22 000 Rennsport verrückten Autofahrer aus ganz Deutschland teilten diesen Traum und hatten sich, wie Zinnecker, für die zweite Auflage des einzigen Rennfahrer-Castings weltweit beworben, alle mit dem Ziel, Teil eines achtköpfigen Teams beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring Ende Mai 2010 zu werden. Dabei zu sein, wenn rund 700 Profi- und Amateurfahrer in bis zu 220 Fahrzeugen, sowie über 200 000 begeisterte Motorsportfans das härteste Langstreckenrennen der Welt in eines der größten Freiluft-Spektakel Deutschlands verwandeln.
Möglich machte diesen Traum Manuel Reuter. Nachdem er zwei Jahre zuvor seine aktive Karriere als DTM- und 24-Stunden-Rennenfahrer beendet hatte, rief er 2007 zusammen mit dem Automobil-Konzern Opel das „OPC Race Camp“ ins Leben. Am Ende eines Castings wird talentierten Autofahrern wie dem 41-jährigen Unternehmer Zinnecker die Möglichkeit geboten werden, ohne finanzielle Hindernisse unter professionellen Bedingungen am 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring teilzunehmen. Opel finanziert die Veranstaltungen und stellt Ausrüstung und Instruktion zur Verfügung.
Unter der Leitung von Altmeister Reuter filtert ein Expertenteam in einer Vorauswahl und vier Ausscheidungsrunden die besten acht aller 22 000 Bewerber heraus. In Phase 1 wurden die 750 überzeugendsten Anwärter nach einer schriftlichen Bewerbung zur ersten Sichtung Anfang April eingeladen und mussten ihr Können in einem Slalom-Parcours unter Beweis stellen. Nur wer vollends überzeugte, durfte sich dann in der nächsten Disziplin versuchen. Beim schnellen Spurwechsel in der Race Camp Edition des Astra OPC erreichten die 140 Tagesbesten, unter ihnen Günter Zinnecker, die zweite Runde Ende April.
Dort gingen die Teilnehmer beim „Handlingkurs“ im Astra OPC schon an die Belastungsgrenze. Auf einer kleinen Rennstrecke, einem kurvigen Extremkurs und einem abgesteckten Parcours, galt es zunächst bei Material-schonendem Fahrverhalten klare Vorgaben einzuhalten und das Quietschen der Reifen zu verhindern. Auch die zweite Tages-Disziplin hatte es in sich. Die Herausforderung: ein Zeittraining in einem Renn-Astra. Zinnecker brachte ihn heil und vor allem sehr schnell über die Ziellinie und qualifizierte sich zusammen mit 69 erschöpften Mitstreitern für die nächste Stufe des Castings.
Mitte Juni zog er beim Parallelslalom gegen eine der elf verbliebenen Frauen im Trainingslauf zunächst den Kürzeren, konnte sich aber im Wertungslauf steigern und besiegte seine Kontrahentin am Ende mit hauchdünnem Vorsprung. Gegner im abschließenden Rennen war schließlich nur mehr die Zeit. Auf einer Mini-Rennstrecke von 1500 Metern fiel die Entscheidung, ob es für die letzte Ausscheidungsrunde reichte. Joachim Winkelhock, Mitglied im Race-Camp-Team um Reuter, bescheinigte dem 41-Jährigen da eine „absolut saubere Fahrt“, so Zinnecker, „allerdings konnte ich ihn von der Geschwindigkeit nicht zu hundert Prozent überzeugen.“ Dennoch schaffte er den Sprung in den entscheidenden Durchgang, der vom 13. bis 16. Juli auf der Grand-Prix-Strecke am Nürburgring steigen wird – nur einen Tag nach dem Gastspiel der Formel 1 in der Eifel.
Zum Abschluss muss das Feld nochmals verkleinert werden. Nur die acht stärksten, konstantesten und komplettesten Fahrer werden am Ende für das Opel-Werksteam an den Start gehen. Wer einen Fehler macht, fliegt raus und muss sich vom großen Traum verabschieden. Mit solchen Gedanken beschäftigt sich der verheiratete Unternehmer aber nicht. „Ich werde unter Druck immer stärker“, zeigt er sich selbstbewusst vor der entscheidenden Herausforderung. Die hohe Belastung während den verschiedenen Casting-Einheiten, die er bereits mit Bravour bewältigte, scheint ihn zu beflügeln. Sichtlich begeistert beschreibt Günter Zinnecker mit leuchtenden Augen die Faszination Motorsport, sowie seine vielseitigen Erfahrungen und Erlebnisse. Abseits des Sports betreibt er zusammen mit seiner Frau ein Friseurunternehmen in Würzburg. Um seiner Leidenschaft nachgehen zu können, investierte er viel Zeit und Geld. Nach zwölf Jahren Hallenkartsport erfolgte 2005 der Wechsel zum anspruchsvolleren und leistungsfähigeren Schalt-Kart, mit dem Zinnecker bei den letzten drei deutschen Meisterschaften trotz seiner mit 1,86 Meter für einen Kartfahrer ungewöhnlich stattlichen Größe jeweils Top-10-Platzierungen erreichte. Seinen bisherigen Karrierehöhepunkt erlebte Zinnecker im Oktober 2008 beim 24-Stundenrennen in Dubai mit einem von Sponsoren finanzierten Amateurteam, wo er unter 360 Gestarteten den 14. Platz erzielte. Mehr als 15 Jahre Rennerfahrung im Kartsport machen ihn so zu einem erfahrenen Ansprechpartner für jüngere Mitkonkurrenten. Er betont, wie wichtig es trotz des Wettbewerbs und des Casting-Faktors sei, teamfähig zu bleiben. Annemarie'sche Zicken-Allüren wie bei der TV-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ haben, so Zinnecker, hier keinen Platz.
Dennoch erinnert die Idee ein bisschen an bekannte Formate wie DSDS oder Germany's next Topmodel. Die Erziehung zum Profi, mit allen dazugehörigen Facetten sowie Vermarktung und Medienwirksamkeit sind ebenso wichtiger Bestandteil wie das Abrufen von Höchstleistungen auf Knopfdruck. Zinnecker: „Es zählt die Leistung, aber auch der positive Umgang mit den Leuten und den Kameras.“ Ein Filmteam vom Fernsehsender DSF begleitet das Race Camp und verfolgt ihn und einige andere Fahrer unter anderem mit einer Cockpit-Kamera. Gesendet werden die spektakulärsten Szenen und alle Höhepunkte ab Anfang Dezember in einer Casting-Dokumentation – immer mittwochs um 21 Uhr. Vorher muss sich die Profi-Jury um Manuel Reuter und Joachim Winkelhock entschieden haben, welche acht Fahrer zum Opel-Werksteam gehören. Die Abstimmungen werden nicht von der Öffentlichkeit, sondern intern getroffen, wodurch ein kompetenter und qualitativ hochwertiger Wettbewerb garantiert ist.
Dieser befindet sich für die letzten 22 Bewerber jetzt in der ganz heißen Phase. Am Montag musste Günter Zinnecker zum Belastungs- und Fitness-Check beim Rennarzt vorsprechen. Der athletische Sportler brachte diese Untersuchung routinemäßig über die Bühne, es war nicht mehr als der vorletzte Akt auf dem Weg zum ganz großen Ziel. „Ich bin mir sicher, dass ich das 24-Stunden-Rennen fahren werde,“ so Zinnecker optimistisch. Er scheint längst gerüstet, um die letzte Hürde erfolgreich zu nehmen.