Wer denkt, das Ganze habe etwas von einer mehrmonatigen Radtour, bei der sich die USA gemütlich erkunden ließe, der irrt gewaltig. Die Veranstaltung gilt in Radsportkreisen als das ultimative Rennen im Ausdauerbereich an dem sich jedes Jahr nur rund 25 Extremsportler beteiligen. Nicht nur die große Distanz und der Aufwand sind Hindernisse für einen Start.
Es gibt zunächst eine Norm, die es zu erfüllen gilt, um für den Bewerb zugelassen zu werden. Zwei Rennen zur Qualifikation sind in Europa ausgeschrieben, bei einem Radmarathon in der Schweiz will sich Bernd Paul das Startticket sichern. 720 Kilometer nonstop muss der 39 Jahre alte Projektmanager dort fahren, und er darf dabei höchstens 15 Prozent langsamer sein als der Sieger. „Der Schnellste brauchte voriges Jahr 24 Stunden, das wäre ungefähr eine Zeit von 27,5 Stunden. Das ist zu schaffen“, sagt Paul. Bleibt er in der Zeit, dann wäre er im kleinen Kreis der Amerika-Fahrer.
In Oceanside in Kalifornien startet in diesem Jahr das Rennen, das bis nach Annapolis im Staat Maryland führt. Der Weg ist nie identisch mit dem des Vorjahres, doch die Rocky Mountains oder der vermeintlich schwierigste Teil, die Wüste Arizonas, sind immer zu absolvieren. Etwa 30 000 Höhenmeter sieht die Strecke vor. Rund fünfzig Kontrollstellen gilt es auf dem Weg durch die einzelnen Staaten zu passieren. Das wird 2010 kaum anders sein. Die Schnellsten brauchen für die Strecke etwa neun Tage, maximal zwölf Tage und fünf Stunden kann sich Bernd Paul Zeit lassen, um noch in die Wertung zu gelangen. Um das zu schaffen, darf er etwa zwei Stunden pro Nacht schlafen. „Wer zu viel schläft, der kommt zu spät an. Die Strategie ist, sich nicht zu viel auszuruhen.“ Ein Schnitt von knapp über zwanzig Kilometer pro Stunde wäre für die Tour nötig
Wie kommt ein Amateurradsportler, der im täglichen Leben im Büro arbeitet und derzeit zusätzlich ein Management-Studium in Würzburg absolviert, auf solch eine verwegene Idee? „Man steigert sich so langsam. Ich bin ein Mensch, der einen gewissen Ehrgeiz hat. Wenn ich etwas mache, dann ganz oder gar nicht“, sagt Paul über sein Radsport-Faible. Als Sonderling sieht sich der Extremsportler keinesfalls. Für Normalsterbliche gelte er „vielleicht als verrückt, als Egoist. Das bin ich eigentlich nicht. Ich suche nach neuen Herausforderungen, das ist das ultimative Ziel.“
Schon als Kind trieb er Sport. Erst mit etwa zwanzig Jahren stieg Bernd Paul richtig auf das Fahrrad um, zunächst aufs Mountainbike. Danach kamen der Triathlon, das reizte ihn, später das Rennrad und die Straße. Sein Hunger nach Extremen wurde vor zehn Jahren geweckt, als er bei einem Nonstop-Rennen von Flensburg bis nach Garmisch-Partenkirchen in die Pedale trat. Es folgten mit der Zeit Ultra-Rennen, wie der Klassiker Paris-Brest-Paris über 1240 Kilometer, den er 2007 mit 52 Stunden Fahrtzeit als zweitbester Deutscher abschloss.
Als „normales“ Tagespensum gelten für Paul etwa siebzig Kilometer. An Wochenendtagen sitzt er bis zu 200 Kilometer im Sattel, aber nicht, um die Kilometer zu zählen. „Das ist für mich eine Art Entspannung, es hilft mir, Stress abzubauen.“ Selbst bei Minusgraden steigt er im Winter aufs Rad. Montags gönnt er sich einen radfahrfreien Tag, donnerstags geht er ins Fitness-Studio zum Ausgleich.
Zur Vorbereitung will Bernd Paul bei einem Rennen rund um Irland im September mitmachen. Danach werde wohl die ernsthafte Vorbereitung auf Amerika starten, schätzt er. Dazu werden auch einige Einheiten auf der Rolle in der Sauna gehören, um sich auf Wüstenbedingungen einzustellen. Das Extreme will er bereits im Training simulieren. Dazu hat er sich ein Buch besorgt, in dem andere Teilnehmer über das Rennen schreiben.
Künstliche Hilfen, um seine Leistung zu steigern, lehnt Bernd Paul strikt ab. Zum Thema Doping hat er eine klare Meinung: „Für mich ist das verwerflich. Ich will mich doch nicht selbst betrügen“, so Paul. Seine Gesundheit würde er dafür nicht aufs Spiel setzen. Grenzerfahrungen, was den Körper betrifft, machte er etwa vor Monaten bei einem Rennen in den Alpen, am Stilfser Joch. Die rasenden Bergabfahrten auf dem Rad mag er besonders. Doch er hatte damals zu wenig gegessen und getrunken, nichts ging mehr. Bei langen Rennen könne das schon mal vorkommen, „man darf nur nicht aufgeben“. Das tat er auch nach etlichen Knieoperationen nicht. Wegen seines lädierten Knies bleibe ihm nicht mehr viel Zeit für das Extreme, meint Paul.
Nicht sportlich bedeutet das Projekt eine riesige Herausforderung für den Wiesenbronner, der am Fuß des Schwanbergs neu gebaut hat. Um quer durch Amerika zu fahren, bedarf es einer Begleitgruppe von etwa acht Leuten, die ihn dort unterstützen. Deren Flug und Aufenthalt muss und will Paul finanzieren, was für ihn nicht einfach wird. Die Suche nach Sponsoren wird ihn in nächster Zeit ernsthaft beschäftigen. Doch wer Bernd Pauls Ehrgeiz kennen gelernt hat, der kann sich vorstellen, dass er auch diese Hürde nehmen wird.