Als eines Tages bei Familie Dietl das Telefon klingelte, war die Verblüffung enorm. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Männerstimme. Der Herr stellte sich als Mitarbeiter der SpVgg Greuther Fürth vor. Es ginge um Jakob, den zwölfjährigen Sohn. Der Verein habe ihn beobachtet, und ob er nicht zum Probetraining kommen könne, klang es aus dem Hörer. Die Möglichkeit war verlockend. „Warum nicht?“, sagte sich Christopher Dietl, ehe er mit seinem Sprössling von Aub, dem Wohnort der Familie, ins hundert Kilometer entfernte Fürth fuhr. Dem ersten Probetraining folgte ein zweites und ein drittes und anschließend der erste Einsatz im Fürther Trikot infolge einer Gastspielgenehmigung. Im Laufe der Zeit wurde Fürths Interesse immer konkreter. „Eigentlich dachten wir, dass Fürth uns die Entscheidung abnimmt“, sagt Christopher Dietl: „Indem uns mitgeteilt wird, dass Jakobs Leistung nicht ausreicht, um genommen zu werden.“ Doch es kam anders.
Jakob überzeugte so sehr, dass ihm angeboten wurde, in die Nachwuchsabteilung des Bundesligisten zu wechseln. „Im ersten Moment war die Freude groß“, erzählt Christopher Dietl, „doch dann sind meine Frau und ich nachdenklich geworden.“ Die Gedanken kreisten immer wieder um eine Frage: Wie würde Jakob in Zukunft Fußball und Schule miteinander vereinbaren können? Bislang hatte er als Innenverteidiger für den Würzburger FV gespielt, zweimal die Woche trainiert und am Wochenende Punktspiele absolviert. In Fürth wäre der Aufwand für den Sechstklässler des Würzburger Deutschhausgymnasiums allein wegen der drei Trainingseinheiten umso größer. Durch Hin- und Rückfahrt blieben jedes Mal zweieinhalb Stunden auf der Strecke.
„Gute Noten sind uns genauso wichtig wie die sportlichen Leistungen.“
Enzo Vitale Junioren-Trainer bei Greuther Fürth
Die Dietls wägten lange ab, suchten Rat und befragten Freunde. In der Zwischenzeit hatten ihnen auch die Verantwortlichen der SpVgg Greuther Fürth ein gutes Gefühl vermittelt. „Wir sind nie überrumpelt worden“, sagt Christopher Dietl: „Uns wurden auch sämtliche Nachteile des Jugend-Leistungssports aufgezeigt, nämlich dass die Spieler stark auf den Fußball fixiert sind.“ Enzo Vitale, der die Fürther U13-Junioren trainiert, für die Sichtung von Talenten verantwortlich ist und sich einst telefonisch gemeldet hatte, war dafür sogar nach Aub gekommen und hatte sich drei Stunden Zeit für das Gespräch mit den Eltern genommen. Am Ende der Bedenkzeit – von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Vertragsunterzeichnung war ein halbes Jahr verstrichen – hatte Christopher Dietl die Zweifel verworfen. „Uns hat die Professionalität der Fürther überzeugt“, sagt der 41-Jährige. Seit Juli ist Jakob Dietl Spieler im Nachwuchsleistungszentrum des neuen Bundesligisten. Die Generation Nachwuchsleistungszentrum gibt es in Deutschland gerade einmal ein gutes Jahrzehnt. Nach dem schwachen Abschneiden der Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1998 und der Europameisterschaft zwei Jahre später verpflichtete der Deutsche Fußball-Bund jeden Klub der ersten und zweiten Bundesliga, ein Nachwuchsleistungszentrum mit Internatsplätzen einzurichten.
Im Sportzentrum „Kleeblatt“ im Fürther Stadtteil Ronhof werden derzeit in 16 Mannschaften rund 260 Spieler und Spielerinnen im Alter von 6 bis 23 Jahren ausgebildet, darunter auch einige Jugendliche aus Mainfranken wie Jakob Dietl. Zum Konzept der Fürther gehört es, Fußball und Schule in Einklang zu bringen. „Gute Noten sind uns mindestens genauso wichtig wie die Leistungen auf dem Rasen“, sagt Enzo Vitale. Deshalb lässt sich der Verein von jedem seiner Spieler vertraglich zusichern, die Zeugnisse einzusammeln und bei Lehren den aktuellen Leistungsstand abzufragen. Vor Schulaufgaben werden die Nachwuchskicker mitunter auch vom Training befreit, um genügend Zeit zum Lernen zu haben. „Nicht jeder kann später Profi werden und als Fußballer sein Geld verdienen“, gibt Vitale zu bedenken: „Wir haben insofern eine soziale Verantwortung für unsere jungen Spieler und ihr späteres Leben.“ Doch die Chance, in Fürth Profi zu werden, ist besser als anderswo. Das belegen Eigengewächse wie Nicolai Müller (inzwischen FSV Mainz 05), Stephan Schröck (TSG Hoffenheim) oder Edgar Prib – was Fürth zum Image des familiären Ausbildungsvereins verholfen hat. Der gute Ruf hilft bei der Suche nach Talenten. „Den idealen Zeitpunkt, zu uns zu wechseln, gibt es nicht“, sagt Enzo Vitale (36), der mittlerweile in der achten Saison hauptamtlich für die Fürther arbeitet: „Der Spieler und seine Eltern müssen zu diesem Schritt bereit sein.“ Jakob Dietl hat sich für die neue Herausforderung entscheiden. Künftig wird er seine Zeit straff organisieren müssen. „Ich weiß, was auf mich zukommt“, sagt der Zwölfjährige. Zwei, die ihre Erfahrungen im Fürther Leistungszentrum bereits gemacht haben, sind Oliver Scheufens und Patrick Hock. Auch sie hatten den Traum, bei der SpVgg den Sprung in den Profifußball zu schaffen.
Irgendwann aber kam der Zeitpunkt, an dem es für beide nicht mehr weiterging. Hock verließ Fürth nach drei Spielzeiten am Ende B-Jugend. „Mir wurde der Aufwand zu groß“, sagt der zwanzig Jahre alte Dettelbacher. Nach der Realschule entschied er sich für eine Ausbildung zum technischen Zeichner – und vorerst gegen den Profifußball. Seinen Wohnort nach Fürth zu verlegen, kam für ihn damals nicht in Frage. „Ich wollte nicht mein gewohntes Umfeld verlassen“, erklärt der Angreifer, der heute für den TSV Abtswind in der Landesliga aufläuft, den Rückschritt anfangs bereute und dennoch nur positive Erinnerungen an seine Zeit in Fürth hat. „Wenn man nicht mehr gebraucht wird, dann ist man schnell wieder weg“, hat der Kitzinger Oliver Scheufens im Laufe seiner dreieinhalb Jahre bei Greuther Fürth festgestellt. Nach der U19 erhielt der Torhüter keinen Vertrag mehr – was ihm für über ein Jahr die Lust am Fußball raubte. „Freunde, Freundin und Familie sind zuvor auf der Strecke geblieben“, sagt der 21-Jährige, der sich inzwischen dem Regionalligisten Eintracht Bamberg angeschlossen hat und genauso wie Patrick Hock noch auf eine Chance im bezahlten Fußball hofft. „Die Tür ist noch nicht zu“, glaubt Hock.
Jakob Dietl steht eine spannende Zeit bevor.
Greuther Fürth in Aktion
Am Sonntag, 15. Juli, absolviert die U13-Mannschaft der SpVgg Greuther Fürth ein Vorbereitungsturnier auf dem Sportgelände der SpVgg Gülchsheim. Gegner sind die Nachwuchsteams der SG Gülchsheim/Aub/Gollhofen und der JFG Maintal. Spielbeginn ist um 14 Uhr. Um 17.30 trifft an selber Stelle die Herrenmannschaft der SpVgg Gülchsheim in einem Testspiel auf den TSV Aub.