigt, der einen Job in Aussicht hat und sein eigenes Geld verdienen will – der alle Kriterien erfüllt, die diese Gesellschaft von Menschen wie ihm erwartet –, dass ausgerechnet er zu den Ersten gehört, an denen der bayerische Staat seine Entschlossenheit exekutiert. Sie verstehen nicht, dass aus der Vielzahl der geduldeten afghanischen Asylsuchenden im Land offenbar willkürlich einer herausgepickt werde, an dem die Behörden nun ein Exempel statuierten.

    Der Innen- und Heimatminister Seehofer nennt auf einer Pressekonferenz die Zahl von 69 Männern, die an diesem Tag abgeschoben werden sollen – und bringt sie mit seiner eigenen Biografie in Verbindung: 69 Abgeschobene an seinem 69. Geburtstag. Das provoziert Schlagzeilen.

    „Warum Ali?“

    Diese Frage wird die Freunde verfolgen, auch deshalb, weil die Antworten, die sie erhalten haben, für sie wenig plausibel klingen. Sie sind nicht naiv, sie wissen selbst, dass Deutschland überfordert wäre, wollte es alle Geflüchteten aufnehmen und hier integrieren – aber sie wünschen sich eine stärkere Differenzierung, die nicht stur nach Aktenlage entscheidet.

    Mehr auf die Menschen blicken

    „Es ist nicht so einfach mit der deutschen Politik“, sagt Christopher Lutsch. „Ich würde mir wünschen, dass die Behörden mehr auf die Menschen schauen, dass sie erkennen: Es gibt viele Asylbewerber mit guten Absichten.“ Und Tobias Böhm sagt: „Es muss abgewogen werden bei Leuten, die sich integrieren wollen.“

    Bei Ali Akbari tritt noch hinzu, dass er in ein Land geschickt wird, das bei weitem nicht so sicher ist, wie die deutschen Behörden behaupten, ein Land, das nach wie vor von Fehden und Feindschaften, von Kriegen und Kämpfen zerrissen ist und wohl nie ganz zur Ruhe kommen wird. Mehrere Weltmächte sind mit dem Versuch gescheitert, es zu befrieden, wenigstens zu stabilisieren. Ali Akbari wurde in ein Land verfrachtet, in dem der Staat oder das, was von ihm übrig ist, für die Sicherheit seiner Bürger nicht garantieren kann.

    Um 6 Uhr in der Früh kommt die Polizei

    Am Morgen des 3. Juli gegen 6 Uhr hatten Polizisten Ali Akbari aus seinem Zimmer der Flüchtlingsunterkunft im Kitzinger Innopark geholt und auf die Inspektion gebracht. Dort sitzt er Stunden später, als Tobias Böhm und Christopher Lutsch ihn ein letztes Mal besuchen kommen.

    Im Kopf laufen Bilder ab von gemeinsamen Partys und Streifzügen durch die Stadt, von lustigen, aber auch ernsthaften Momenten. „Ali ist um 1 Uhr nachts spazieren gegangen und hat nachgedacht über sein Leben“, erzählt Christopher Lutsch. „Er war einer der besten Menschen, die ich kennengelernt habe.“

    Der Moment in der Polizeiwache ist für die beiden bizarr und unwirklich, gequälter Smalltalk – was sollen sie schon sagen in einem vergitterten Raum unter Neon-Licht mit mehreren Beamten in der Nähe. Sie sind geschockt, wütend, traurig. Und Ali? „Er hat sich nichts anmerken lassen“, sagt Tobias Böhm, „aber er war fertig.“ Dann müssen sie gehen. Christopher Lutsch sagt: „Man hat gehofft, dass es gut würde, aber man wusste, es wird nicht gut.“

    Noch einmal Kontakt mit Ali in Kabul

    Sie wissen nicht, was ihren Freund in den nächsten Stunden und Tagen erwarten wird, aber sie sind froh, dass sie noch mal Kontakt mit ihm bekommen. Ali Akbari meldet sich nach seiner Ankunft in Kabul über das soziale Netzwerk WhatsApp. Es sind verstörende Botschaften.

    Akbari hat zunächst Unterschlupf gefunden bei der Familie eines Landsmanns, den er offenbar kurz vor oder während seiner Reise kennenlernte. Aber in der Provinz Daikondi, wo er sich versteckt hält, ist Krieg. Die Freunde in Deutschland haben Geld für ihn gesammelt, etwa 1000 Euro sind zusammengekommen, transferiert per Western Union. Wegen der Unruhen im Land und speziell in der Region kann er es erst Wochen später abholen.

    Was hat Ali jetzt vor? Wo will er hin? Diese Fragen treiben seine Freunde um. Das Letzte, was sie wissen: dass er offenbar versuche, zu seiner Familie in den Iran zu kommen. Wie er das schaffen wolle? Sie schweigen. Sie wollen es sich lieber nicht vorstellen. Aber sie denken an ihn.

    Ein Baum hat etwas Bleibendes

    In einer Kitzinger Gärtnerei kaufen sie einen Baum, den sie für ihn pflanzen wollen. Ein Baum hat etwas Bleibendes, sie setzen ihn neben den Trainingsplatz, mit „Halbwissen“ des Vereins, wie sie sagen. Ihr Freund Ali weiß nichts von der Aktion.

    Ob sie ihn je wiedersehen werden? Die Freunde sagen: „Das weiß nur Gott.“

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