Es ist keineswegs der Aufbruch in neue Dimensionen, alles schon mal da gewesen in der Geschichte des 99 Jahre alten Traditionsklubs Bayern Kitzingen. Zum sechsten Mal seit 1947 ist der Verein nun in die Landesliga eingezogen, zum dritten Mal innerhalb der vergangenen acht Jahre, und doch ist es jedes Mal ein erhebendes Gefühl, die Grenzen Unterfrankens zu überwinden und in nordbayerisches Terrain vorzustoßen. Der Eindruck mag täuschen, aber mit solcher Begeisterung und Faszination für die eigenen Möglichkeiten einerseits und derlei Sinn für das Machbare andererseits hat sich selten ein Team in das Projekt Landesliga gestürzt. Der ohnehin nicht zu ausuferndem Jubel neigende Kitzinger Trainer Thomas Latteier hat das Spannungsverhältnis zwischen wunderbaren Aussichten und vernünftigen Ansichten so aufgelöst: „Wir müssen vom ersten Tag an jedes Spiel als ein Endspiel begreifen.“
34 „Endspiele“, beginnend mit der Partie an diesem Freitag gegen den FC Sand, stehen dem Aufsteiger also bevor, um ein Ziel zu erreichen, das dritter Vorsitzender Gerhard Sauer bewusst überhöht dargestellt hat: „Der Klassenverbleib wäre für uns wie die Meisterschaft“, sagt er, um gleich mit überzogenen Erwartungen aufzuräumen, die mancher an den Jahrgang 2009/2010 der Bayern stellen könnte. Anders als 2002 und 2004 sind die Kitzinger diesmal ohne den lästigen Umweg der Relegation nach oben gelangt: als Meister ihres Fachs und doch wie einige von sich selbst verblüffte Gesellen anmutend. Nach 31 von 32 Umläufen der Bezirksoberliga hatten sie sich erstmals an die Spitze des Feldes gesetzt, und den einmal eroberten Vorsprung gaben sie nicht mehr her. Die Meistergala im Ganzen war nach eher mittelmäßigem Saisonstart aus dem Ehrgeiz einer Mannschaft gewachsen, die sich von Spiel zu Spiel an sich selbst berauschte und auch von einer zunächst mediokren Auswärtsbilanz nicht ernüchtern ließ. Seine zunehmende Stärke und sein Selbstbewusstsein zog dieses Team aus einer beeindruckenden Heimserie, an die es in der Landesliga nun nahtlos anknüpfen will.
Dämpfer zur rechten Zeit
Latteier prophezeit seinen Emporkömmlingen ein „Abenteuer“. Obwohl auch er Neuland als Trainer betreten wird, glaubt er sehr wohl zu wissen, welche Tücken im Gelände lauern. „Es wird besser und intensiver Fußball gespielt. Die Mannschaften sind fitter. Wir müssen schauen, dass es uns schnell gelingt, körperlich dagegenzuhalten“, sagt der 42-Jährige vor seiner vierten Saison am Bayernplatz. Latteier ging dieser Prozess in der vierwöchigen Vorbereitung seit Ende Juni fast ein wenig zu schnell. Dem in die Bayernliga aufgestiegenen Würzburger FV bot sein Ensemble bei ersten Probeauftritten entschlossen die Stirn. Die Blendwirkung dieses 1:1 und dreier weiterer Erfolge gegen klassenniedrigere Kontrahenten verblasste mit dem 1:3 vergangenen Samstag in Abtswind etwas. „Vielleicht ein Dämpfer zur rechten Zeit“, wie Latteier die einzige Niederlage in der Vorbereitung milde kommentiert.
Auf Rückschläge anderer Art hätte der Coach gerne verzichtet. Schon wieder steht ihm Stefan Güntner für eine Zeit lang nicht zur Verfügung. Der 28 Jahre alte Defensivstratege mit der Aura des Pechvogels hat sich den Meniskus eingerissen, innen wie außen. Nach seinem Armbruch vor einem Jahr und einer mehrmonatigen Auszeit die nächste persönliche Enttäuschung und erneut mindestens sechs Wochen Pause. Als Zuschauer wird bis auf Weiteres auch Stefan Schöderlein unterwegs sein. Den flinken Mittelfelddribbler und einstigen Kapitän plagen noch im- mer Beschwerden an der Achillessehne; Einsatz auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen. Auch für Torwart Stefan Röser standen die Zeichen nach einem Bänderriss im Knöchel nicht sonderlich gut. Bei ihm geht Latteier immerhin davon aus, dass er zum Auftakt dabei sein werde. Güntner zu ersetzen wird eine Gemeinschaftsaufgabe für das Kollektiv sein, dessen Leidenschaft, Korpsgeist und Charakterstärke der Trainer über alles stellt.
Die spannende Frage, auch für Latteier, wird sein, wie diese Mannschaft, die in den vergangenen Jahren auf Erfolg abonniert war und nie eine längere Durststrecke hat überwinden müssen, mit den Fährnissen eines zunehmend steinigen Wegs zurechtkommt und auf Rückschläge reagiert. Zwanzig wackere Begleiter hat sich der Trainer ausgesucht, die mit ihm die Mission bestreiten (und nicht wie bei den vergangenen zwei Aufstiegen nach einem Jahr gleich wieder absteigen sollen), aber der Großteil verfügt über keine Erfahrung in der Höhe. Manuel Örtel, mit 26 Jahren der älteste dieser Seilschaft, hat an der Landesliga genauso geschnuppert wie Tim Reiner. Ausflüge in höhere Sphären haben nur Torwart Stefan Röser, Stefan Güntner, Oliver Stark sowie die Neuankömmlinge Mark Leißing und Stefan Ruhl hinter sich. „Wir können unseren Kader nicht so aufrüsten wie andere Vereine“, sagt Latteier mit Blick auf das begrenzte Budget des Klubs. So sind in der Mehrzahl Spieler klassenniedrigerer Vereine an den Bleichwasen gewechselt: Christopher Lenhart aus Repperndorf (A-Klasse), Johannes Böhm aus Mainsondheim (Kreisklasse), Martin Schwab aus Abtswind (bisher Bezirksoberliga), dazu in Jakob Knelles, Florian Schmidbauer und David Ryba ein Trio aus der eigenen Jugend. Vor allem die Abwehr, die in Lukas und Gregor Golombek zwei gestandene Kräfte verloren hat, steht vor einer Herkulesaufgabe, wenn in den ersten Spielen auch noch Güntner als vorgezogener Posten im defensiven Mittelfeld fehlen wird. Immerhin kann Latteier weiter auf Benedikt Jandl zurückgreifen. Der in der vergangenen Saison als Libero überzeugende Jüngling wird im August zwar beruflich nach Düsseldorf ziehen, will aber für die Auftritte der Mannschaft an den Wochenenden zurückkehren und ansonsten in seiner neuen Heimat trainieren. Als Drehscheibe im Mittelfeld soll Tolga Arayici seinen jugendlichen Sturm und Drang entfalten. Leißing gehört im Angriff zur ersten Garde und bringt gewiss neuen Schwung in die zuweilen starre Offensive mit Örtel und Reiner, die vorige Saison wochenlang den Torabschluss verweigerten.
Appell an die Kundschaft
Auf „neun bis zehn Positionen“ hat Latteier sich vor dem Start festgelegt, mit welchen Kandidaten er ins Feld ziehen wird. Die Partie gegen den FC Sand ist an diesem Freitag der Auftakt zu einer Serie von sechs Spielen binnen 23 Tagen. Ein anspruchsvolles Programm, das den Bayern auch Auftritte bei Titelanwärter VfL Frohnlach sowie den Lokalmatadoren Rimpar und Höchberg bescheren wird. Auf ein Punkteziel hat der Trainer sich nicht festgelegt, aber er weiß, dass ein Fehlstart die Verunsicherung bei seinen jungen Schützlingen schürte. Personelle Alternativen gibt es für ihn kaum, da die zweite Mannschaft in die A-Klasse abgestiegen ist und wenig Ressourcen zu bieten hat. „Der Sprung“, sagt er, „ist einfach zu groß. Normalerweise müsste die Reserve in der Kreisliga auflaufen.“ Fußball aber ist kein Wunschkonzert, und so können sie am Bleichwasen auch nur hoffen, dass die Mühsal dieser „sehr bodenständigen, jungen Kitzinger Mannschaft“ (Latteier) künftig auch vom Publikum durch zahlreicheres Erscheinen honoriert wird. Dass die offenbar verwöhnte Kundschaft zuletzt nicht so strömte, wie man es nach den Erfolgen durchaus hätte erwarten können, hat den Trainer zuletzt zu einem flammenden Appell inspiriert. „Es kann nicht sein, dass wir hier um den Aufstieg in die Landesliga spielen, und in Kitzingen interessiert das keinen.“ Mehr als Landesliga hat die Region dieser Tage nicht zu bieten, weiter reicht das fußballerische Universum im Landkreis nicht, auch wenn es kein Aufbruch in neue Sphären und alles schon mal da gewesen ist.
Namen
Abgänge: Christian Volkamer (Marktbreit/Martinsheim), Lukas Golombek, Gregor Golombek (beide VfL Kleinlangheim).
Zugänge: Christopher Lenhart (TSV Repperndorf), Stefan Ruhl (ASV Rimpar), Martin Schwab (TSV Abtswind), Johannes Böhm (SC Mainsondheim), Mark Leißing (Buchbrunn/Mainstockheim), Sebastian Preuß (nach zwei Jahren Verletzungspause), Markus Baußenwein (nach einem Jahr Auslandsaufenthalt), David Ryba, Florian Schmidbauer, Jakob Knelles (alle aus dem eigenen Nach- wuchs).
Aufgebot, Tor: Stefan Röser, Christian Hesse.
Abwehr: Benedikt Jandl, Soumah Aboubacar, André Heunisch, Mathias Brunsch, Stefan Ruhl, Martin Schwab, Benedikt Straßberger, David Ryba.
Mittelfeld: Oliver Stark, Stefan Güntner, Stefan Dörr, Johannes Böhm, Stefan Schöderlein, Christopher Lenhart, Florian Schmidbauer, Tolga Arayici, Markus Baußenwein.
Angriff: Christopher Soldner, Tim Reiner, Manuel Örtel, Mario Schmidt, Shawn Hilgert, Mark Leißing, Sebastian Preuß, Florian Rumpel, Jakob Knelles.
Trainer: Thomas Latteier (42, im Verein seit 2007, zuvor beim TSV Abtswind).